Unsere große kleine Verwandtschaft
Jedes Jahr sterben geschätzte 11 000 bis 58 000 Tierarten aus – und bei den Arten, die bleiben, schrumpft die Individuenzahl oft dramatisch. Die Gründe für diesen Niedergang sind zahlreich, liegen aber vor allem in rasanter Entwaldung, Zerstückelung von Lebensräumen, Überfischung sowie Meeresverschmutzung. Den Arten- und Individuenschwund nehmen wir vor allem bei auffälligen Lebewesen wie Elefanten, Tigern, Nashörnern und Walen wahr. Noch viel stärker betrifft er aber die Vertreter kleiner Tierarten, die wir mit bloßem Auge kaum bemerken. Mit dem Buch "Unbekannter Planet – Die erstaunliche Vielfalt unserer Tierwelt" zeigt der britische Insektenforscher Ross Piper auf, wie wenig wir über diese Mitbewohner wissen, obwohl sie überaus faszinierend und ökologisch bedeutsam sind.
Piper, umtriebiger Buch-, Zeitschriftenartikel-, Blog- und Videoautor, gewährt einen Einblick in die unglaubliche Fülle des Tierreichs. Er möchte verdeutlichen, dass auch vermeintlich unscheinbare Spezies für die Evolution und die Funktion der Ökosysteme eine große Rolle spielen. Der Mensch als intelligentes Wesen sei verpflichtet, den Artenreichtum der Tiere zu verstehen und zu schützen.
Weitläufige Sippschaft
Um evolutionäre Zusammenhänge zwischen den Spezies aufzuzeigen, macht der Autor seine Leser einleitend kurz mit dem Stammbaum der Tiere vertraut und umreißt die wichtigsten Entwicklungsprozesse. Anhand großartiger, beeindruckender Fotografien stellt er sodann alle 35 anerkannten Hauptstämme des Tierreichs einzeln vor. Piper behandelt jeden Stamm gleichwertig – unsere sehr fernen Verwandten wie die Rippenquallen (Ctenophora) oder die Schwämme (Porifera) also mit genauso viel Aufmerksamkeit wie die Schädeltiere (Craniata), denen wir angehören. Der Umfang der Kapitel richtet sich lediglich grob nach der Formenvielfalt der jeweiligen Stämme. So beanspruchen die Gliederfüßer (Arthropoda) mit ihren derzeit bekannten 1,2 Millionen Arten 29 Seiten und 68 Fotos, gefolgt von den Weichtieren (Mollusca) mit rund 120 000 Arten, die 27 Seiten und 53 Abbildungen einnehmen. Die "Fremden Strudelwürmer" (Xenoturbellida) und der erst im Jahr 2000 eingeführte Stamm der "Mit kleinen Kiefern" (Micrognathozoa), die nach derzeitiger Einordnung jeweils nur eine Art umfassen, füllen lediglich zwei beziehungsweise drei Seiten.
Die Fotos sind mit erläuternden Texten versehen, die bei jedem Tierstamm über die charakteristische Anatomie, Lebensweise und Verwandtschaftsverhältnisse seiner Vertreter informieren. Sehr knappe Texte und ein lockerer Schreibstil führen hier gelegentlich zu Ungereimtheiten, da Zusammenhänge verloren gehen und inhaltliche Unschärfen auftreten; tiefere zoologische Erkenntnisse sollte man von der Lektüre nicht erwarten. Die Übersetzung ist großteils gelungen, hin und wieder jedoch holprig und ungenau. An einigen Stellen wirkt sie so, als hätten die Übersetzer den Originaltext nicht verstanden.
Ein echter Hingucker
Ohne jeden Zweifel bestechen die fantastischen Fotos in dem Werk. In großen Formaten, licht- oder elektronenmikroskopisch aufgenommen und gestochen scharf, bekommt der Leser mehr als 500 weitgehend unbekannte Lebewesen mit bizarren Formen und Farben zu sehen. See-Engel und See-Schmetterlinge, Weihnachtsbaum- und Federwürmer, Seegänseblümchen und Seefeder – schon die malerisch klingenden Namen deuten jene zarte Zerbrechlichkeit und faszinierende Schönheit an, die sich in den Bildern wiederfindet. Aber auch Fotos von Parasiten wie Plattwürmern (Plathelminthes) und Fadenwürmern (Nematoda), die meist als abstoßend empfunden werden, sind enthalten. Sie faszinieren durch "ausgeklügelte" Mechanismen der Anpassung an ihre Wirte.
Wer sich für die Welt der Tiere interessiert und dabei auch Arten kennenlernen möchte, die sonst nicht im Fokus stehen, wird an diesem Fotoband viel Freude haben.
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