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Olympische Spiele: 5 Fakten über das Norovirus

Zu Beginn der Olympischen Winterspiele 2018 haben sich bereits mehr als 120 Menschen mit dem Norovirus infiziert. Was Sie über den höchst ansteckenden Erreger wissen müssen.
Durchfall

Gerade Massenveranstaltungen sind ein Heimspiel für den Erreger, den Fachleute schon mal als das "perfekte Virus" bezeichnen. Nun trifft es die Olympischen Winterspiele 2018. Schon vor dem Start der Großveranstaltung haben sich über 100 Menschen mit dem extrem ansteckenden Durchfallerreger infiziert, mehr als 1000 wurden sicherheitshalber isoliert. Doch Noro ist mehr als nur Durchfall. Der Erreger fasziniert Fachleute mit seiner Hartnäckigkeit – und einer ganzen Reihe noch ungeklärter Fragen.

Widerstand ist zwecklos

Sich von offensichtlich Kranken fernzuhalten, reicht bei Weitem nicht, um sich vor dem Norovirus zu schützen – ein wesentlicher Grund, weshalb Noro-Ausbrüche so schwer unter Kontrolle zu bekommen sind. Selbst im Krankenhaus überlebt der Erreger die Hygienemaßnahmen fast unbeschadet. Obwohl die typischen Noro-Symptome binnen weniger Tage verschwinden, können ehemalige Infizierte monatelang ansteckend bleiben, immunschwache Patienten sogar noch deutlich länger.

Hinzu kommt, dass der Erreger nicht nur recht lange in der Umwelt überlebt, sondern auch noch extrem ansteckend ist. Im Jahr 2009 erbrach ein mit Noro infizierter Patient in einem Flugzeug der New Zealand Air. Obwohl das Bordteam die Malaise gründlich entfernte und anschließend alles desinfizierte, erkrankten danach insgesamt 29 Flugbegleiterinnen: mehr als 40 Prozent des Flugpersonals, das den Flieger in der Woche nach dem Vorfall betreten hatte.

Norovirus – tödlicher, als man denkt

Menschen mit gesundem Immunsystem haben von der akuten Norovirusinfektion – abgesehen von einigen sehr unerfreulichen Tagen in der Nähe von Toiletten – meist nichts zu befürchten. Doch ein Teil der Noroinfektionen endet tödlich. Die Opfer sterben durch den Wasser- und Elektrolytverlust wegen der schweren Brechdurchfälle. Deswegen trifft es hauptsächlich Kinder unter fünf Jahren sowie ältere Menschen über 75, deren Flüssigkeitshaushalt besonders anfällig ist. In letzterer Altersgruppe starb im Zeitraum von 2001 bis 2009 in Deutschland etwa ein Infizierter pro 200 000 Fälle, in den USA sind es nach Zahlen der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) bis zu vier pro 100 000. Speziell in ärmeren Ländern ist die Sterblichkeit jedoch deutlich höher: Allein etwa 50 000 Kinder unter fünf Jahren sterben jedes Jahr an Norovirusinfektionen, schätzen die US-amerikanischen CDC.

Manche Menschen sind gegen Norovirus immun

Obwohl das Norovirus so ein effektiver Krankheitserreger ist, sind wir ihm keineswegs wehrlos ausgeliefert. Tatsächlich ist ein beträchtlicher Teil der Menschheit gegen Noroviren sogar immun. Wenn der Körper nach einer Infektion die Krankheit wieder losgeworden ist, besitzt unser Immunsystem eine Erinnerung an das Virus, und das für eine lange Zeit. Früher dachte man, dieser erlernte Schutz hielte nur einige Monate, aber jüngere Untersuchungen deuten darauf hin, dass er sogar bis zu acht Jahre lang wirksam ist.

Außerdem gibt es Menschen, die ihr Leben lang von dem Erreger verschont bleiben. Die bekannteste Ursache dafür ist eine Mutation in einem Gen, das Zellen der Schleimhäute mit bestimmten Proteinen an ihrer Oberfläche ausstattet. In Blutzellen sind diese Proteine die Antigene des AB0-Blutgruppensystems, im Darm jedoch dockt das Norovirus an diese Strukturen an. Die Mutation teilt das Gen Fut2 in zwei Hälften, indem sie ein Stoppcodon erzeugt, an dem die Übersetzung des Gens vorzeitig beendet wird. Dadurch tragen die Schleimhautzellen keine AB0-Proteine und sind deswegen gegen die meisten Norovirusstämme immun – allerdings nicht gegen alle.

Norovirus-Kapsid aus dem 3-D-Drucker

Noroviren brauchen Darmbakterien als "Schlepper"

Lange versuchten Seuchenfachleute vergeblich, Noroviren im Labor zu züchten. Erst die US-Wissenschaftlerin Stephanie Karst löste das Rätsel im Jahr 2014 – sie fand den bis dahin ungeahnten Komplizen des Virus, ohne den das Norovirus nicht in die Darmzellen gelangt. Anders als zuvor vermutet, infizieren die Viren nicht primär die Darmzellen selbst, sondern Immunzellen in der Darmwand. Dazu benötigen sie wiederum ein Bakterium, an dessen Außenseite sich ein bestimmter Zuckerbaustein befindet. Erst die Kombination aus Zucker, Bakterium und Virus nehmen die Zellen der Darmwand dann auf und reichen sie an die dahinterliegenden B-Zellen weiter – die eigentlichen Zielzellen des übermittelnden Bakteriums. Dank dieser Dreierkombination können nun Arbeitsgruppen den Erreger in Kultur halten.

Noroviren greifen das Nervensystem an

Noroviren sind zwar bekannt für ihre Wirkung auf Magen und Darm, aber die Anzeichen dafür mehren sich, dass der Erreger auch andere, meist schwere Symptome auslösen kann. Er scheint Teile des Nervensystems zu manipulieren: Noro verursacht schon während einer normal verlaufenden Infektion Krampfanfälle bei einem Teil der Opfer, und zwar deutlich häufiger als andere Durchfallerreger. Ein weiteres Indiz dafür ist das explosive Erbrechen bei einer Norovirusinfektion. Anders als Durchfall, der einfach nur ausläuft, ist Erbrechen ein komplexer Vorgang, bei dem Muskeln und Nerven gut koordiniert sein müssen. Wie das Norovirus in dieses Zusammenspiel eingreift, ist noch unklar.

Allerdings scheint der Erreger auch den Abfluss von Nahrung aus dem Magen drastisch zu verlangsamen, möglicherweise ebenfalls über das Nervensystem des Magen-Darm-Trakts. Dass jedenfalls Noroviren im Nervengewebe mitmischen, dafür gibt es inzwischen auch direkte Indizien: Zum Beispiel treten gerade bei sehr jungen Kindern immer wieder Enzephalopathien zusammen mit Noro-Infektionen auf. Erwachsene sind vor solchen schweren Komplikationen ebenso wenig gefeit: Bei einem Ausbruch in einem britischen Armeecamp in Afghanistan 2002 traten sogar schwere neurologische Symptome wie Lichtempfindlichkeit und Verwirrung auf, zwei der Patienten mussten laut Berichten beatmet werden.

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