Ende der Finsternis
Der Buchtitel erinnert an Fantasy-Schinken, die über dunkle Imperien handeln. Ist Paul Bogart ein zweiter John R.R. Tolkien ("Der Herr der Ringe")? Weit gefehlt, Bogart geht es in seinem Werk nicht um Fantasiewelten, sondern um sehr reale Dinge, auch wenn eine gewisse Dramatik immer mitschwingt. Das Thema des Autors ist die nächtliche Dunkelheit – oder besser: deren Schwinden.
Wer erlebt heute noch eine dunkle Nacht? Großstadtbewohner eher nicht, außer im abgedunkelten Schlafzimmer. Die meisten Menschen legen auf nächtliche Finsternis offenbar keinen großen Wert und genießen stattdessen die grelle Glitzerwelt. Oder regt sich nennenswerter Widerstand, wenn Bauwerke wie startklare Raumschiffe angestrahlt werden?
Künstliches Licht wirkt mittlerweile vertrauter auf uns als Dunkelheit. Ein natürlicher Nachthimmel ist die Ausnahme, weshalb wir überwältigt sind, wenn wir ihn denn doch einmal zu sehen bekommen. Das war früher anders. Man bestaunte Milchstraße und Sternbilder, war mit dem Firmament vertraut und konnte sich nach den Sternen orientieren. Bis Gaslicht und Glühlampe Einzug hielten. Heute sieht man in Städten gerade noch den Mond und, wenn man Glück hat, den einen oder anderen Planeten. Bogard – Schriftsteller, Umweltaktivist und Hobbyastronom – geißelt diese "Lichtverschmutzung" in seinem Buch.
Maßstab der Erleuchtung
Um das Ausmaß der künstlichen Aufhellung zu bestimmen, gibt es mittlerweile Skalen. Die bekannteste ist sicher die von John Bortle aus dem Jahr 2001. Der amerikanische Hobby-Astronom definierte 9 Klassen, die von unbeeinträchtigter nächtlicher Dunkelheit (1) bis zu maximaler Himmelsaufhellung durch irdische Quellen (9) reichen – der Mond zählt also nicht als Lichtverschmutzer. Bogard greift diese Skala in seinem Buch auf und unterteilt das Werk in 9 Kapitel. Darin erörtert er die einzelnen Bortle-Klassen und beschreibt jeweils beispielhaft, an welchen Orten entsprechende Lichtverschmutzungen vorherrschen. Entstanden ist eine Mischung aus Reisebericht, Sachbuch und Anklageschrift. Der Autor geht mit maßgeblich Verantwortlichen hart ins Gericht, allen voran Politikern, Stadtplanern und Mitarbeitern von Behörden.
Wo startet die Lektüre? Natürlich in Las Vegas! Ein besseres Beispiel für die Bortle-Klasse 9 gibt es wohl nicht. Die Lichtflut in diesem Eldorado der Glückspieler ist gigantisch und manifestiert sich insbesondere im hellsten Strahl der Welt, der von der Hotelpyramide „Luxor” gen Himmel weist. Verblüffend: Es gibt in der Stadt einen Verein von Hobby-Astronomen!
Mit solchen Geschichten fesselt Bogard seine Leser immer wieder. Dabei glänzt er mit beachtlichem Fachwissen (auch wenn es bei der Astronomie manchmal etwas hapert) und vielen Insiderkenntnissen. Er ist weit gereist und hat mit vielen Leuten gesprochen. Überall, so berichtet er, gebe es "Dark Sky"-Organisationen (deutsch: "Dunkler Himmel"), die sich für eine Eindämmung des Lichtsmogs einsetzen – auch in Deutschland. Die US-Nationalparks engagieren sich ebenfalls dafür. Es gibt haufenweise Vorschläge, wie man die künstliche Aufhellung reduzieren kann – leider werden die wenigsten umgesetzt. Ein positives Beispiel ist die Stadt Flagstaff in Arizona, die mit Lampen speziellen Lichts erleuchtet wird, die nach unten strahlen.
Verschwendete Energie
Verständnislos geht der Autor mit Scheinargumenten wie "Dunkelheit befördert Verbrechen" um. Er plädiert in Sachen Beleuchtung für "weniger ist mehr". Wie er plausibel darlegt, hängen die Sichtverhältnisse viel stärker vom Kontrast ab als von der absoluten Helligkeit. Würde man dies konsequent beachten, könnte man auf unnütze Lampen verzichten und Milliardensummen einsparen. Zu viel Licht, so Bogard, werde sinnlos in den Weltraum abgestrahlt, wie Satellitenaufnahmen eindrucksvoll zeigten – und es werde immer mehr.
Die 9 Kapitel behandeln fast alle einschlägigen Aspekte rund um das Thema Nacht. Leider ist das Buch nur mit einigen Schwarzweiß-Abbildungen bebildert. Auch wiederholt sich der Autor sehr oft. Einen entscheidenden Faktor hingegen thematisiert er überhaupt nicht: die Luftverschmutzung. Sie befördert das Entstehen von Streulicht. So kann man bei extrem reiner Luft trotz hellem Mondlicht viele Sterne sehen (auf dem Erdtrabanten, der keine Atmosphäre besitzt und somit auch keinerlei Luftverschmutzung aufweist, ist der Himmel am helllichten Tag schwarz). Peking bei Nacht dürfte für Astronomen also ein noch schlimmerer Ort sein als Las Vegas. Für Erstaunen sorgt zudem, dass Bogard nicht auf das beliebte "Sky Quality Meter" (SQM) eingeht. Mit diesem Gerät bestimmen Hobby-Astronomen heute auf einfache Weise die Flächenhelligkeit des Himmels und damit die Güte der Nacht. Dabei zeigt sich unter anderen: Selbst der natürlichste, mondlose Himmel ist nicht vollkommen dunkel, was man leicht erkennen kann, indem man die Hand nach oben hält und deren unbeleuchtete Unterseite mit dem Firmament im Hintergrund vergleicht.
Wo findet man nun Orte mit der Bortle-Klasse 1? Bogard nennt mehrere Gebiete; sein Liebling ist der "Great Basin National Park" an der Grenze zwischen Nevada und Utah. Mit der grandiosen Beschreibung des Nachthimmels in dieser einsamen Gegend endet das Buch. Nach der Lektüre des packenden und flüssig geschriebenen Werks hat man viele interessante Dinge erfahren. Alles in allem ist das Buch empfehlenswert – wenn auch noch ergänzungsbedürftig.
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