Moralphilosophie des Klimawandels
Erfordert der anthropogene Klimawandel eine neue Ethik? Der renommierte Philosoph Dieter Birnbacher bejaht das. Ein Anstieg der globalen gemittelten Temperatur, der über 2 Grad hinausgeht, wird höchstwahrscheinlich fatale Folgen gerade für jene Länder haben, die für die CO2-Emissionen kaum verantwortlich sind. Das macht das Klimaproblem nicht nur zu einem politischen, sondern auch zu einem ethischen, indem es eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Staaten verlangt, die sich auf rationale ethische Argumente stützt.
Klimaethik besitzt allerdings auch eine individuelle Dimension. Angesichts der absehbaren Folgen der Erwärmung kann und muss der einzelne Mensch Klimaverantwortung übernehmen – wie marginal diese auch immer sein mag. Weil sich das so schwer vermitteln lässt, ist die Klimaethik besonders herausgefordert, zur individuellen Motivation beizutragen.
Birnbacher stellt deshalb nicht einfach Normen auf, denen Individuen ebenso wie Institutionen zu folgen haben. Als vielleicht wichtigster Vertreter einer utilitaristischen Ethik in Deutschland beschäftigt er sich vielmehr damit, wie ethische Forderungen mit konkreten Interessen so verknüpft werden können, dass sie Motivationskräfte entfalten.
Theorie und Praxis
Der Autor umreißt zunächst eine "ideale Theorie" der Klimaethik, die eine "ethisch wünschenswerte Lösung" ohne Rücksicht auf konkrete Handlungsbeschränkungen formuliert. Anschließend stellt er eine praxisnähere, "nichtideale Theorie" vor, in der es unter anderem darum geht, die ideale Lösung in nationales und internationales Recht zu übersetzen, um pragmatisch-strategische Normen mit den Interessen der betroffenen Akteure in Einklang zu bringen.
Wenn es um die Frage geht, wie sich die Lasten einer klimaschonenden Politik umverteilen lassen, greift Birnbacher auf das "subjektive Wohlbefinden" als ethisch utilitaristisches Leitprinzip zurück. Er meint damit, dass nicht nur das Wohlergehen reicher und armer Bevölkerungen in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden müssen, sondern auch das von künftigen Generationen zu berücksichtigen ist.
Um individuell zu motivieren, verknüpft Birnbacher die Klimaethik mit den Menschenrechten. Erstens sind diese weithin anerkannt. Zweitens geht es bei ihnen keinesfalls um ideale ethische Zielvorstellungen, sondern um ein elementares Minimum an Grundgütern wie Subsistenz, Freiheit und Gesundheitsschutz. Auch künftige Generationen werden solche universellen Rechte wohl zu schätzen wissen; zugleich darf man ihnen utilitaristisch ein Interesse an subjektivem Wohlergehen unterstellen.
Der Autor plädiert kompetent, abgewogen, aber manchmal auch philosophisch etwas zu komplex für eine Klimaethik und gegen die "Zukunftsvergessenheit" in Politik und Gesellschaft. Ein Buch eher für einschlägig Vorgebildete, mit dem Laien stellenweise Schwierigkeiten haben könnten.
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