Hygiene: Allergie, Asthma und Hausstaubmilben - Fakten über eine Zivilisationskrankheit
Je nach Schätzung leiden weltweit zwischen 65 Millionen und mehr als einer Milliarde Menschen an einer Hausstaubmilben(HSM)-Allergie. Industrienationen mit hohem Lebensstandard sind stärker betroffen, und für Stadtkinder ist das Risiko höher, später eine HSM-Allergie zu entwickeln, als für auf dem Land aufgewachsene Kinder, wie dänische Wissenschaftler herausfanden. Die Symptome ähneln denen des Heuschnupfens. Augen und Nase jucken, tränen, triefen, und besonders nachts bekommen Betroffene schlecht Luft. Viele Patienten entwickeln zu dieser so genannten allergischen Rhinitis auch ein allergisches Asthma. "Gerade weil die Allergie so schleichend zunimmt und die Symptome oftmals chronisch sind, kommt die Diagnose oft gar nicht oder spät", warnt Jörg Kleine-Tebbe, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) und praktizierender Allergologe in Berlin.
Was löst die Hausstaubmilbenallergie aus?
Hausstaubmilben sind mikroskopisch kleine Spinnentiere, die im Staub unserer Häuser und Wohnungen leben und mit Vorliebe die Schlafzimmer besiedeln. Sie ernähren sich hauptsächlich vom Keratin unserer Hautschuppen und Haare. Textilfasern, Pilzhyphen, Bakterien, Pollen und anderes Mikrofutter ergänzen ihren Speiseplan. Die Hauptallergene sind Verdauungsenzyme und andere Milbenproteine, die mit dem mikroskopisch kleinen Kot der Milbe in die Umwelt gelangen. Ein Gramm Staub kann bis zu 250 000 der unsichtbaren Kotbällchen enthalten. Obwohl für den Menschen ungefährlich, werden die Allergene vom Immunsystem eines Allergikers als körperfeindliche Fremdstoffe eingestuft und angegriffen, was dann zu den Allergiesymptomen führt.
Zwei eng verwandte Milbenarten, nämlich (der "Hautfresser") Dermatophagoides pteronyssinus und Dermatophagoides farinae sind die wichtigsten Allergieauslöser. Allergietests wie der Pricktest, bei dem Tropfen mit Allergenlösung in die Haut des Unterarms gepikst werden, beruhen auf den zwei Hauptallergenen der beiden Milbenarten, auf die 80 bis 100 Prozent der Allergiker reagieren. Erst kürzlich wurde mit "Der p 23" ein weiteres potentes Allergen identifiziert, auf das mehr als 70 Prozent der Hausstauballergiker reagieren. Allerdings bleiben viele medizinische Fragen unbeantwortet. Insbesondere ist immer noch unklar, wie genau Allergenkontakt, Allergieentstehung und die Entwicklung und Ausprägung von Krankheitssymptomen miteinander zusammenhängen. Sicher ist, dass die Gründe für die Ausprägung einer HSM-Allergie komplex sind und regional variieren. So gilt der Kontakt mit Autoabgasen inzwischen als wichtiger Risikofaktor für Atemwegsallergien. Wissenschaftler vom Cincinnati Children's Hospital Medical Center konnten im Tierversuch zeigen, dass eingeatmete Dieselpartikel monatelang in der Lunge verbleiben und eine allergische Reaktion gegen Hausstaubmilben verstärken.
Mythos Höhenluft?
Eine 2016 veröffentlichte Studie von Medizinern der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg deutet darauf hin, dass für die Hausstaubmilben das jeweilige Mikroklima – etwa in einer Matratze – wichtiger ist als die Höhe über dem Meeresspiegel oder das Raumklima. Die Forscher um Arnulf Hartl und Carina Grafetstätter untersuchten 122 Staubproben aus Hotels, Privatwohnungen und Berghütten in Höhenlagen zwischen 400 und 2600 Metern. Dabei fanden sie keinen Zusammenhang zwischen Allergenkonzentration, Luftfeuchtigkeit und Meereshöhe. "Die gängige Annahme, dass die HSM-Allergenbelastung mit der Höhe abnimmt, kann so nicht gehalten werden. Selbst wenn die Milben durch winterlichen Dauerfrost stark reduziert werden, finden wir im September ähnlich hohe Allergenkonzentrationen", berichtet Hartl.
Wenn es wärmer wird, kommen mit den Menschen, der Kleidung und den Schlafsäcken auch wieder Milben in die Berghütten. "Ein Matratzenlager auf 3000 Meter Höhe ist ein hervorragender Nährboden für Hausstaubmilben, und selbst in noch größeren Höhen in den Anden gibt es viele HSM-Allergiker", sagt Hartl. Milbenallergene können jahrelang überdauern, was für Hausstauballergiker bedeutet, dass eine Reduktion der Milben nicht automatisch auch eine Reduktion der Allergenbelastung bedeuten muss.
Die Ergebnisse der Studie widersprechen auch der weit verbreiteten Annahme, eine bessere Isolierung oder häufigeres und längeres Heizen führe zu erhöhten Allergenkonzentrationen und Hausstaubmilben benötigten eine relative Luftfeuchtigkeit von mindestens 60 Prozent, um zu gedeihen. Die evolutionäre Vorgeschichte der Hausstaubmilben als Parasiten von Vögeln und Säugetieren mag eine Erklärung dafür sein, weshalb die Tiere zumindest vorübergehend auch mit ungünstigen Lebensbedingungen klarkommen. Denn als Parasit muss man mit seinem Wirtstier durch dick und dünn gehen, um zu überleben. Hohe Luftfeuchtigkeit und Wärme fördern zwar das Milbenwachstum, aber die Salzburger Studie zeigt: Eine relativ niedrige Luftfeuchtigkeit und große Meereshöhe sollten nicht automatisch Anlass zur Entwarnung sein. Dass Bergluft HSM-Allergikern trotzdem guttut, schreiben die Forscher einer ganzen Reihe anderer Faktoren zu. Dazu gehören eine reduzierte Feinstaubbelastung, wenig Pilzsporen und Pollen in der Luft und die intensivere UV-Strahlung mit ihrem positiven Effekt auf das Immunsystem und die Vitamin-D-Produktion im Körper.
Wie kriegt man die Milben los?
Unsere Matratzen sind das perfekte Biotop für Hausstaubmilben, und es wäre ein aussichtsloser Kampf, sie dort vollständig besiegen zu wollen. Allerdings kann man die Milbenpopulation klein halten und die Exposition mit den Allergenen minimieren. Auch wenn einigen Studien zufolgeZweifel angebracht sind, ob diverse Antimilbenmaßnahmen überhaupt einen Effekt haben, hält Allergieexperte Jörg Kleine-Tebbe Matratzenhüllen aus allergendichter Mikrofaser (so genannte Encasings) für eine sinnvolle Maßnahme: "Allergologen auf der ganzen Welt sind von der Wirksamkeit der Encasings überzeugt", sagt er und gibt gleich noch einen Praxistipp: "Es reicht, die Encasings alle sechs Monate zu waschen, wenn man sie zwischendurch, zum Beispiel beim Lakenwechsel, feucht abwischt." Weitere Maßnahmen zur Reduzierung der Milbenbelastung sind mehr oder weniger erfolgversprechend und mühsam: Dazu gehören häufiges Waschen der Bettwäsche bei mindestens 60 Grad Celsius, Staubsaugen mit Allergiefilter, Wischen, Lüften, Sonnen- und Frostexposition. Dass die Schlafstätte durchaus eine wichtige Rolle spielen kann, zeigen zwei Beispiele aus den Tropen. So gab es eine deutlich höhere Milbenbelastung und vermehrt Asthmafälle in einigen Dörfern im Hochland von Papua-Neuguinea, nachdem die Einheimischen begonnen hatten, Baumwollbettdecken zu benutzen. Ähnliches ließ sich in Costa Rica beobachten, wo Matratzen früher mit weichem Pflanzenmaterial gefüllt und oft gewechselt wurden. Nach dem Aufkommen moderner Matratzen nahm auch dort die HSM-Allergie deutlich zu.
Wie lässt sich die HSM-Allergie behandeln?
Wie bei Heuschnupfen lässt sich auch die HSM-Allergie durch Hyposensibilisierung, eine spezifische Immuntherapie, behandeln. Bei der subkutanen Immuntherapie (SCIT) wird dem Patienten in den ersten sechs bis zwölf Wochen wöchentlich, später dann monatlich drei Jahre lang ein hoch dosierter Allergenextrakt verabreicht, so dass sich das Immunsystem an die Milbenproteine "gewöhnen" kann und die Immunantwort im Lauf der Zeit nachlässt. Seit Januar 2016 ist in Deutschland auch die sublinguale Immuntherapie (SLIT) zugelassen – allerdings wegen fehlender Studien noch nicht für Kinder, sondern nur für Patienten ab 18 Jahren. Der Patient bekommt dabei die Allergene drei Jahre lang täglich in Tablettenform verabreicht. Jörg Kleine-Tebbe und seine Berliner Kollegen setzen die Milbentablette bereits in der Praxis ein. "Die Aufnahme der Allergene über die Mundschleimhaut statt über das Fettgewebe unter der Haut könnte Vorteile bei der Wirkung und Verträglichkeit haben, weil es das Immunsystem eher gewohnt ist, über die Nahrung verschiedensten Stoffen ausgesetzt zu sein. Letztlich ist es aber Geschmacksache, welche Therapie man wählt", erläutert Kleine-Tebbe. Grundsätzlich plädiert er für drei Säulen bei der Bekämpfung der HSM-Allergie, bestehend aus Encasings, spezifischer Immuntherapie und dem Einsatz kortisonhaltiger Nasen- und Asthmasprays zur Linderung der Beschwerden.
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