Ein himmlisches Vergnügen
Was würde passieren, wären Darwin, Mendel, Lamarck und andere bedeutende Erforscher der Evolution im Leben tatsächlich aufeinander getroffen? Jürgen G. Meyer, Autor des Buches "Darwin, Mendel, Lamarck & Co. Die Partitur der Evolution zum Homo sapiens", nimmt uns mit auf eine wunderbare Reise durch die Evolution – und der Spielort ist ein Konferenzsaal im Himmel, denn nur dort könnten sie theoretisch aufeinander treffen. Gastgeber und gleichzeitig Moderator ist kein Geringerer als Petrus. Unterstützt wird er durch die beiden Assistenten Memoritus und Veritatikus. Der Autor, der neben den grundlegenden Naturwissenschaften auch Archäologie und Kunstgeschichte studiert hat, nutzt dabei sein Wissen, um sich intensiv mit der Evolution auseinanderzusetzen – und das an einem ungewöhnlichen Ort.
Der Diskurs beginnt mit Charles Darwin, der am 19. April 1882 ans Tor klopft. Petrus empfängt ihn mit offenen Armen und freut sich sehr, denn er habe ja schon eine ganze Weile auf ihn gewartet. Kaum im Himmel angekommen und die erste Nacht hinter sich gebracht, lernt Darwin seinen französischen Kollegen Jean-Baptiste de Lamarck kennen. Sie beginnen über ihre Forschung, ihre Gedanken zur Evolution, über die Galapagosschildkröten, die Finken und auch über Giraffen zu diskutieren. Natürlich bleiben die regen Diskussionen der beiden nicht unbemerkt.
Schnell schalten sich weitere Akteure wie Georges Cuvier oder William Paley ein. Auch Charles Lyell, der Geologe, mischt sich ein und versucht die Evolution über Verschiebungen der Erdregionen und über Vulkanismus zu erklären. Ernst Haeckel mischt sich ebenso ein wie natürlich Carl von Linné. Schließlich kommen noch Rudolf Virchow und Gregor Mendel zu Wort, der bereits seit einem Vierteljahr im Himmel eine Eingewöhnungsphase genießt. Der Leser erfährt auf eine wunderbare und leichte Weise zwischen vielen Fakten und einer wundervollen Initiierung der Fiktion alles über die Evolution bis hin zu Daten aus der aktuellen Forschung. Gleichzeitig erhält man Einblicke in das Leben und Wirken der Forscher in ihrer Zeit ebenso wie über deren Probleme, mit denen sie zu kämpfen hatten. Besonders positiv fand ich, dass auch Rosalind Franklin zu Wort kommt, die ja zu Lebzeiten eher von ihren Mitstreitern James Watson und Francis Crick belächelt wurde. Der Autor lässt es sich nicht nehmen zu erwähnen, dass eigentlich sie diejenige war, die die Struktur der DNA letztlich entdeckt hat, denn für ihren Vortrag vor den Gelehrten erhält sie einen gewaltigen Beifall. Leider wird diese Tatsache noch heute in den meisten Biologiebüchern falsch dargestellt. Das sollte schnell geändert werden.
Auch die kulturelle Evolution kommt nicht zu kurz. Es wird diskutiert über Höhlenmalerei, Statuen und Musik. Wichtiger Vertreter ist hier Abbé Henri Breuil. Zuerst einmal erkennt er an, dass er mit seiner Theorie nicht ganz richtig gelegen hat und beginnt dann mit einem Vortrag über Geröllwerkzeuge, die 1968 entdeckt worden waren und ein Alter von circa 2,6 Millionen Jahre aufwiesen. Natürlich geht es dann zur Entstehungsgeschichte des Menschen.
Im letzten Drittel folgen die Erkenntnisse der jüngsten Epoche, die im Buch im Jahr 2011 endet. Der Leser liest Informationen zur "Ein-Gen-Ein-Enzym-Hypothese", der Enträtselung der DNA-Replikation und der Proteinbiosynthese oder über die Entschlüsselung des Genoms verschiedenster Tiere wie des Schimpansen – sie sind schließlich Meilensteine in der Evolution. Als am 03. Februar 2005 Ernst Mayr an der Himmelspforte klopft, wird er auch gleich eingenommen, um kurz den Begriff der "Synthetischen Evolution" zu erklären. Denn da wird es spannend: Es geht um Mutationen, Gene, den Artbegriff und um die Mikroevolution. Schließlich gilt Mayr als "Darwin der Neuzeit". Auch über die Kreationisten, deren Slogan "design must have a designer" wird heftig diskutiert. Hier wird die Schöpfungsgeschichte an die Stelle der Evolution gesetzt.
Nach der Ankunft Mayrw wird es allerdings schwierig, so sieht es Petrus, auf dem aktuellsten Stand der Forschung zu bleiben. Da hat Mayr eine Idee: Er benötigt einen Satelliten sowie aktuelle technische Hilfsmittel wie Fernseher, Laptop und vieles mehr, um aktuell nach Leipzig zu einer Tagung zu schalten. Dazu benötigt Petrus aber die Zustimmung von oben. Er erhält sie und schickt seine beiden Assistenten zur Erde, um die benötigten Gerätschaften zu besorgen. Denn in Leipzig findet ein Kongress statt, der sich mit aktuellen Erkenntnissen über das FOXP2-Gen beschäftigt. Ganz vorne dabei ist das Team von Svante Pääbo, die dieses Gen, welches für die Sprache des Menschen zuständig ist, näher untersuchen. Weitere Diskussionen und Entdeckungen zur Evolution des Menschen führen zu Beifall – oben wie unten. Auch die Epigenetik, deren Namensgeber Conrad Waddington, als einiger Vertreter im Himmel sitzt, und Lamarck kommen nicht zu kurz. In der Diskussion, ob Lamarcks Theorie durch die Epigenetik bestätigt wird, wird schnell klar, dass die neusten Erkenntnisse, über die Vererbung von erworbenen Eigenschaften Lamarcks Theorie untermauern.
Das in vier Kapiteln aufgeteilte Buch "Es werde Licht", "... und es ward Licht", "Und das Licht war gut" und schließlich "Mit dem Licht kam die Erleuchtung", gibt einen wunderbaren Überblick über die Evolution. Eine Chronologie, ein Glossar sowie ein Überblick über vertiefende Literatur einem Personen- und Sachverzeichnis, vollenden das Buch. Am Ende des Buches bedankt sich Petrus jedenfalls und schließt die Diskussion mit den Worten "Dass jede Wahrheit Ihre Zeit habe".
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