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Evolution: Daten statt Gene

Friedemann Schrenk ist Professor für Paläoanthropologie. Er vertritt die Meinung, dass biologische und kulturelle Evolution eine untrennbare Einheit bilden. Insofern sieht er die informationelle Entwicklung von intelligenten Maschinen oder digitalen Algorithmen nicht so sehr als Bedrohung, sondern vor allem als Teil der menschlichen Entwicklung. Aufgrund der wesentlich schnelleren Entwicklungsgeschwindigkeit ist sie drauf und dran, die genetische Evolution abzulösen.
© hyperraum.TV
Daten statt Gene

Veröffentlicht am: 11.10.2015

Laufzeit: 0:17:18

Sprache: deutsch

Hyperraum TV ist ein von der Medienwissenschaftlerin und Wissenschaftshistorikerin Susanne Päch betriebener Spartensender für Wissenschaft und Technologie.

Der Mensch ist nicht das einzige Wesen, das technische Fertigkeiten besitzt. Wir wissen heute, dass Affen nicht nur Werkzeuge nutzen, sondern auch in der Lage sind, sie herzustellen. Ein Indiz dafür, dass es weiterer Komponenten bedarf, die das Erfolgsmodell Mensch in seiner techno-sozialen Kultur vom Typ Affen unterscheidet: die Evolution des kollaborativen Verhaltens. Das Teilen ist ein dem Menschen tief inne wohnendes Verhaltensmuster, das ihn von anderen Lebewesen der Erde unterscheidet, eine Fähigkeit, die sich bereits vor einigen Millionen Jahren in Afrika herauszubilden begann und schließlich zur Ausbreitung des "homo sapiens" führte. Friedemann Schrenk, Professor für Paläobiologe an der Goethe-Universität in Frankfurt und Chef der anthropologischen Abteilung im Senckenberg-Museum, hält das kollaborative Verhalten nicht nur für den Ursprung der Technik, sondern auch für die Geburtsstunde der Sprache. Die Speicherung von Information über Zeichen befähigte die Wesen dazu, ihr Wissen, also Information, über große Entfernungen, aber auch über Generationen hinweg zu tradieren und so ständig weiter zu entwickeln.

Der Mathematiker und Ökonom Prof. Dr. Dr. Franz-Josef Radermacher von der Universität Ulm, langjähriges Mitglied des Club of Rome, nähert sich der Evolution des Menschen aus einer ganz anderen Richtung. Für ihn gibt es zwei entgegen gesetzte, wenn auch konvergierende Entwicklungslinien: das analog basierte Gehirn, das mit Hilfe einer Turing-Maschine sein Bewusstsein steuert, und die vom Menschen geschaffene Maschine, die sich aus dem Digitalen entstanden, jetzt der analogen Welt nähert. Wie viele Ethiker interpretiert er die Evolution mit der Rückführung auf genetische Prozesse vor allem biologisch. Damit steht der Mensch  – ethisch gesehen – zwangsläufig zuerst einmal in der Verantwortung, die rein biologische Entwicklung zu schützen, nicht aber die kulturelle Entwicklung. Für Friedemann Schrenk gibt es das Primat der genetischen Evolution jedoch nicht. Die biologische und die kulturelle Entwicklung des Menschen bilden eine untrennbare Einheit, die biokulturelle Evolution. Die vom Menschen erzeugten Maschinen, die Roboter und die sie steuernden digitalen Daten sind damit integraler Teil des evolutionären Prozesses. Fest steht für ihn aber auch: Die evolutionäre Dominanz ist von der genetischen auf die informationelle Seite gewechselt, und das mit einer Geschwindigkeit, die so rasant ist, dass die Evolution mit genetischen Veränderungen über viele tausend Generationen hinweg keine Chance mehr hat.

Ist die digitale Intelligenz jetzt auf dem Vormarsch der Evolution  – mit ihrer dynamisch steigenden Rechengeschwindigkeit, mit den sich weiter entwickelnden Algorithmen und der gewaltigen digitalen Kommunikationsfähigkeit untereinander? Baut gleichzeitig der Körper des Menschen ständig ab und wird bedeutungslos? Fragen dieser Art sind von der Wissenschaft heute nicht zu beantworten, liegen damit im offenen Feld philosophischer Betrachtung. Dennoch hat Susanne Päch versucht, mit Friedemann Schrenk einen Blick in die mögliche weitere Entwicklung der Spezies Mensch und seiner biokulturellen Evolution zu werfen.

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