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Kühler Aufbruch

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts kühlte das globale Klima merklich ab und blieb bis weit ins 18. hinein um 2 bis 4 Grad Celsius unter der vorherigen Durchschnittstemperatur. Die Winter wurden weltweit – obgleich regional unterschiedlich – länger und kälter, die Sommer kühler und regenreicher. In manchen Wintern waren Amsterdams Grachten lange zugefroren, wurden in London auf der Themse Märkte errichtet. Nicht nur unter der ungewöhnlichen Kälte litten Menschen und Tiere. Vor allem führten die kühlen Sommer zu schlechten Ernten, was Preise steigen ließ und Hungersnöte auslöste, die wiederum Epidemien zur Folge hatten. Die Ursachen für diesen Klimawandel sind bis heute nicht ganz klar.

Der Wiener Schriftsteller und Historiker Philipp Blom vermeidet es, die gewaltigen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Veränderungen, die in diesen Jahrhunderten in Europa stattfanden, monokausal mit dem Klimawandel zu erklären. Aber er zieht vorsichtig Parallelen, beschreibt den Abschied aus einer zutiefst religiös geprägten Welt und den Aufbruch in ein zunehmend aufgeklärtes, naturwissenschaftlich geprägtes Denken. Auch wenn es zunächst nicht auf der Hand liegt: Das Klima spielte dabei indirekt eine Rolle. Denn die weit verbreitete Antwort, die Religionsvertreter auf die Unbill der Witterung gaben, waren Gebete, Aufforderungen zur Buße und das Suchen nach Schuldigen, die man verantwortlich machen konnte für das Wetter als göttliche Strafe. Die Hexenverbrennungen erreichten nicht zufällig just in dieser Zeit ihren grausigen Höhepunkt. Und im Fahrwasser der Reformation stürzte Europa im 17. Jahrhundert in nicht enden wollende, blutige Bürgerkriege.

Aufs Diesseits gerichtet

Eben jene Reformation bereitete aber auch den Weg für ein weniger religiös verhaftetes Denken, das eine auf Erfahrung rekurrierende Naturbetrachtung begünstigte und sich statt auf die Bibel auf Empirie, Mathematik und Logik stütze. Die modernen Naturwissenschaften wurden geboren. Einerseits entstand hierdurch eine säkulare Philosophie, die sich von religiöser Bevormundung langsam befreite. Als Beispiel geht Blom ausführlich auf den Philosophen Baruch de Spinoza (1632-1677) ein, der Gott mit der Natur gleichsetzte und letztere streng logisch analysierte. Das erlaubte ihm, den Menschen so betrachten, "wie er ist", also ohne religiöse Jenseitsorientierung. Was ihm den Vorwurf des Atheismus und massive Verfolgung einbrachte.

Andererseits waren die frühneuzeitlichen Naturwissenschaften sehr an praktischer Nutzanwendung orientiert – ob in Landwirtschaft, Handwerk, Ökonomie oder Medizin. Und erlaubten es den Zeitgenossen schon bald, auf die Kältewellen mit einem massiven wissensbasierten Wandel der Lebens- und Arbeitsweisen zu antworten. Anstelle des Kleinbauerntums entstanden Gutshöfe, die mit verbesserten Techniken und neuen Nutzpflanzen wie der Kartoffel für einen großen Markt produzierten. Amsterdam wurde zur Drehscheibe des Handels mit nordosteuropäischem Getreide, das schlechte Ernten ausgleichen half. Der heraufdämmernde Kapitalismus und der intensiver werdende Kolonialismus erlaubten es Britannien, zur ökonomisch führenden Weltmacht aufzusteigen. Bekanntlich war dieser Wandel mit Krieg, Unterdrückung und Ausbeutung verbunden.

Ausgehend von diesen historischen Tatsachen zieht Blom Parallelen zum gegenwärtigen Klima- und Gesellschaftswandel. Seine Schlussfolgerungen fallen eher pessimistisch aus. Er sieht die liberale und auf Menschenrechten beruhende Demokratie durch autoritäre Tendenzen massiv gefährdet. Denn angesichts der Klimaveränderungen drohten massive Verteilungskämpfe, sowohl zwischen Bevölkerungsgruppen als auch zwischen Staaten, die ihrerseits durch Migration destabilisiert werden könnten.

Das Buch ist durchaus lesenswert. Allerdings behandelt der Autor die verschiedenen Themen häufig ohne Querbezüge untereinander, so dass die Lektüre nur selten einen übergreifenden Blick auf das Ganze vermittelt.

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