Apocalypse Now
Endzeitängste sind heute wieder weit verbreitet. Sie haben eine lange Geschichte. Der Historiker Johannes Fried von der Universität Frankfurt zeigt im vorliegenden Buch, dass sie primär die christlich-abendländischen Kulturen prägen.
Der Untergang der Welt ist sogar eine Erfindung des Christentums. Es lebte immer in der Erwartung, dass Christus bald wiederkehren werde. Die Tempelzerstörung und der Brand von Jerusalem im Jahre 70 ließen den Glauben an ein umfassendes Weltgericht entstehen, das mit der Apokalypse gleichzusetzen sei. Dieses Denken gab es in anderen antiken Religionen nicht. Jüdische Vorstellungen gehen lediglich von einem göttlichen Gerichtstag aus, an dem ein Schmelzofen eine Rolle spielt. Doch darin verbrennen laut Überlieferung nur jene, die gegen Gottes Gebote verstoßen haben. Der Islam, von jüdischen wie von christlichen Einflüssen geprägt, kennt Weltuntergangsideen zwar, misst ihnen aber keine herausragende Bedeutung bei. In anderen großen Religionen wie dem Buddhismus oder dem Hinduismus spielen sie keine Rolle.
Leben in ewiger Furcht
Aus apokalyptischen Vorstellungen heraus entwickelte das Christentum eine Technik der psychologischen Lenkung. Denn das "Jüngste Gericht" lässt keinerlei Revision zu: Nach ihm kann niemand mehr für seine Vorfahren beten. Und da angeblich nur Gott weiß, wann es soweit ist, muss jeder Mensch stets so leben, als könne das Finale jederzeit kommen.
Dass es ganz überraschend eintrete, glaubt man indes auch nicht. Vielmehr kündige es sich durch Zeichen an: Unwetter, böse Menschen oder das Erkalten der Liebe, so das Matthäus-Evangelium. Auf solche Hinweise solle man achten. Karl der Große (zirka 747-814) beauftragte seine Gelehrten damit, das Alter der Erde genau zu berechnen, denn dieser sollen laut Altem Testament nur sechs- bis siebentausend Jahre vergönnt sein. Die Gelehrten addierten die angeblichen Lebensalter von Adam und Noah (je 700 Jahre), Abraham (ca. 160 Jahre) und weiteren Bibelgestalten und kamen zum Ergebnis, der Weltuntergang stehe kurz bevor. Vielleicht deshalb entschloss sich Karl dazu, einen römischen Kaisertitel anzunehmen. Denn aus dem zweiten Thessalonicher-Brief (Neues Testament) ergibt sich, dass das Jüngste Gericht nicht stattfindet, solange das Römische Reich besteht.
Man sollte meinen, mit dem Aufkommen der modernen Naturwissenschaften würden apokalyptische Vorstellungen überwunden. Doch weit gefehlt. Das christliche Denken von Anfang und Ende der Welt hat sich längst in die kollektive Psyche eingebrannt, wie der Autor zeigt. Deshalb seien Wissenschaftler noch heute von Anfängen und Untergängen fasziniert – man denke an den Urknall, an den Sturz von Materie in schwarze Löcher oder an Endszenarien wie "Big Rip" und "Big Crunch". "Der Weltuntergang", schreibt Fried, "findet auch für [die Wissenschaft] statt; die Prognostik streift sich lediglich andere, eben naturwissenschaftlich und kosmologisch gefärbte Kleider über." Besonders aktuell ist natürlich die Debatte um den anthropogenen Klimawandel.
Finsternis wird kommen – und zwar am Abend
Die Kultur, so der Autor, sei ebenfalls von Weltuntergangsszenarien geprägt. "Heutige Filmkunst wiederholt und propagiert – je jünger, desto eindringlicher – die Prognose eines endgültigen Untergangs von Erde und Menschheit, die sich seit Jahrhunderten im 'Westen' eingenistet hat." Die ursprüngliche christliche Idee des Weltenfinales sei allerdings mittlerweile verblasst; in den großen Kirchen werde kaum noch über sie gesprochen. Dennoch erschaudern Zeitgenossen nach wie vor, wenn sie von einschlägigen religiösen oder esoterischen Prophezeiungen erfahren. Kurz vor der zurückliegenden Jahrtausendwende fanden die Weissagungen des Nostradamus selbst unter aufgeklärten Zeitgenossen Gehör. Und Zeitungen wie "Die Welt", eigentlich in der seriösen Presselandschaft zu verorten, berichten allen Ernstes über die Endzeitprognosen der bulgarischen Seherin Baba Wanga.
Frieds Resümee: "Das apokalyptische Repertoire hat sich nicht verflüchtigt, die eschatologische Denkfigur ist so aktuell wie eh und je." Ein lesenswertes Buch.
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