Im Namen des Propheten
Der Islamwissenschaftler und Turkologe Lutz Berger versteht es, die Geschichte des Islam in dessen ersten hundert Jahren nüchtern und zugleich farbig darzulegen. Nüchtern, weil der Autor immer wieder auf die schwierige Quellenlage hinweist. Farbig, weil er pointiert Einblicke in eine Welt gibt, die von unseren heutigen Denkweisen sehr weit entfernt ist – ohne deren Kenntnis man das derzeitige Geschehen aber nicht verstehen kann.
Die Anfangszeit einer Religion, ob Islam, Juden- oder Christentum, ist historisch meist schwer zu fassen. Zeitgenössische Dokumente sind in der Regel äußerst rar, und Schriften aus späteren Epochen idealisieren und überformen die frühen Jahre üblicherweise. Berger bettet die Entstehung des Islam deshalb detailliert in die Geschichte des 6. und 7. Jahrhunderts ein. Die religiösen Probleme dieser Zeit verbindet er geschickt mit dem politischen Geschehen, das auf der einen Seite bis weit nach Asien und auf der anderen bis nach Europa ausstrahlte. Die Jahrzehnte damals waren überschattet von einem Konflikt zweier mächtiger Imperien, die sich einen langen und erbitterten Abnutzungskrieg lieferten: das oströmische Reich und das iranische Reich der Sassaniden. Beide standen sich unter anderem in religiösen Belangen als Kontrahenten gegenüber. Im Sassanidenreich dominierte der Zoroastrismus, der eng mit dem Iranertum verbunden war. Im oströmischen Reich hingegen das Christentum, wenn auch zerrissen von zahlreichen Auseinandersetzungen um die richtige Lehre. Das andauernde Ringen der Imperien band wirtschaftliche und militärische Kräfte und schwächte beide Großreiche enorm.
Tribale Gesellschaften
Vor dem Hintergrund dieser Situation, schreibt Berger, lässt sich die Ausbreitung des Islam von der abgelegenen arabischen Halbinsel her nachvollziehen. Anhand einiger Leitfragen beschreibt er den Aufstieg der jungen Religion: Warum setzte sich unter den Arabern der Islam durch, und nicht eine der anderen vorherrschenden Religionen? Wie gelang es den Muslimen innerhalb sehr kurzer Zeit, große Teile der Welt zu erobern? Wie veränderte sich die Welt durch das Auftreten der Muslime?
Als Leser erlebt man einige Aha-Momente, wenn der Autor beispielsweise die Stammesstrukturen arabischer Gesellschaften beleuchtet und den Islam als Religion ausmacht, in der die Araber ihre kulturelle Identität bewahren konnten, ohne sich zwischen christlichen Römern und zoroastrischen Sassaniden entscheiden zu müssen. Der ungeheure Expansionsdrang der Muslime und ihre militärischen Erfolge hingen damit zusammen, dass die neue Religion ihre Stammesverbände auf die Linie einer weitgehend einheitlichen Ideologie brachte.
Schia und Sunna
Die heutige islamische Welt mit ihren Konflikten zu erklären, das können historische Deutungen zwar nicht – darauf weist Berger explizit hin. Trotzdem hat man nach der Lektüre den Eindruck, derzeitiges Geschehen mit einem größeren Verständnis wahrzunehmen. Dies gilt etwa für die Unterschiede zwischen sunnitischer und schiitischer Konfession, die eine so große Bedeutung haben. Entstanden sind sie in der Frühzeit des Islam, und zwar im Zuge des Konflikts darum, wer rechtmäßiger Nachfolger Mohammeds sein solle – eine Auseinandersetzung, die in zwei Bürgerkriege mündete. Aus der unterlegenen Partei ging die religiöse Strömung der Schiiten hervor, deren Theologie sich von der Majorität der Sunniten abgrenzte.
Die Geschichte des Islam gehört nicht unbedingt zum allgemeinen Bildungsgut in Europa. Leserinnen und Leser, die kaum Kenntnisse darüber besitzen, werden manchmal Schwierigkeiten haben, den Ausführungen zu folgen. Das Glossar im Anhang des Buches leistet hier allerdings gute Dienste. Auch die Übersichtskarten in den Umschlagseiten sind sehr hilfreich.
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