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Revolution des Glaubens

Im Oktober 1517 begehrt in Wittenberg ein bislang unbekannter Augustinermönch gegen die Missstände in der römischen Kirche auf. Die Gedanken, die der aufmüpfige Theologe in 95 Thesen zusammenfasst, sind hochbrisant – und der katholischen Kirche ein Dorn im Auge. Nicht durch seine guten Werke, sondern nur durch den Glauben (sola fide) und die göttliche Gnade (sola gratia) erlange ein Christ das Seelenheil, predigt Martin Luther. Jeder Gläubige solle selbst in der Bibel lesen, um zu Gott zu finden.

Luther fordert die Menschen damit auf, in Glaubensfragen ausschließlich ihrem eigenen Gewissen zu folgen und nicht mehr klerikalen Dogmen. Revolutionär daran ist der Gedanke, dass Gläubige auch ohne Unterstützung eines geweihten Priesters mit Gott in Verbindung treten können. Damit verliert der katholische Klerus sein Monopol auf Vermittlung und Deutung der Religion – und der Papst seine Autorität als alleiniges geistliches Oberhaupt des Westens.

Gefährliche Gedanken

Luthers Thesen entwickeln binnen kürzester Zeit eine ungeheure Sprengkraft, dank der Erfindung des Buchdrucks, der seine Ideen in ganz Europa verbreitet. Die Kritik, die der Wittenberger Reformator am Papsttum äußert, an der Verweltlichung und Korruption der Geistlichkeit, wirkt entscheidend daran mit, die Einheit der römischen Kirche zu spalten und die politische Landkarte des frühneuzeitlichen Europa von Grund auf zu verändern.

Diese Weltrevolution des Glaubens beschreibt der schottische Historiker Peter Marshall in seinem sehr anschaulich und kenntnisreich geschriebenen Buch, das nun in deutscher Übersetzung vorliegt (Originaltitel: "The Reformation. A Very Short Introduction"). Der an der University of Warwick (England) tätige Gelehrte beschreibt die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren der Reformbewegung und erläutert, welche Folgen diese für Europa hatte.

Marshall behandelt die Reformation als gesamteuropäisches Phänomen und nimmt ihre vielfältigen Facetten ganzheitlich in den Blick – und hierin liegt die große Stärke des Buchs. Frühreformatorische Bewegungen, wie die des John Wyclif (1330-1384) in England und die des Jan Hus (1369-1415) in Böhmen, leuchtet der Autor ebenso aus wie die geistigen Grundlagen der Erneuerung, etwa den Humanismus und die Scholastik. Auch porträtiert er Leben und Wirken der wichtigsten Reformatoren: Martin Luther (1483-1546), Erasmus von Rotterdam (1467-1536), Ulrich Zwingli (1484-1531) und Johannes Calvin (1509-1564). Letzterer setzte seine theologische Lehre praktisch um und machte Genf zur "Musterstadt" der Reformation.

Kirchliche Macht auf dem Rückzug

Glänzend stellt der Autor die politischen Verwerfungen dar, die aus den konfessionellen Zwistigkeiten zwischen der kaiserlichen Zentralgewalt und den Landesfürsten im Heiligen Römischen Reich erwuchsen. Denn hier, wo die Kirche neben geistlicher Autorität auch weltliche Macht einbüßte, wuchs der Einfluss säkularer Herren. Sie nutzten die Schwäche des Papsttums dazu, ihre regionale Hoheit stärker geltend zu machen und auszuweiten. Fürstliche Landesväter übernahmen die Kontrolle über Kirchen und Klöster in ihren Herrschaftsgebieten, bestimmten über die Konfession ihrer Untertanen (cuius regio, eius religio, "wessen Gebiet, dessen Religion") und beschränkten vormals weltlich herrschende Bischöfe nun auf deren geistliche Rolle – ein erster Schritt auf dem Weg zur Trennung von Kirche und Staat.

Der Autor richtet seinen Blick auch nach Frankreich, wo unter dem Einfluss des Reformators Johannes Calvin die protestantische Bewegung der Hugenotten entstand, oder nach England, wo sich unter dem Tudorkönig Heinrich VIII. die anglikanische Kirche herausbildete.

Wer sich für das Zeitalter der Reformation (1517–1618) interessiert; wer verstehen möchte, welche tiefgreifenden Umwälzungen sie bewirkte; und wer wissen will, auf welche Weise die katholische Kirche ihr jahrhundertealtes Monopol auf die Köpfe und Herzen der Christen verlor – der ist mit Marshalls brillanter Darstellung bestens bedient.

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