Wenn die Lust schwindet
Langeweile im Bett, Fremdgehen, Impotenz: Viele Paare erleben irgendwann sexuelle Probleme und Krisen. Die Dauer der Beziehung spielt hierbei ebenso eine Rolle wie außergewöhnliche Ereignisse, etwa die Geburt eines Kindes. Die Paar- und Sexualtherapeutinnen Kirsten von Sydow und Andrea Seiferth beleuchten in ihrem Buch verschiedene sexuelle Störungen und zeigen, wie man diese behandeln kann. Dabei stützen sie sich auf aktuelle Studien und ordnen die zitierten Untersuchungen nach Aussagekraft und Seriosität ein. Zudem lassen sie ihre eigenen therapeutischen Erfahrungen einfließen.
Zunächst stellen sie die sexuelle Dynamik heterosexueller Paarbeziehungen in unterschiedlichen Lebensphasen anhand empirischer Erkenntnisse dar. Gleichgeschlechtlichen Paaren widmen sie nur einen knappen Exkurs, was sie mit der unzureichenden Datenlage begründen. Anschließend behandeln sie ein breites Spektrum sexueller Probleme, wobei sowohl Funktionsstörungen wie Impotenz zur Sprache kommen als auch Langeweile, Gewalt und Fremdgehen. Diagnosen wie die "hypoaktive Störung" – also mangelndes sexuelles Interesse – diskutieren die Autorinnen kritisch: Was ist normal, und ab wann ist eine Therapie geboten?
Das Märchen von der nie endenden Lust
Die Vorstellung, jedes Paar könne ein Leben lang aufregenden Geschlechtsverkehr haben, entlarven von Sydow und Seiferth als realitätsfern. In den weitaus meisten Dauerbeziehungen schwinde das gegenseitige sexuelle Interesse mit der Zeit. Ein wichtiges Ziel der Paartherapie laute demnach, den Patienten zu vermitteln, dass ein Nachlassen der Libido nicht zwangsläufig auf Beziehungsprobleme hindeutet, sondern ganz normal ist – allem Leistungsdruck zum Trotz, den die Gesellschaft mehr oder weniger unterschwellig ausübt. Immer wieder betonen die Autorinnen, es gebe keinen einfachen Zusammenhang zwischen partnerschaftlicher Zufriedenheit und Sexualität. So könne gerade eine besonders enge, vertraute Bindung mit wenig körperlicher Lust einhergehen.
Auf der Grundlage einschlägiger theoretischer Konzepte geht das Buch auf verschiedene Ansätze ein, sexuelle Störungen zu behandeln. Pharmakologische Therapien, etwa mit Viagra, erörtern die Autorinnen ebenso wie verschiedene psychotherapeutische Ansätze. Von Sydow und Seiferth befürworten ein integratives Herangehen, also die Kombination von Paar- und Sexualtherapie sowie verschiedener Methoden der Psychotherapie. Es habe sich beispielsweise als nützlich erwiesen, sowohl Kindheitserfahrungen des Patienten herauszuarbeiten als auch sein Zusammenleben mit dem Partner zu analysieren. An konkreten Fallbeispielen aus ihrer therapeutischen Praxis machen die Autorinnen das deutlich.
Das gut gliederte Inhaltsverzeichnis, Zusammenfassungen an den Seitenrändern und das Stichwortverzeichnis erlauben es, Begriffe und Themen gezielt nachzuschlagen. Wichtige Aussagen werden an mehreren Stellen wiederholt, so dass man die Kapitel auch isoliert lesen kann. Der Band richtet sich zwar ausdrücklich an Psychotherapeuten, und die Autorinnen empfehlen hilfesuchenden Paaren andere Literatur. Dennoch eignet sich das Buch auch für Laien, da es den aktuellen Forschungsstand verständlich zusammenfasst und aufschlussreiche Einblicke in das Spektrum sexueller Beziehungsprobleme gibt.
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