Sitzen ist das neue Rauchen
Viele Menschen bewegen sich nicht mehr genug – egal ob Schulkinder, Erwachsene oder Senioren. Die Gründe dafür sind vielfältig. So sind sitzende Tätigkeiten heute die Norm im Berufsleben, obwohl sie ein völlig unnatürliches Bewegungsverhalten abfordern. Wo früher Treppen waren, gibt es heute oft Rolltreppen, und statt des Fahrrads nehmen viele das Auto oder den Bus. Zudem bestimmen Computer und Fernseher den Alltag vieler Menschen: Man verbringt den Tag sitzend vor dem Bildschirm, fährt sitzend nach Hause und sitzt abends vor dem TV-Gerät, bevor man sich hinlegt. Genauso spielen aber auch unsere Einstellungen eine große Rolle. Wenn die Familie etwa der Meinung ist, es sei besser für Oma, im Bett zu liegen, da sie so nicht stürzen könne, dann schwindet ihre Beweglichkeit zwangsläufig.
Die Folgen sind in vielen Fällen Übergewicht, Herz- und Gefäßkrankheiten, Diabetes und metabolisches Syndrom. Bewegungsmangel gilt mittlerweile als vierthäufigste Todesursache weltweit und führt zu ähnlich vielen Todesopfern wie Rauchen. Nicht nur deshalb fordert Erik Scherder, Professor für Neuropsychologie an der Universität Amsterdam, mehr Bewegung. Denn diese tue auch dem Geist gut.
Ein Wundermittel zum Preis von null Euro
Körperliche Aktivitäten wie Radfahren, Laufen und Gymnastik steigerten, so Scherder, die Gedächtnisleistung sowie die Bildung neuer Nervenzellen. Zudem verbesserten sie exekutive Funktionen wie Aufmerksamkeit, Planung und Impulskontrolle. Dabei sei der Effekt bei zuvor besonders inaktiven Menschen am stärksten. Sport beuge außerdem Erkrankungen wie Demenz vor und lindere die Symptome von Schlaganfallpatienten und depressiven Menschen. Wie er sich auf unsere Lebenszufriedenheit, unser Glücksempfinden und Selbstvertrauen auswirkt, erläutert der Autor jedoch nicht, sondern verweist nur auf einen Artikel, in dem man dies nachlesen kann.
Unterhaltsame Anekdoten aus Scherders Leben helfen, bestimmte Punkte zu verdeutlichen. Beispielsweise meint er, durch Rollatoren könne eine beginnende Bettlägerigkeit hinausgezögert werden. Die Geräte dürften aber nicht zu früh verwendet werden, um das Gehirn nicht zu unterfordern. Weil der Autor anschaulich von einem Rollator-Rennen erzählt, bleibt der Punkt gut im Gedächtnis.
Leider ist es hin und wieder schwierig, Scherders Gedankengängen zu folgen; manchen Kapiteln fehlt der rote Faden. Ebenso machen die nüchterne Aneinanderreihung von Studien, thematische Sprünge, fehlende Erläuterungen und Ungenauigkeiten die Lektüre streckenweise anstrengend.
Alles in allem überzeugt der Neurowissenschaftler zwar mit seinem Appell für mehr Bewegung, jedoch hätten weniger Studien und ein besserer Erzählfluss dem Buch gutgetan.
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