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Kosmische Strahlung: Weit gereist und voller Energie

So selten sind die Teilchen, dass es einen Detektor größer als das Saarland brauchte. Nun ist das Rätsel um den Ursprung extrem energiereicher Teilchen geklärt. Oder doch nicht?
Nacht über dem Pierre Auger Observatory

Das also scheint geklärt. Über viele Jahre fragten sich Physiker und Astronomen, woher die energiereichsten Teilchen der kosmischen Strahlung stammen: aus Quellen in unserer Milchstraße oder von außerhalb? In der Fachzeitschrift "Science" veröffentlichte Resultate des Pierre-Auger-Observatoriums legen nun eine eindeutige Antwort nahe. Über 30 000 Partikel mit Energien von über acht Exaelektronvolt – mehr als eine Million Mal energiereicher als die Teilchen im LHC-Beschleuniger des CERN – haben die Forscher seit 2004 gesichtet und deren Herkunftsrichtungen vermessen. Ihr Ergebnis: Die Teilchen prasselten nicht gleichmäßig auf die Erde ein. Projiziert auf die Himmelssphäre, ist ihre Rate auf der einen Seite des Himmels um etwa sechs Prozent erhöht und auf der entgegengesetzten Seite entsprechend erniedrigt. Die Erhöhung liegt 120 Grad vom Zentrum unserer eigenen Milchstraße entfernt. Damit scheidet unsere Heimatgalaxie als Quelle so gut wie aus.

Anzeichen für diese Ungleichverteilung hatte das Auger-Observatorium schon vor Jahren entdeckt. Doch jetzt erst erreicht die statistische Signifikanz mit einem Wert von zwei zu zehn Millionen ein Niveau, ab dem die Forscher den Zufall praktisch ausschließen können: "Die große statistische Beweiskraft dieses Signals ist überzeugend", meint Thomas Hebbeker vom Physikalischen Institut der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen.

Ähnlich sieht dies Karl-Heinz Kampert von der Universität Wuppertal: "Wir sind dem Rätsel, wo und wie diese außergewöhnlichen kleinsten Materieteilchen entstehen, nun wesentlich näher gekommen", sagt der Sprecher der Auger-Kollaboration, an der über 400 Wissenschaftler aus 18 Ländern mitwirken. "Unsere Beobachtung zeigt eindrucksvoll, dass die Orte der Beschleunigung außerhalb der Milchstraße liegen.“

Vermutet hatte man das schon länger. In unserer Milchstraße fehlen schlicht Teilchenbeschleuniger, die in der Lage wären, derartige Energien zu erreichen. Supernova-Explosionen und selbst ihre extremen Vertreter, die Hypernovae, schaffen nur ein Tausendstel der Energie, die die von Auger untersuchten Teilchen haben. Doch die Beweisführung, dass diese Partikel wirklich von außerhalb der Milchstraße stammen, ist schwierig – aus drei Gründen.

Woher stammen die Teilchen?

Erstens weisen die Herkunftsrichtungen der Teilchen nicht einfach auf ihre Quellen zurück. Bei den meisten von ihnen handelt es sich um Protonen, also um Kerne des Atoms Wasserstoff. Mit stark abnehmender Häufigkeit sind auch Heliumkerne und schwerere Atomkerne bis hin zum Eisen darunter. Allen gemeinsam ist, dass sie elektrische Ladung tragen. Ihre Flugbahnen durch den Kosmos werden deshalb von Magnetfeldern beeinflusst, etwa dem unserer Milchstraße. Statt sich geradlinig wie das Licht zu bewegen, werden die geladenen Teilchen auf ihrer Bahn abgelenkt, im untersuchten Energiebereich um mehrere zehn Grad. Jede Richtungsinformation wird dadurch nahezu ausgelöscht.

Das Prinzip des Observatoriums | 1600 Wassertanks sind in einem regelmäßigen Muster angeordnet. Sie fangen den Teilchenschauer anhand des von ihm ausgelösten Tscherenkow-Lichts auf. Gleichzeitig erfassen Teleskope den Bereich oberhalb der Wasserbehälter. So kann ein Ereignis auf verschiedenen, voneinander unabhängigen Wegen registriert werden.

Zweitens erreichen die Teilchen selbst gar nicht den Erdboden. Gut für uns, denn energiereiche Strahlung ist nicht gerade gesund. Ab einer gewissen Energie stoßen Partikel der kosmischen Strahlung so heftig mit den Molekülen der Erdatmosphäre zusammen, dass dabei Schauer aus Sekundärteilchen entstehen. Dies sind meist Elektronen und ihre schweren Verwandten, die Myonen. Mehrere Milliarden davon bewegen sich in einem solchen Schauer mit nahezu Lichtgeschwindigkeit auf die Erdoberfläche zu, einige erreichen den Boden. Auger, das ab 2004 gebaut wurde und 2008 seine volle Leistungsfähigkeit erreichte, ist das derzeit größte Observatorium zum Nachweis dieser Teilchenschauer. Es registriert die am Boden eintreffenden Myonen mit Hilfe von PKW-großen, runden Tanks, von denen jeder zwölf Tonnen ultrareines Wasser enthält. Dringt ein Myon in einen solchen Tank ein, dann entsteht im Wasser (das in absoluter Dunkelheit gehalten wird) ein kurzer Blitz von so genanntem Tscherenkow-Licht, der von empfindlichen Detektoren registriert wird.

Der dritte Grund macht klar, warum die nun veröffentlichte Studie so lange in Arbeit war: Die Teilchen sind selten – und zwar umso seltener, je mehr Energie sie tragen. Bei acht Exaelektronvolt erwartet man ungefähr ein Teilchen pro Quadratkilometer und Jahr. Aussagekräftige statistische Studien brauchen also Zeit – alles in allem zwölf Jahre mussten sich die Wissenschaftler gedulden, bis sie die 30 000 Teilchen für ihre Studie zusammengesammelt hatten. Und das, obwohl das Auger-Observatorium gigantische Ausmaße hat: Ganze 1600 Wassertanks verteilen sich auf ein Gelände von rund 3000 Quadratkilometern, das ist mehr als die Fläche des Saarlands. Den Platz dafür fand man in der argentinischen Pampa Amarilla, vier Autostunden südlich der Stadt Mendoza.

Hier stehen die Tanks mit jeweils anderthalb Kilometer Abstand aufgereiht, so weit das Auge reicht. Den Himmel darüber überwachen 24 Teleskope, die auf vier Gebäude verteilt sind. In klaren Nächten registrieren sie milliardstel Sekunden lange Fluoreszenzlichtblitze, die von den Teilchenschauern in der Atmosphäre erzeugt werden. Und zusätzlich erfassen noch Antennen die Radiostrahlung, die ebenfalls aus den Schauern stammt. Durch die Kombination von Detektortanks, Fluoreszenzteleskopen und Radioantennen lässt sich die Einfallsrichtung der ursprünglichen, die Schauer auslösenden Teilchen auf etwa ein Grad genau berechnen.

Rätsel gelöst? Nicht ganz

Eine Aussage über die Entstehungsorte der Teilchen lässt sich allerdings nur dann ableiten, wenn man gleichzeitig Modelle etwa des Magnetfelds der Milchstraße berücksichtigt. Wurden die Teilchen vielleicht doch in unserer Galaxie produziert und lediglich so abgelenkt, dass sie uns einen extragalaktischen Ursprung vorgaukeln? Die Studie zeigt: Nein, keine realistische Konfiguration des galaktischen Magnetfelds wäre dazu in der Lage.

Damit dürfte als bestätigt gelten, dass die energiereichsten kosmischen Teilchen von weit, weit entfernt kommen. Ein wichtiges Etappenziel für die Forscher am Auger-Observatorium, das nach dem Pionier der Erforschung der kosmischen Strahlung, dem französischen Physiker Pierre Victor Auger, benannt ist.

Doch als gelöst wird man das Rätsel der kosmischen Strahlung erst bezeichnen können, wenn auch ein extragalaktisches Objekt eindeutig als Quelle identifiziert wird. Als wahrscheinlichste Kandidaten gelten die aktiven Kerne ferner Galaxien. In einem aktiven Galaxienkern verschlingt ein massereiches Schwarzes Loch große Mengen umgebender Materie. Dabei entsteht Strahlung in allen Wellenlängen und mit großer Intensität – darunter auch, so die Vermutung, energiereiche Partikelstrahlung.

Für diese Hypothese spricht, dass der von Auger gemessene Teilchenüberschuss aus einer Himmelsrichtung kommt, in der auch die Anzahl der Galaxien höher ist als in anderen Richtungen. Was fehlt, ist eine "smoking gun": der direkte Nachweis, dass wenigstens ein kosmisches Teilchen direkt aus einem aktiven Galaxienkern stammt. Mit den in dieser Studie untersuchten Teilchen ist das wegen der magnetischen Ablenkung nicht möglich. Es wurden jedoch schon Teilchen mit weit höherer Energie nachgewiesen – Atomkerne, deren Energien der Bewegungsenergie eines hart geschlagenen Tennisballs entsprechen. Magnetfelder lenken diese Teilchen weniger stark ab, so dass ihre Ankunftsrichtungen näher an ihren Entstehungsorten liegen sollten. Doch diese exotischen Partikel sind noch weit seltener: Ihre Ankunftsrate liegt bei nur einem Teilchen pro Quadratkilometer und Jahrhundert. Um eine ausreichende Statistik dieser extremen Partikel zu erreichen, sind neben Geduld noch empfindlichere Detektoren notwendig, mit denen das Pierre-Auger-Observatorium derzeit ausgerüstet wird.

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