Unser effizientes Immunsystem
"System": Das Wort klingt ziemlich technisch und leblos. Dass ein System etwas äußerst Lebendiges sein kann, wird bei der Lektüre dieses Werks klar. Schon der Titel und das peppige Cover verraten, es handelt sich nicht um ein typisches Sachbuch. Der junge Mediziner Idan Ben-Barak verfolgt darin einen anderen, originellen Ansatz, um in die Welt der Immunologie einzusteigen. Er wechselt die Perspektive und stellt sich vor, wie es einem Krankheitserreger ergeht, der es geschafft hat, die äußeren Barrieren des Körpers zu überwinden. Dabei präsentiert der Autor nach und nach die wichtigsten Moleküle, Zellen und Gewebe des Immunsystems, seien es die zu den Lymphozyten zählenden zytotoxischen T-Zellen, Phagozyten (Fresszellen), das Komplementsystem oder Toll-ähnliche Rezeptoren.
Ben-Barak geht immer wieder auf Fragen ein, die Einsteiger typischerweise haben. Etwa: Wo sitzt das Immunsystem? Dies nimmt er zum Anlass, um erst auf das unspezifische oder angeborene und dann auf das spezifische oder adaptive Immunsystem einzugehen. Dabei beschreibt er detailliert und anschaulich, wie sich die Körperabwehr von der Zeugung über die Säuglingszeit bis zum Alter von etwa sechs Jahren immer weiter entwickelt und komplexer wird. Warum greift der Mutterleib den Fötus nicht als Fremdkörper an? Warum lohnt es sich nicht, gleich nach der Geburt gegen sämtliche Kinderkrankheiten zu impfen? Der Autor liefert Antworten – wobei er betont, dass wir bei der Erforschung solcher Phänomene noch lange nicht am Ende sind. Kurz geht er auf "Systemfehler" wie Immunschwäche- und Autoimmunerkrankungen ein. Auch beleuchtet er die immer neuen, raffinierten Tricks, mit denen Bakterien, Viren & Co. der Immunreaktion entgehen.
Das Erbe unserer einzelligen Vorfahren
Eine weitere Antwort auf die Frage im Buchtitel sieht der Autor darin, dass das Immunsystem eine Evolution durchgemacht hat – zusammen mit allen Lebewesen. Und er begründet dies gut nachvollziehbar. Immer weiter geht er in der Entwicklungszeit zurück, bis hin zu Wirbellosen, Insekten und Einzellern. Die Ursprünge unserer Körperabwehr lassen sich tatsächlich über hunderte Millionen Jahre zurückverfolgen, fasst Ben-Barak schließlich zusammen.
Indem er die Immunforschung behandelt, wechselt er sodann erneut den Blickwinkel. Impfungen beispielsweise beruhten auf Jahrhunderte zurückreichenden Forschungsarbeiten, schreibt er. Beim Lesen wird deutlich, wie schwierig die Erforschung der Körperabwehr früher war – und wie viele Anläufe von ebenso klugen wie wagemutigen Köpfe es brauchte, bis man die Zusammenhänge zwischen Krankheit, Gesundheit und Immunvorgängen zu verstehen begann.
Tumoren im Visier der Körperabwehr
Den Abschluss des Werks macht ein Exkurs darüber, wo die Immunologie heute steht und wo ihre Zukunft liegen könnte. So werden hochspezifische Antigen-Antikörper-Wechselwirkungen nicht mehr nur für Diagnosen, sondern auch für Therapien genutzt: In Form von Krebsimmuntherapien verheißen sie große Erfolge in der Onkologie. Ähnlich spannend ist der Zusammenhang zwischen Psyche und Immunsystem, dessen Erforschung der Autor ebenfalls umreißt.
Trifft der Untertitel zu und weiß man nach dem Lesen alles darüber, wie das Immunsystem funktioniert? Nicht ganz – aber es sind die wichtigsten Prinzipien und Wirkungsweisen deutlich geworden. Und man bekommt einmal mehr große Hochachtung vor dem Wunderwerk Körper. Freilich weist das Werk einige Schwächen auf. Der Autor lässt immer wieder seine persönliche Meinung anklingen, was mitunter stört. Auch schießen manche seiner Stilmittel übers Ziel hinaus, etwa wenn er Bakterien und Viren Gefühlsäußerungen in den Mund legt oder die Funktionen der Immunzellen mit kriegerischem Vokabular beschreibt. Die Idee, jedes Kapitel mit einer eigenen Geschichte einzuleiten, ist an sich nett, nutzt sich allerdings mit fortschreitender Lektüre ab.
Im Vorwort schreibt Ben-Barack, er wolle mit dem Band vor allem Studierende und interessierte Laien erreichen. Während das Werk für die ersten vielleicht doch etwas zu bildhaft oder flapsig ist, dürfte es die zweiten auf jeden Fall ansprechen. Insgesamt eine lesenswerte, unterhaltsame Publikation.
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