Eine furchtbar nette Familie
Nahezu 500 Jahre lang wurde das römische Gemeinwesen, die "res publica Romana", von einem aristokratischen Herrschaftskollektiv regiert, das sich mittels jährlich wechselnder Beamter in einer Art Rotationsprinzip die Macht teilte. Ambitionierte Führungspersönlichkeiten unterhöhlten dieses Regime jedoch seit etwa 100 v. Chr. Nach der Ermordung Iulius Caesars (44 v. Chr.) schließlich kämpfte sich sein Adoptivsohn Oktavian, der spätere Kaiser Augustus, an die Spitze des zerrütteten römischen Staats. Mit viel Geschick und Rücksichtslosigkeit etablierte er dort ein neues politisches System im Gewand des alten: den Prinzipat, die "Herrschaft des ersten Mannes".
Der britische Schriftsteller Tom Holland hat jetzt diese Jahre jetzt neu erzählt. Im vorliegenden Buch spannt er den Bogen von Caesars Ermordung bis zum Tod des letzten Blutsverwandten der iulisch-claudischen Herrscherdynastie (68 n. Chr.). Allgemeinverständlich, lebendig und dennoch wissenschaftlich präzise schildert er, wie Oktavian seine im Bürgerkrieg erworbene, in der republikanischen Ordnung jedoch nicht vorgesehene Machtfülle rechtlich so zementierte, dass die Senatoren sie akzeptierten. Damit, so Holland, sei ihm etwas historisch Einmaliges gelungen, nämlich eine Monarchie zu errichten und sie als Republik auszugeben.
Paradoxes Versteckspiel
Holland entlarvt die Paradoxie des Prinzipats: Der "erste Mann" war auf eben jene republikanischen Institutionen angewiesen, die er selbst entmachtet hatte, um seine monokratische Herrschaft zu rechtfertigen. "Die Senatoren hatten so zu handeln, als besäßen sie eine Macht, die sie nicht mehr hatten. Der Kaiser hatte seine Macht so auszuüben, dass es schien, als ob er sie nicht besitze."
Doch dieser "faule Kompromiss" hatte nicht lange Bestand. Augustus‘ Nachfolger definierten die Rolle des Kaisers neu und zerstörten die Doppelbödigkeit, die das Verhältnis von Kaiser und Aristokratie noch erträglich gemacht hatte. Angesichts ihrer Machtfülle vermochten sie nicht einzusehen, warum sie auf ein gutes Verhältnis zur senatorischen Führungsschicht angewiesen sein sollten. Caligula verstieß als erster Kaiser offen gegen die Spielregeln des augusteischen Systems, indem er durch seine Überhöhung zum Gottkaiser dessen republikanischen Rahmen sprengte.
Profund stellt Holland die politisch-gesellschaftlichen Verwerfungen dar, die mit der Errichtung des Prinzipats einhergingen. Sein Blick hinter die Kulissen der Macht zählt zu dem Besten, was über die "aula Caesaris", den römischen Kaiserhof, geschrieben wurde. Prägnant beschreibt er den erbarmungslosen Kampf um Einfluss und Macht, den beide Linien des iulisch-claudischen Kaiserhauses miteinander ausfochten und dem gegenüber sich "Game of Thrones" harmlos ausnimmt. Roms Kaiserhof erscheint hier als Hort der Intrige, in dem die Kunst der Verstellung zur Lebensversicherung wurde.
Zwischen Wahn, Perversion und zynischer Berechnung
Der Autor fokussiert auf fünf Kaiser, deren Wirken er breit, detailliert und in glänzenden Charakterstudien beschreibt. Augustus (27 v. bis 14 n. Chr.), Begründer der iulisch-claudischen Dynastie, opferte die eigene Familie rücksichtslos den Gesetzen der Machtpolitik. Tiberius (14-37 n. Chr.), misstrauisch und skrupellos, vernichtete seine politischen Gegner in so genannten Majestätsprozessen und lebte seine perverse Triebhaftigkeit in seinem Domizil auf Capri aus. Caligula (37-41 n. Chr.), der Wahnwitzige, machte sein Pferd zum Konsul, erhob die kalkulierte Unberechenbarkeit zum Prinzip und nutzte zynisch-konsequent den Opportunismus der römischen Senatsaristokratie aus, um seine Alleinherrschaft durchzusetzen. Claudius (41-54 n. Chr.), als Trottel und Pantoffelheld verspottet, stand unter dem Einfluss dominanter Frauen. Nero schließlich (54-68 n. Chr.), exaltierter Künstlerkaiser und Muttermörder, trat mit Lyra auf der Bühne und als Wagenlenker in der Arena auf – und führte damit traditionelle Herrschertugenden ad absurdum.
Mit historischer Urteilskraft und großer Erzählkunst zeichnet Holland die "Flegeljahre" des Prinzipats nach. Überzeugend arbeitet er heraus, welche historische Bedeutung sie hatten: Mit dem Tod Neros endete zwar die iulisch-claudische Dynastie, nicht aber das Kaisertum.
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