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»Gesichter der Mathematik«: Mathematik in kleinen Häppchen

Anekdoten statt langer Beschreibungen – Edmund Weitz stellt 111 Persönlichkeiten der Mathematik in lebendigen Kurzporträts vor.
Ganz viele Zahlen

Wenn man dem Vorwort seines neuen Buches glauben mag, dann hat Edmund Weitz – überspitzt formuliert – die Sammlung von 111 Geschichten über Mathematikerinnen und Mathematiker mehr oder weniger nur deshalb zusammengestellt, weil die Illustratorin und freie Künstlerin Heike Stephan ihm in den zurückliegenden Jahren eine solche Fülle von sehenswerten Zeichnungen von Mathematikern zur Verfügung gestellt hatte, dass es einfach zu schade gewesen wäre, wenn es für diese Bilder keine angemessene Möglichkeit der Veröffentlichung gegeben hätte.

Und so verfasste der begnadete Geschichtenerzähler Edmund Weitz zu 111 gezeichneten Porträts kurze Texte, die die Leserinnen und Leser neugierig machen sollen, mehr über die beschriebenen Personen zu erfahren.

Weitz ist Professor für Mathematik und Informatik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Auf seinem YouTube-Kanal veröffentlicht er seit Jahren populäre Vorlesungen zu mathematischen Themen, die er stets durch Anekdoten anzureichern weiß. Anekdoten spielen auch in diesem Buch eine wichtige Rolle, verraten sie doch oft mehr über die Persönlichkeiten als lange Beschreibungen.

Weitz bezeichnet seine Sammlung als »biographische Miniaturen«. Tatsächlich sind die Texte nicht sehr umfangreich: Die Zeichnungen nehmen jeweils etwa eine dreiviertel Seite ein, dann folgt der Textbeitrag, der dann etwas mehr als eine Seite umfasst – so ergeben sich 111 Doppelseiten mit Zeichnung und Text. Zwischen den vier Abschnitten des Buchs findet man lesenswerte allgemeine Beschreibungen zur Entwicklung der Mathematik.

Es ist klar, dass in so wenigen Textzeilen weder umfangreiche Details zum Lebenslauf noch konkrete Ausführungen zu den wissenschaftlichen Beiträgen untergebracht werden können – dies will Weitz auch gar nicht leisten. Selbst die Information über Geburts- und Todesjahr der Mathematikerinnen und Mathematiker findet man nicht im Text, sondern jeweils am Ende des Textbeitrags auf der zweiten Seite in einer kaum lesbaren Schriftgröße.

Am Ende des Buches folgt als »Weiterführende Literatur« eine Liste von 334 Büchern als »Leseempfehlung«, allerdings keinerlei Hinweise auf Zeitschriftenartikel, aus denen man mehr über das Werk der beschriebenen Personen erfahren könnte. Und als einzige Internetquelle ist das umfassende Angebot der St. Andrews University erwähnt. Das alphabetisch nach Autoren geordnete Verzeichnis der Leseempfehlungen ist durchnummeriert; am Ende der einzelnen Textbeiträge zu den Personen genügt daher jeweils die Angabe der betreffenden Nummern aus dem Literaturverzeichnis. Das außergewöhnlich umfangreiche Stichwortverzeichnis umfasst 25 Seiten; es enthält – wie Weitz selbst einräumt – viele scheinbar unwichtige Begriffe, die jedoch den Leser neugierig machen sollen, in welchem Zusammenhang etwa »Abrüstung«, »Adoption«, »Affäre« oder »Amphetamine« eine Rolle gespielt haben.

Wie auch im Sachbuch »Pi und die Primzahlen« ist der Erzählstil des Autors unterhaltsam und kurzweilig, oft flapsig, aber nie unseriös. Die 111 Miniaturen sind abwechslungsreich geschrieben – mal beginnt Weitz seine Kurzgeschichten mit einer Anekdote, mal mit einem begeisterten oder einem abwertenden Zitat eines Zeitgenossen, selten mit der Beschreibung des Lebenslaufs in chronologischer Reihenfolge.

Der Autor scheut sich nicht, hinsichtlich der Bedeutung der beschriebenen Person Klartext zu reden. Beispielsweise heißt es am Ende seines Beitrags über Ferdinand von Lindemann: »… hat als junger Mann Mathematikgeschichte geschrieben. Wäre er direkt danach gestorben, dann wäre daraus vielleicht der Stoff für eine Legende geworden. Er wurde allerdings 86 Jahre alt und ist deshalb heute nur noch eine Fußnote der Historie.«

Die einzelnen Geschichten der Sammlung können unabhängig voneinander gelesen werden. Wenn man irgendeine Seite aufschlägt und zu lesen beginnt, dann wird man vermutlich anschließend auch die nächste Geschichte lesen und die übernächste … – es besteht keine Gefahr, dass es einem bei der Lektüre langweilig wird. Natürlich wird man nicht das ganze Buch auf einmal lesen wollen, so wie man vielleicht einen spannenden Roman nicht aus der Hand legen möchte, aber die Kürze der einzelnen Beiträge macht neugierig auf den nächsten.

Weitz hat das Buch in vier große Abschnitte unterteilt (entsprechend zu vier historischen Abschnitten). Nur sieben der 111 Geschichten beziehen sich auf Persönlichkeiten aus dem Altertum und aus dem Mittelalter: Thales, Euklid, Archimedes, al-Chwarizmi, Fibonacci, Stifel und Cardano. Dann folgen 35 Miniaturen über Personen der »Neuzeit« – von Descartes bis Riemann. In einem dritten Abschnitt widmet sich Weitz 32 Mathematikerinnen und Mathematikern der »Moderne« – von Dedekind bis Siegel. Im letzten Kapitel über noch lebende oder vor nur wenigen Jahren verstorbene Wissenschaftler findet man 37 Beiträge – von Tarski bis Mirzakhani.

Die Reihenfolge der Porträts ergab sich allein aus dem Geburtsdatum der beschriebenen Personen; insofern erfolgte auch eine etwas willkürliche Aufteilung hinsichtlich der Epochen: Beispielsweise legte Weitz den Übergang zwischen Neuzeit und Moderne allein durch das Geburtsjahr 1830 fest.

Dass im Buch die Frauenporträts deutlich in der Unterzahl sind, spiegelt die historischen Fakten wider – das Badeanstalt-Zitat von Hilbert im Zusammenhang mit der Nichtbeachtung von Emmy Noethers Potenzial darf natürlich auch in diesem Buch nicht fehlen. So sind nur sieben Porträts über Mathematikerinnen im Buch enthalten: Sophie Germain, Sofja Kowalewskaja, Grace Chisholm Young, Emmy Noether, Ruth Moufang, Julia Robinson und Maryam Mirzakhani.

Auch wenn es insgesamt 111 Persönlichkeiten sind, über die Weitz berichtet, so ist doch klar, dass man die eine oder andere Persönlichkeit in der Sammlung vermissen wird. Dass – bis auf al-Chwarizmi – keine anderen Mathematiker aus dem islamischen Kulturraum erwähnt werden, ebenso wenig wie chinesische oder indische Mathematiker aus Altertum und Mittelalter, mag vielleicht damit zusammenhängen, dass niemand weiß, wie diese ausgesehen haben, oder dass über diese keine Anekdoten bekannt sind; bedauerlich ist es dennoch. Andererseits bietet Weitz durch sein Buch einen gewissen Einblick in die vielfältigen Bereiche, die die aktuellen Forschungsbereiche der Mathematik ausmachen, indem er zahlreiche noch lebende Persönlichkeiten in seine Sammlung aufgenommen hat.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das lesenswerte Buch seinen Leserinnen und Lesern auf unterhaltsame Weise die Möglichkeit bietet, in kleinen Häppchen etwas über die Geschichte der Mathematik zu erfahren und über die Persönlichkeiten, die zur Entwicklung dieser Wissenschaft beigetragen haben.

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