Bibelmythen auf dem Prüfstand
Wie glaubwürdig ist die Bibel? Wie ernst darf man die Erzählungen um den Garten Eden und die Sintflut nehmen? Und was ist von den Berichten um Moses und den Auszug des israelitischen Volkes aus Ägypten zu halten? Diesen und anderen Fragen widmet sich der amerikanische Archäologe Eric Cline in seinem Buch "Warum die Arche nie gefunden wird" (englische Originalausgabe "From Eden to Exile", 2007).
Cline, Direktor des Archäologischen Instituts der George Washington University in Washington D. C., geht es vornehmlich darum, die historische Wahrheit hinter den biblischen Texten zu ergründen. Vehement wendet er sich gegen jene selbst ernannten Experten, die behaupten, sie hätten die Arche Noah am Berg Ararat entdeckt, den üppigen Garten Eden aufgespürt oder die verlorene Bundeslade gefunden. Diesen Pseudoforschern, die verlorenen Bibel-Schätzen hinterherjagen wie Indiana Jones, dürfe man – so Cline – auf keinen Fall das Feld überlassen. Deshalb sei es "höchste Zeit für professionelle Archäologen, Althistoriker und etablierte Bibelforscher, ihr von diesen Hobbygelehrten besetztes Terrain zurückzuerobern".
Noahs Riesenkahn
Aus der Überzeugung heraus, dass die allgemeine Öffentlichkeit Besseres verdiene als "pseudowissenschaftlichen Unsinn", stellt Cline sieben Bibelrätsel auf den Prüfstand: die Lokalisierung des Garten Eden, die Arche Noah, die verschwundenen Städte Sodom und Gomorrha, Moses und den Exodus aus Ägypten, Josua und die Schlacht um Jericho, die Bundeslade sowie die zehn verlorenen Stämme Israels. Es ist spannend zu lesen, wie Cline jedes Mysterium in den richtigen historischen Kontext stellt, Quellen vergleicht, unterschiedliche Theorien nüchtern gegeneinander abwägt und populäre, aber wenig hieb- und stichfeste Thesen wissenschaftlich fundiert ad absurdum führt.
Der Autor gesteht ein, dass die Bibel voller Geheimnisse steckt, die wohl nie aufgeklärt werden. Überhaupt sei es schwierig, zu den Erzählungen des Alten Testaments einen historischen Bezug herzustellen, da diese etliche Jahrhunderte lang nur mündlich überliefert und erst dann aufgeschrieben wurden. Das gelte für den Ort des Garten Eden ebenso wie für Noahs Arche, wobei die biblische Erzählung von der Sintflut durchaus auf ältere Flutberichte der Sumerer (Gilgamesch-Epos, um 1800 v. Chr.) zurückgehen könnte, die im Lauf der Jahrhunderte im Alten Testament verschriftlicht worden seien.
Höchstwahrscheinlich, schreibt Cline, sei der Garten Eden kein geografisch bestimmbarer Ort, sondern eine Metapher, um zu erklären, wie das Böse in die Welt kam. Ähnlich verhalte es sich mit Sodom und Gomorrha, die wohl lediglich Namen darstellten – Chiffren für moralische Verfehlung und Verderbtheit. Und die Mauern von Jericho? Die seien nicht durch einen Trompetenstoß eingestürzt, sondern durch ein schweres Erdbeben: Dort gefundene Steine zeigten typische Risse seismischer Zerstörung.
Sprachverwirrung um Tempelturm
Andere Bibelpassagen wiederum lassen sich durchaus anhand von archäologischen Funden verifizieren. So haben Forscher herausgefunden, dass die biblische Erzählung vom Turmbau zu Babel zu den Überresten religiöser Bauten (Zikkurate) passt, die im 2. Jahrtausend v. Chr. in Babylon, Uruk und Ur entstanden.
Ein politisch wie religiös heißes Eisen packt Cline an, wenn er sich mit der biblischen Erzählung vom Exodus des Volkes Israel aus Ägypten befasst sowie mit Joshuas Heldentaten. Schließlich zählen diese zu den Gründungsmythen des Staates Israel. Beide Ereignisse haben so wohl nie stattgefunden – dies belege der archäologische Befund, schreibt der Autor. Konsens zwischen Archäologen und Historikern besteht darin, den Exodus nicht als ein einzelnes Ereignis, sondern als eine sich über Jahrzehnte hinziehende Migration im 14. und 13. vorchristlichen Jahrhundert anzusehen. Später wurde sie dann womöglich zu einer poetisch stilisierten Legende einer einzigen großen Rettung verdichtet. Demnach sei die legendäre israelitische Landnahme Kanaans keine gewaltsame Eroberung gewesen, sondern eine friedliche Immigration mehrerer Völkerschaften. Das hieße, vor langer Zeit bewohnten Israeliten und Kanaaniter gleichzeitig das Land, weil sie ein und dasselbe Volk waren. Was wiederum bedeuten würde, dass der heutige Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern eher ein Bruderzwist oder eine "verunglückte Familienzusammenführung" als der Krieg zweier Völker sei.
Votum gegen die Müllwissenschaft
Clines Buch appelliert an Fachleute, die akademische Deutungshoheit über die Bibelforschung zurückzugewinnen. Es gelte, der auf Halbwissen und Mutmaßungen gründenden "Junk Science" mit fundierten archäologischen Fakten entgegenzutreten. Das gelingt dem Autor überzeugend. "Warum die Arche nie gefunden wird" ist zudem ein leidenschaftliches Plädoyer an ein breites Leserpublikum, nicht alles, was spektakulär klingt, für bare Münze zu nehmen. Den biblischen Geschichten müsse man mit wissenschaftlichen Methoden auf den Grund gehen.
Dem kompetent informierenden und anschaulich geschriebenen Werk, das archäologische Funde im Licht jüngster wissenschaftlicher Erkenntnisse präsentiert, sind daher in erster Linie neugierige Laien als Leser zu wünschen.
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