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Hinterm Weltuntergang geht’s weiter

Auf den ersten Blick ist das ein reißerisches Buch. Überleben in einer postapokalyptischen Welt – dieses Thema erwartet man eher im Unterhaltungsprogramm privater TV-Sender. Auf den zweiten Blick streift das Werk eine interessante Frage: Wie störanfällig ist unsere Gesellschaft?

Wir benutzen jeden Tag komplizierteste Technik – und könnten ohne gekauftes Werkzeug nicht einmal eine Pfeilspitze an einem Schaft befestigen. Wir nehmen erlesenste Speisen zu uns – und wären bereits überfordert damit, ein Getreidefeld zu bestellen. Wir tragen teure Markenkleidung – und haben keinen Schimmer, wie man aus Pflanzenfasern einfaches Gewebe macht. Was wir zum Leben brauchen, wird von Spezialisten bereitgestellt: Nahrung und Kleidung, Häuser und Straßen, Maschinen und Fahrzeuge, medizinische Versorgung.

Was wäre, wenn das hochdifferenzierte Netzwerk der Arbeitsteilung, das weitläufige Geflecht der Spezialkenntnisse reißen würde? Wie ließe sich dann verhindern, dass die Menschheit auf ein vorziviles Niveau abstürzt? Dieser Frage widmet sich der britische Astrobiologe Lewis Dartnell. Er geht von einem Szenario aus, in dem der Großteil der Weltbevölkerung ausgelöscht wird, so dass die Versorgungsnetze flächendeckend kollabieren – sei es durch eine Pandemie, einen Atomkrieg oder einen Meteoriteneinschlag. Sodann erörtert er, was die Übriggebliebenen tun müssten, um rasch wieder auf die Beine zu kommen.

60 Jahre Dosennahrung

Einen Vorteil hätten die Überlebenden: Sie säßen auf einem gigantischen Berg aus Hinterlassenschaften der Zivilisation. Von den Trockenwaren und Konserven eines großen Lebensmittelmarkts kann man sich 50 bis 60 Jahre lang ernähren – und noch einige Jahre mehr, wenn man auch das Katzen- und Hundefutter verzehrt. Die Apotheken wären voll mit Medikamenten, die verwaisten Läden voll mit Kleidung und Ausrüstung, und zahllose leerstehende Häuser böten Wohnraum.

Doch dieser Berg würde unaufhaltsam verrotten. Wer die Katastrophe überstanden hat, sollte schleunigst die Städte verlassen, schreibt Dartnell; besonders die Metropolen werden rasch zu Todesfallen. Faulende Lebensmittel und verwesende Leichen bergen erhebliche Gesundheitsrisiken und locken zudem Scharen von Ungeziefer und streunenden Hunden an. Schon bald funktioniert kein Lichtschalter, kein Wasserhahn und kein Aufzug mehr. Papier, das aus zersprungenen Fenstern weht, Laub und Müll sammeln sich in den Straßen, entzünden sich irgendwann und entfachen lodernde Feuersbrünste. U-Bahn-Schächte laufen voll und Gullys über.

Laut dem Autor sollten die Überlebenden eine ländliche Gegend mit fruchtbarem Ackerland aufsuchen, in der es Wald gibt (das Holz ist vielseitig nutzbar) und ältere Gebäude, die sich für ein Leben ohne Elektrizität eignen. Empfehlenswert seien küstennahe Regionen, um sich die Option auf Fischfang offenzuhalten. Dort solle man versuchen, den Faden der Zivilisation wieder aufzunehmen.

Destillat des heutigen Wissens

In den folgenden Kapiteln legt Dartnell einen Schweinsgalopp durch Natur-, Agrar-, Ingenieurwissenschaften und Medizin hin. Er möchte den hypothetischen Überlebenden die wichtigsten Grundlagenkenntnisse in praktisch umsetzbarer Form vermitteln. Streckenweise macht er das auch recht überzeugend. Er beschreibt verschiedene Feldfrüchte und was bei ihrem Anbau zu beachten ist, stellt historisch bewährte Fruchtfolgen vor und erklärt, wie die wichtigsten landwirtschaftlichen Geräte funktionieren. Er erörtert, wie man eine primitive chemische Industrie aufziehen kann – etwa, um Seife zu erzeugen oder Holz zu pyrolysieren, wobei sich wertvolle Substanzen gewinnen lassen: Holzkohle, Methanol, Aceton oder Pech. Später im Buch geht es um fortgeschrittene Verfahren der Chemie, beispielsweise um die Synthese von Sprengstoff, Fotopapier und Kunstdünger.

Der Autor umreißt Grundzüge der Metallurgie, gibt Tipps zum Errichten einfacher Schmelzöfen, beschreibt die Herstellung von Mörtel und Glas und widmet sich der Bereitstellung elektrischer Energie mit selbstgebauten Generatoren. Er thematisiert, wie man den Buchdruck neu erfinden kann, alte Autos mit Holzvergasern ausrüstet und simple Funkgeräte bastelt.

Leider sind viele dieser Exkurse sehr oberflächlich. Wenn Dartnell den Aufbau von Turbinen oder die Herstellung von Gummi behandelt, erledigt er das jeweils in wenigen Sätzen, die so gut wie kein praktisch umsetzbares Wissen vermitteln. Auch fällt mit steigender Seitenzahl immer stärker auf, wie spärlich bebildert das Werk ist. Alle paar Seiten ein kleinformatiges, weitgehend nichtssagendes Schwarzweißfoto – das reicht nicht, um den Stoff zu vermitteln.

Gemütliche Lektüre zwischen rauchenden Trümmern

Merkwürdig zudem, dass Dartnell die Form eines durchgehenden Fließtexts gewählt hat. Von einem "Handbuch" erwartet man doch eher strukturierte Tipps und Anleitungen, eventuell ergänzt um weiterführende Fließtext-Einschübe oder -anhänge. Glaubt der Autor, dass Menschen im Überlebenskampf die Muße haben, 300 Seiten zu lesen, um irgendwann – vielleicht – zu erfahren, was sie tun sollen?

Regelrecht ärgerlich ist der Abschnitt über Medizin. Gemessen an der immensen Bedeutung, die sie für Überlebende in Krisensituationen hat, erscheint unverständlich, warum der Autor sich auf ein paar oberflächliche Streifzüge durch Hygiene, Geburtshilfe und Diagnostik beschränkt, gefolgt von flüchtigsten Abhandlungen über Arzneimittelkunde und Mikrobiologie. Mehrfach betont er, wie wichtig es sei, die menschliche Anatomie zu kennen – eine bildliche Darstellung derselben sucht man vergebens.

Dartnell setzt sich in seinem Werk ein gewaltiges Ziel: die weitgehend umfassende Vermittlung jenes Wissens, das für einen zivilisatorischen Neustart unverzichtbar wäre. Obwohl das Buch gute Ansätze aufweist, verhebt sich der Autor an seinem Vorhaben.

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