Vom Rand des Kosmos zur Erde in 100 Seiten
Wer kennt sie nicht, die gelben Reclam-Hefte? Sie feiern gerade ihren 125. Geburtstag. Der Verlag hat nun eine neue Reihe aufgelegt, ebenso klein und kompakt, in allen Farben. Sie nennt sich "100 Seiten" und behandelt aktuelle Themen von Asterix bis Twin Peaks – gedruckt für jeweils exakt 10 Euro. Das dunkelblaue Bändchen über "Astrophysik" hat der Wissenschaftsjournalist Alexander Mäder geschrieben, derzeit Chefredakteur von "Bild der Wissenschaft".
Kann man moderne Astrophysik auf 100 kleinformatigen Seiten verständlich präsentieren? Alles eine Frage von Organisation, Durchblick und Sprache. Letztere ist erwartungsgemäß leicht und locker; den Text unterbrechen nur wenige Bilder, Grafiken und Tabellen. Es gibt bei einem solchen Werk mehrere Möglichkeiten, den Stoff zu gliedern: etwa wissenschaftshistorisch, objektbezogen, entlang der Zeitachse des Universums oder räumlich. Mäder hat sich für Letzteres entschieden und geht dabei einen ungewöhnlichen Weg, nämlich von der fernsten Galaxie zur Erde, was wegen der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit zugleich eine Reise von der Vergangenheit in die Gegenwart ist. Keine schlechte Wahl, wie sich beim Lesen zeigt.
Wer hat Angst vor großen Zahlen?
Der Autor hat laut Kurzbiografie Philosophie, Physik und Psychologie studiert und "war schon immer begeistert von der Welt der Sterne, vom Urknall und von Einsteins 'Tempolimit' für Licht, von Entstehung, Ausdehnung oder Schrumpfung des Universums, von Geburt, Wachsen und Vergehen ganzer Galaxien oder der Möglichkeit außerirdischer Intelligenz." Mäders offensichtliches Interesse an astronomischen Themen wird noch übertroffen von seiner Leidenschaft für Sciencefiction. Immer wieder zitiert er Bücher und Filme, insbesondere wenn es um Außerirdische oder Raumfahrt geht. Für eine erfolgreiche Lektüre hat Mäder noch diesen Hinweis: "Ein Raumanzug oder auch nur ein Teleskop sind dazu nicht erforderlich, auch keine astronomischen Vorkenntnisse. Nur Angst vor großen Zahlen sollte man nicht haben."
Zu Beginn stellt der Autor auf 15 Seiten die "Highlights des Universums" vor und schildert hier auch eigene Erfahrungen. Als Darmstädter Astronomen ihm 2005 den Saturn und dessen Mond Titan im Teleskop zeigten, fragte Mäder, "ob man den Saturn auch mit dem bloßen Auge sehen" könne. Da der Gasriese zu den sechs Planeten gehört, die seit dem Altertum bekannt sind, erscheint die Frage aus dem Mund eines wissenschaftlich Studierten befremdlich. Weitere Highlights sind Sterne und Galaxien – und immer wieder kommt der Text auf Filme wie "Avatar", "Interstellar" oder "Per Anhalter durch die Galaxis".
Auf 85 Seiten geht es dann in fünf weiteren Kapiteln vom "Knall im Urknall" bis zur ultimativen Frage "Sind wir einzigartig?" Das erste davon behandelt die frühesten Augenblicke des expandierenden Kosmos und die Entstehung der einfachsten Elemente. Dabei streift der Autor die Relativitäts- und Quantentheorien. In "Die Galaxie im Computer" prangert er zunächst in einem Ranking die fünf "dümmsten Ideen der Science Fiction" an (Platz 1 geht an "Matrix"), befasst sich aber auch mit Astrophysik, nämlich der Entstehung und Entwicklung von Sternen und Galaxien. Neben der ominösen Dunklen Materie ist daran leuchtendes Gas beteiligt: "Solche oft farbenfrohen Wolken werden auch 'planetare Nebel' genannt." Dem Fachmann ist natürlich klar, dass hier planetarische Nebel gemeint sind (Überreste sonnenähnlicher Sterne) – ein Beispiel für die textlichen Ungenauigkeiten, von denen es einige gibt.
Vom Monster zum Supermonster
Im nächsten Kapitel "Blitze und Beben" geht es um Sterne und deren Ende. Das umfasst spannende Themen wie Supernovae, Gravitationswellen und Schwarze Löcher. Zu letzteren ist Mäder ein origineller Vergleich mit dem Physiker Stephen Hawking eingefallen: "Er wirkt selbst wie ein Schwarzes Loch, weil sich so wenig seines wachen Geistes in der äußeren Mimik widerspiegelt." Auch beim supermassereichen Exemplar im Zentrum unserer Milchstraße überrascht der Autor: Er bezeichnet das Schwarze Loch zwar korrekt als Sagittarius A*, doch in der Grafik auf Seite 56 seines Buchs nimmt das Schwerkraftmonster den gesamten Balken unserer Spiralgalaxie ein – das ist milliardenfach zu groß! Hier sollte man tatsächlich Angst vor großen Zahlen haben.
Weiter geht es in Richtung Erde mit "Sturm und Hagel im Sonnensystem". Nicht ganz korrekt ist, dass sich die Sonne "in 6 Milliarden Jahren erst aufblähen" wird. Das sind wohl wieder einige Milliarden zu viel. Beim Thema Sonnensystem glänzt der Autor mit seinem Wissen über Raumfahrt und kontrastiert es passend mit dem Film "2001: Odyssee im Weltraum". Auf Seite 84 sind die Leser schließlich auf unserem Heimatplaneten gelandet – und begeben sich mit Mäder sogleich auf die Suche nach einer zweiten Erde. Die Frage, ob es außerirdisches Leben gibt, treibt den Autor besonders um. Sie zieht sich als roter Faden durch das Buch.
Die 100 Seiten sind trotz des anspruchsvollen Themas relativ leichte Kost. Der Gegenstand des Buchs wird unterhaltsam, verständlich und meist kompetent serviert. Verständlicherweise können viele Dinge, die auf dem Cover angekündigt sind, nur angerissen werden. Es ist aber ein Plan erkennbar: Die Leser sollen die großen Fragen der Astrophysik kennenlernen und die bisher gegebenen Antworten verstehen. Für Mäder ist dabei zentral, ob der Mensch einzigartig ist oder es da draußen – trotz aller Widrigkeiten – anderes Leben gibt. Die Sciencefiction kennt die Antwort natürlich schon längst.
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