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Angemerkt!: Zappelphilipps Medizin - nützlich oder schädlich?

Seit dem 1. März 2005 ist das Medikament Strattera auch in Deutschland erhältlich. Es soll Kindern helfen, die unter Aufmerksamkeitsstörungen leiden - doch es mehren sich auch kritische Stimmen gegen die Arznei.
Wildes Kind
Ist Strattera mit seinem Inhaltsstoff Atomoxetin gefährlich? Das Medikament gegen die Zappelphilipp-Symptomatik, das sich seit März in Deutschland auf dem Markt befindet, wirkt nach Angaben des Herstellers Eli Lilly schnell und sicher – und führt vereinzelt zu Leberschäden. Darüber hat die britische Arzneimittelaufsichtsbehörde Ärzte in einem Brief gewarnt.

Dies bedeutet einen schweren Schlag für die Ärzteschaft. Denn seit seiner Erstzulassung vor zwei Jahren in den USA ist Atomoxetin dort mehr als zwei Millionen Patienten verschrieben worden und hat sich als recht wirksame Waffe gegen die so genannte Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) erwiesen. Die meisten Nebenwirkungen fielen bei Atomoxetin weitaus geringer aus als bei den übrigen ADHS-Medikamenten. So scheint Atomoxetin keine anregende Wirkung auf die Psyche zu haben und nicht süchtig machen zu können. In Deutschland fällt Atomoxetin nicht wie die anderen ADHS-Präparate unter das Betäubungsmittelgesetz, was seinen Einsatz erheblich erleichtert.

Denn dass die an ADHS Erkrankten dringend Hilfe benötigen, ist unbestreitbar. So bereitet die Störung den jungen Patienten und ihrer Umgebung ernsthafte Probleme. Kaum laufen gelernt, hüpfen die Kinder wie Springbälle durch die Gegend. Sie fassen alles an, öffnen Schubladen und Schränke und klettern auf Tische und Fensterbänke. Andere Kinder verhalten sich dagegen eher wie ein "Hans-guck-in-die Luft": Sie wirken ruhig, verträumt, ermüden schnell und trödeln. All diese Kinder haben eine Schwierigkeit: Sie können sich nicht konzentrieren und bekommen daher spätestens in der Schule Probleme.

Wissenschaftler fanden heraus, dass ADHS mit einer genetisch bedingten Fehlregulation des Botenstoffs Dopamin in Zusammenhang steht. Atomoxetin verhindert offenbar, dass der aus Dopamin entstehende Botenstoff Noradrenalin von den Nervenzellen wieder aufgenommen und damit neutralisiert wird.

Das ebenfalls zur Behandlung des ADHS eingesetzte Mittel Methylphenidat (zum Beispiel Ritalin) wirkt auf andere Weise: Es stimuliert die Dopamin-Freisetzung bestimmter Nervenzellen und balanciert so das genetisch bedingte Dopamin-Ungleichgewicht wieder aus. Doch die medikamentöse Therapie ist nicht ganz unproblematisch. So wirkt Methylphenidat nur in siebzig Prozent der Fälle, und über seine Nebenwirkungen wird immer lauter diskutiert.

Inzwischen wurde sogar die Frage gestellt, ob Methylphenidat vielleicht schwerwiegende Spätschäden bis hin zum Parkinson-Syndrom verursachen könnte. Und noch anderes gibt Anlass zur Besorgnis: In Drogenkreisen wird die Substanz als Aufputschmittel gehandelt. Zwar soll es in den üblichen Dosierungen zu keiner Abhängigkeit kommen, doch ab etwa 200 Milligramm wirkt Methylphenidat nach Angaben des Pharmakonzerns Novartis euphorisierend und kann sowohl seelisch als auch körperlich abhängig machen.

Das auf dem nordamerikanischen Kontinent gegen ADHS eingesetzte Adderall, das die ebenfalls stimulierende Wirksubstanz Dextroamphetamin enthält, wurde vor kurzem von der kanadischen Arzneimittelbehörde verboten. Anlass sind Berichte über Todesfälle, die nach Einnahme des Mittels in normalen Dosierungen aufgetreten sind. Die Patienten – zumeist Kinder – starben an Herzversagen oder Schlaganfall. Keiner von ihnen hatte das Medikament missbräuchlich oder in einer zu hohen Dosierung eingenommen. In den USA bleibt das Medikament vorerst auf dem Markt.

Angesichts dieser Berichte drängt sich die Frage auf, ob die Medikamente nicht mit mehr Besonnenheit eingenommen werden sollten als bisher üblich. Geschätzt wird, dass bis zu fünf Prozent aller Kinder unter ADHS leiden und dass dieser Anteil sich nicht verändert hat. In den letzten Jahren wurde diese Diagnose hingegen immer häufiger gestellt.

Problematisch ist, dass es keinen allgemein gültigen ADHS-Test gibt und die Beurteilung von einer individuellen Diagnostik abhängt. Möglicherweise wird zu wenig bedacht, dass Kinder, die ihren natürlichen Bewegungsdrang unterdrücken müssen, von einer inneren Unruhe befallen werden. Schließlich gehört es für ein achtjähriges Kind in der dritten Klasse zum normalen deutschen Schulalltag, neun Stunden ruhig zu sitzen – kalkuliert man Busfahrten und Schulaufgaben mit ein.

Trotz all dieser Unstimmigkeiten herrscht jedoch in einigen Punkten auch Einigkeit: Medikamente dürfen nur im Rahmen einer vielschichtigen Therapie eingesetzt werden, die psychotherapeutischen und psychosozialen Behandlungsmaßnahmen eine hohe Bedeutung beimisst. Und ganz sicher ist, dass ADHS bislang noch nicht heilbar ist – bessern lässt sich nur die Symptomatik.

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