Extremer Aggregatzustand: Wasserstoff wird wirklich metallisch
Bekannt ist Wasserstoff zuerst einmal als brennbares Gas: Seine Reaktion mit Sauerstoff ist eines der spektakulärsten Experimente im Chemieunterricht. Bei Temperaturen unterhalb von minus 253 Grad Celsius wird er flüssig und unterhalb von minus 259 Grad Celsius fest. In flüssigem Zustand ist Wasserstoff so klar und farblos wie Wasser, im festen Zustand kristallförmig.
Bei all diesen Aggregatszuständen liegt Wasserstoff aber stets in molekularer Form als H2 vor. Doch schon früh ahnten Forscher, dass das Element auch exotischere Dinge kann: Im Jahr 1935 stellten die Theoretiker Eugen Wigner und Hillard Bell Huntington die Vermutung auf, Wasserstoff könne sich bei sehr hohen Drücken in ein Metall verwandeln. Bei einem Druck von 25 Gigapascal, wie er im oberen Erdmantel herrscht, werde sich die Molekülbindung auflösen und Wasserstoff metallisch werden. Dieser enorme Druck entspricht dem 250 000-Fachen des Atmosphärendrucks.
Bei ersten Versuchen mit solchen Drücken zeigte Wasserstoff allerdings keine Neigung, seine chemische Struktur zu ändern. Selbst bei über die Jahrzehnte verbesserten Experimenten mit mehrfach höheren Drücken konnten Fachleute nur Vorstufen des metallischen Wasserstoffs nachweisen. Erst jetzt, mehr als 80 Jahre nach der ursprünglichen Vermutung, gelang es Wissenschaftlern der Universität Harvard, Wasserstoff tatsächlich zum Metall zu pressen. Hierzu mussten sie Drücke von 495 Gigapascal aufbringen – das entspricht 4,95 Millionen Atmosphären, ein rund 20-fach höherer Druck als ursprünglich angenommen und mehr als im Erdkern!
Diamonds are not forever
Die einzige Chance, solch extreme Drücke im Labor zu erzeugen, sind so genannte Diamantstempelzellen. Hier drücken die spitzen Seiten zweier Diamanten aufeinander, die in einem möglichst perfekt ausgerichteten Schraubstock immer stärker zusammengepresst werden. "Das größte Problem ist die Stabilität der Diamanten", sagt Isaac Silvera, der die Versuche gemeinsam mit Ranga Dias durchgeführt hat.
Unter solchen Drücken können auch die härtesten Diamanten auf Grund des kleinsten Defekts in Stücke brechen. Die meisten natürlichen Diamanten haben innere Defekte oder Spannungszonen. "Wir haben deshalb synthetisch hergestellte Diamanten genutzt, die sehr viel homogener sind", so Silvera. Mögliche innere Spannungen haben die Forscher dann durch vorsichtiges Ausglühen unter Vakuum abgebaut.
Beim Schleifen der kostbaren Steine mit feinem Pulver oder Diamantstaub entstehen dennoch winzige Defekte an der Oberfläche, die den Diamanten unter Druck zerspringen lassen. Um dies zu verhindern und um möglichst glatte Pressflächen zu erreichen, ätzten die Wissenschaftler einige Mikrometer der äußeren Schicht ab. Leider hat Wasserstoff die unangenehme Eigenschaft, in das Diamantgitter hineinzudiffundieren und Diamanten dabei spröde werden zu lassen. Die Forscher umgingen dieses Problem, indem sie ihr Experiment nie wärmer als minus 200 Grad Celsius werden ließen – was die Diffusion stark verlangsamt – und zudem die Diamanten mit einer hauchdünnen Aluminiumoxidschicht gegen Wasserstoff versiegelten. Außerdem musste die Apparatur extrem präzise ausgerichtet sein: Jede minimale Verkantung hätte die Diamanten schon bei sehr viel geringeren Drücken zerspringen lassen. Und schließlich nutzten die Wissenschaftler für die Messungen an der Probe extrem schwaches Laserlicht.
Fest, flüssig, supraflüssig?
"Laserstrahlung kann unter extremer Spannung stehende Diamanten brechen lassen", erklärt Silvera. Bei steigenden Drücken konnten die Forscher unter dem Mikroskop stufenweise Veränderungen beobachten. Anfangs war der Wasserstoff transparent, wurde bei über 400 Gigapascal aber undurchsichtig. Dies war ein erstes Anzeichen, dass nun die Wasserstoffmoleküle begannen, in die Einzelatome zu zerfallen und Elektronen freizusetzen – eine Vorstufe zu metallischem Wasserstoff, die auch andere Forschungsgruppen bereits erreicht hatten. Bei 495 Gigapascal änderte sich dieses Verhalten erneut plötzlich: Auf einmal reflektierte der Wasserstoff die Laserstrahlen. Dies gilt als Nachweis für die metallische Phase, denn Metalle reflektieren Licht.
Silvera und Dias sehen das als Beleg, dass tatsächlich metallischer Wasserstoff in der Probenkammer entstand. Fachleute sind allerdings nicht davon überzeugt, dass es sich bei dem reflektierenden Material tatsächlich um den Wasserstoff handelt. Auch das Aluminiumoxid könne unter den Bedingungen reflektierend gewesen sein, geben Forscher gegenüber dem Magazin "Nature" zu bedenken. Zusätzlich sei der Druck in der Probenkammer während des vermeintlichen Phasenüberganges unklar. Das Team hätte, so die Schlussfolgerung, weitere Experimente durchführen müssen.
Das wollen die Autoren nun – nach der eiligen Veröffentlichung – nachholen und die Eigenschaften des metallischen Wasserstoffs untersuchen. Berechnungen zufolge sollte der Stoff auch bei höheren Temperaturen supraleitend sein, dies könnte neue Einblicke in die Erforschung von Hochtemperatur-Supraleitern liefern. Es ist auch noch nicht klar, ob es sich bei metallischem Wasserstoff um festes Metall handelt oder ob er flüssig ist wie Quecksilber. Ist er flüssig, könnte er sogar supraflüssig sein – also ohne jegliche innere Reibung fließen. Metallischer Wasserstoff wäre dann das einzige bekannte Material, das zugleich supraleitend und supraflüssig ist.
Aber nicht nur für technische Anwendungen und für quantenphysikalische Grundlagenfragen ist metallischer Wasserstoff von Bedeutung, auch Planetenforscher interessieren sich für diesen exotischen Stoff. Der Erdkern besteht vor allem aus Eisen, Wasserstoff spielt dort keine Rolle. Aber im Innern von Gasriesen wie Jupiter herrschen extreme Drücke, während dort gleichzeitig riesige Mengen an Wasserstoff vorliegen. Durch das Studium metallischen Wasserstoffs erhoffen sich Planetenforscher deshalb grundlegende Einsichten in die Tiefendynamik von Gasriesen.
Der Beitrag wurde am 27. Januar 2016 überarbeitet, um die Kritik an dem Ergebnis zu berücksichtigen.
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