Sinne: Wie Düfte uns manipulieren
Bei dem Geruch von Druckerschwärze stellen sich Hanns Hatt die Haare auf. Jedes Mal, wenn er den Duft in die Nase bekommt, schaudert es ihn. Denn er erinnert den renommierten Zellphysiologen und Duftforscher der Ruhr-Universität Bochum an seine Schulzeit, die immerhin schon ein bisschen zurückliegt: "Ich hasste Schulaufgaben. Bis heute habe ich deshalb eine Abneigung gegen den Geruch von frisch bedrucktem Papier."
Düfte können also auch nach Jahrzehnten intensive Empfindungen in uns hervorrufen: Unser Gehirn speichert den olfaktorischen Sinneseindruck und lässt uns, sobald sich ein bestimmter Duft wieder in unsere Nase schlängelt, längst vergessen geglaubte Erinnerungen wiederbeleben. Ob etwas gut oder schlecht riecht, hängt dabei ausschließlich davon ab, in welcher Situation wir ihn zum ersten Mal gerochen haben. "Jeder Mensch hat eigene Duftvorlieben", sagt Hanns Hatt, "die meisten sind durch eigene Erfahrungen geprägt oder anerzogen, etwa durch die Eltern." Einen Geruch, den wir in einer schönen Situation erlebt haben, speichern wir schneller als angenehmen Duft ab als einen, der uns an ein unerquickliches Erlebnis erinnert. Der Duft von Orangen etwa wird von den meisten Menschen als gut riechend empfunden, weil Orangen oft mit Weihnachten in Verbindung gebracht wird.
Riechen schon im Mutterleib
Schon ungeborene Babys können ab der 28. Schwangerschaftswoche riechen und Duftvorlieben der Mutter als positiv abspeichern. Dabei besitzt der Mensch "nur" etwa 30 Millionen Riechzellen, Hunde dagegen etwa 300 Millionen. Jede einzelne unserer Riechzellen ist ein Spezialist und reagiert nur auf bestimmte Düfte. Die Spezialisierung aber ist breit gefächert: Eine Zelle kann bis zu 20 verschiedene Duftmoleküle erkennen, die allerdings in ihrem chemischen Aufbau eine Grundähnlichkeit aufweisen müssen. Mit 350 unterschiedlichen Rezeptoren können wir entsprechend viele Düfte wahrnehmen und zuordnen – zum Vergleich: Ratten und Hunde besitzen 1000 verschiedene Rezeptoren. Dennoch können auch wir Menschen (theoretisch) bis zu einer Billion Düfte unterschieden, entdeckten Forscher um Andreas Keller von der Rockefeller University in New York: Unser Geruchssinn arbeitet also feiner als lange gedacht.
Eine Zelle, die beispielsweise auf Vanillegeruch spezialisiert ist, stellt nur Rezeptoren für Vanille her. Werden sie etwa durch den Duft einer Vanilleschote aktiviert, sendet die Zelle elektrische Impulse über ihren Nervenfortsatz in das Riechhirn. Von dort wird der Impuls einerseits weitertransportiert in das limbische System – ein Bereich in unserem Gehirn, der für unsere Gefühle und Stimmungen zuständig ist; zum anderen in den Hippocampus, unser Gedächtnis- und Erinnerungszentrum. Auch die anderen Sinnesempfindungen wie Sehen und Hören treffen hier ein, jedoch mit dem Unterschied, dass sie meist vorher den Thalamus passiert haben – das Tor zum Bewusstsein. Riechen ist also eine Sinneswahrnehmung, die unmittelbar auf unser Gefühlsleben wirken kann.
"Unser Wohlbefinden wird enorm von Gerüchen beeinflusst", so Hatt, "jeder muss dazu erst mal seinen eigenen Wohlfühlduft finden." Und auch das klappt nur durch persönliche Erfahrung und kann antrainiert werden: Wenn ich glücklich bin und an einem Duft rieche, prägt sich das mit der Zeit in meinem Geruchsgedächtnis ein. Nach und nach wird sich der Effekt umkehren und der Duft wird ein Glücksgefühl in einem auslösen.
Mit Düften gegen Krebs
Positive Wirkung auf den Körper können Düfte auch über die Atmung erzeugen, wenn der Duft über die Lunge in das Blut aufgenommen wird. Dies kann etwa über die Duftölanwendungen auf der Haut oder die Nahrung und den Magen-Darm-Trakt geschehen. Dabei können bestimmte Duftstoffe sogar pharmakologische Wirkungen erzielen. Linalool zum Beispiel, ein Inhaltsstoff von Lavendel, oder Gardenia-Azetal wirken ähnlich schlaffördernd auf den Körper wie Valium.
Ohnehin nehmen wir Düfte nicht nur mit der Nase auf, auch wenn diese die Hauptarbeit leistet. Denn Duftrezeptoren finden sich nicht nur in der Nase, sondern sie kommen auch in verschiedenen Geweben unseres Körpers vor und können dort zum Beispiel das Zellwachstum beeinflussen: Sandelholz etwa erhöht die Regeneration der Hautzellen und beschleunigt damit die Wundheilung, während Veilchenduft das Zellwachstum von Prostatakrebszellen verlangsamt.
Außerdem befinden sich auch in unserem Darm Riechrezeptoren. Sie reagieren auf bestimme Duftmoleküle in der Nahrung und führen zur Freisetzung des Botenstoffs Serotonin, der die Verdauung aktiviert. Die Rezeptoren der Riechzellen steuern zum großen Teil zellbiologische Prozesse, erklärt Hanns Hatt: "Sie sind zuständig für das Wachstum und die Teilungsrate der Zellen und dafür, wie schnell sie sich bewegen." So hat er auch herausgefunden, dass sich bestimmte Duftrezeptoren etwa in der Leber oder der Prostata befinden, deren Aktivierung die Zellteilung reduziert. Der Grund dafür ist noch nicht erforscht; die Entdeckung ist jedoch von großer klinischer Bedeutung, denn sie könnte bei der Identifizierung und Therapie von Krebszellen mithelfen.
Der Geruchssinn als Alarmanlage
Gerüche können aber auch ein Warnsystem in unserem Körper aktivieren. Etwa indem uns übel wird, wenn wir verdorbene Lebensmittel riechen, oder wenn wir Staub oder Gas einatmen. Ein Beispiel ist eine Lebensmittelvergiftung: Haben wir etwas Falsches gegessen, wird uns auch in den nächsten Wochen noch schlecht werden, wenn wir nur daran denken. Unser Körper sagt uns: Stopp! Das isst du lieber nicht noch mal. Wie sehr unser Körper mit Kopfweh, Übelkeit oder erhöhtem Blutdruck auf Gerüche reagiert, hängt davon ab, wie empfindlich wir sind. Eine extreme Reaktion rufen Gerüche verschiedenster Art etwa bei Menschen hervor, die an multipler chemischer Sensitivität leiden: Die Wahrnehmung von chemischen Substanzen wie Putzmitteln oder Zigarettenrauch kann bei ihnen Erbrechen, Asthmaanfälle oder sogar einen Kreislaufkollaps auslösen.
"Gerüche sind soziale Signale", sagt Thomas Hummel, der das interdisziplinäre Zentrum "Riechen und Schmecken" der TU Dresden leitet. Sowohl bewusst als auch unbewusst könnten Gerüche Emotionen in uns auslösen oder verändern. Ein Beispiel, wie sehr uns die zwischenmenschliche Chemie steuert, sei die weibliche Träne, erklärt Thomas Hummel: "Wenn eine Frau weint, sinkt die Libido bei den Männern in der Umgebung um bis zu 80 Prozent." Ein chemisches Signal, das nicht bewusst wahrgenommen wird, unser Empfinden jedoch in hohem Maß beeinflusst.
So empfinden Menschen beim Anblick unterschiedlichster Mimiken Gesichter als deutlich freundlicher, wenn sie dabei "beduftet" werden – das heißt, wenn sie mit dem visuellen auch einen angenehmen olfaktorischen Reiz aufnehmen. Das klappt aber nur unterschwellig, sagt Thomas Hummel: "Sobald die Menschen den Geruch bewusst wahrnehmen, verschwindet dieser Effekt." In einer Studie, die demnächst veröffentlicht werden soll, fand Thomas Hummel mit Kollegen heraus, dass Düfte auch die kognitiven Fähigkeiten des Menschen sichtlich verbessern können. Drei Monate lang musste eine Gruppe von Probanden im Alter von 50 bis 84 Jahren täglich Sudokus als Gehirnjogging lösen, die andere Hälfte ließ sich einfach beduften. Am Ende des Tests gab es bei den Sudoku-Lösern keine erheblichen kognitiven Änderungen. Die bedufteten Probanden hingegen konnten sich verbal besser ausdrücken als zuvor. Der Nebeneffekt: Sie fühlten sich auch um durchschnittlich sechs Jahre jünger als vor dem Test.
"Düfte regen offenbar die Hirntätigkeit an", erklärt Thomas Hummel das Ergebnis, "das Riechen hat einen anderen Zugriff auf das Gehirn als andere Sinnessysteme." Dadurch würde man sich im Gesamten wohler fühlen und auch aktiver werden. Weil im Alter die Fähigkeit des Riechens abnimmt, scheint also die beste Vorsorge: täglich an fünf bis zehn verschiedenen Gerüchen riechen; das hält Nase und Geist fit.
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