Ernährung: Was bringt Fasten wirklich?
Die meisten Menschen denken, wir brauchen gute Nahrung, um leistungsfähig zu sein – was nicht von der Hand zu weisen ist. Doch der in der Fastenzeit von vielen Menschen praktizierte Verzicht auf Süßes, Alkohol, Fleisch oder andere Nahrungsmittel muss dem Wohlbefinden keinen Abbruch tun, oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Etwa jeder zehnte Bundesbürger gibt deshalb an, während der Fastenzeit nach Aschermittwoch die eine oder andere Leckerei für mehrere Wochen links liegen zu lassen. Auch Heilfastenkuren erfreuen sich zunehmender Beliebtheit – und zwar nahezu ganzjährig: Schließlich soll der Körper "entschlacken", wie es so schön mit einem eigentlich sinnfreien Wort heißt. Fünf Fragen, fünf Antworten zum Stichwort "Fasten".
1. Fasten: Religion, Tradition oder Mode?
Gerade in unserer heutigen Überflussgesellschaft kommt als Gegenbewegung zu den stetig verfügbaren Nahrungsmitteln der Verzicht wieder in Mode. Vielseitige Angebote des Heilfastens in mehr oder weniger seriösen Einrichtungen geben Zeugnis davon. Doch das Fasten blickt auf eine längere Geschichte zurück als jede Modewelle und hat seinen Ursprung in der Religion. Gerade im asiatischen Raum ist es schon seit Jahrtausenden in Buddhismus, Hinduismus und Jainismus eingebunden. Das Ziel der Prozedur besteht hier in der geistigen Reinigung. Indianer nordamerikanischer Stämme hingegen nutzten es im Streben nach Visionen für ihren weiteren Lebensweg. Im Judentum und Islam hat das Fasten ebenfalls seinen festen Platz.
In der christlichen Fastenzeit werden meist einige Lebensmittel wie Fleisch, Milchprodukte und Eier vom Speiseplan verbannt. Heute hat sich aus dieser religiösen Vorgabe aber eine Reihe von neuen Traditionen entwickelt, etwa der Verzicht auf Genussmittel wie Alkohol und Tabak oder ein Verzicht ideeller Art wie beispielsweise auf Medienkonsum.
Eine historische Anpassung an nahrungsreiche und -arme Phasen im Jahreszyklus als Grund für die Fastenzeit liegt nahe. Einige Forscher gehen davon aus, dass unser Körper evolutionsbiologisch darauf ausgerichtet ist und die stetige Verfügbarkeit von Essen sowie regelmäßige Mahlzeiten über den Tag verteilt, wie wir sie kennen, biologisch nicht "normal" sind (PDF). Dem Fasten aus religiösen oder traditionellen Motiven steht der therapeutische Effekt gegenüber. Doch wie kann sich ein im Mangel lebender Körper von Krankheiten erholen? Die Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung definiert Fasten daher als freiwilligen Verzicht auf feste Nahrung mit einer Kalorienaufnahme von unter 500 Kalorien (in Form von Brühe und Saft) in der Regel über einen Zeitraum von 7 bis 28 Tagen.
2. Wie lange kann der Körper fast ohne Nahrung auskommen?
2010 erregte der Film "Am Anfang war das Licht" großes Aufsehen. Unterschiedliche Menschen berichteten, sie lebten von "Lichtnahrung", nähmen also weder flüssige noch feste Nahrung zu sich – was wissenschaftlich natürlich nicht haltbar ist. Ein gesunder Körper kann je nach Konstitution vier Wochen und mehr, je nach gespeicherten Fettreserven, ohne feste Nahrung auskommen, sofern ausreichend Vitamine und Mineralstoffe in flüssiger Form aufgenommen werden. Einen Verzicht auf Wasser kann unser Organismus allerdings nur wenige Tage kompensieren.
Fasten bedeutet für den Körper zuerst einmal Stress, da er von der gewohnten Ernährung auf die körpereigenen Reserven umstellen muss. Ein Zeichen dafür ist die anfänglich erhöhte Ausschüttung der Hormone Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin und Cortisol. Die Werte normalisieren sich aber nach einiger Zeit, dann erhöht sich sogar die Rezeptorsensitivität nachhaltig: Der Körper wird empfänglicher für derartige Signale.
Der körpereigenen Ernährung dienen zuerst die Kohlenhydratreserven in Leber und Muskulatur, welche aber schon nach wenigen Tagen aufgebraucht sind. Danach wandelt die Leber Lipide und später Proteine aus den Muskeln in so genannte Ketonkörper um, die nun die Energieversorgung sicherstellen – eine "Nebenwirkung" davon ist Mundgeruch mit Azeton-Note. Im Übrigen reagiert der Körper mit verringertem Puls, niedrigerem Blutdruck und niedrigerem Insulinspiegel. Die Angst vieler Menschen, sie würden schlapp und müde, ist bei ausreichender Flüssigkeits- und Mineralstoffaufnahme zumindest für geraume Zeit unbegründet.
Der viel gefürchtete Muskelabbau, den Fastenkritiker des Öfteren erwähnen, setzt erst nach mehr als vier Wochen oder bei einer so genannte Nulldiät ein, bei der gar keine Nährstoffe aufgenommen werden dürfen – davon raten Mediziner aber ohnehin ab. Moderate Bewegung, die Bestandteil der meisten Therapien ist, hilft wiederum, diesem Prozess entgegenzuwirken und vom anfänglichen Hungergefühl abzulenken. Dieses verschwindet allerdings recht schnell, sofern der Darm entleert ist, da der Körper sich an den Zustand gewöhnt und keine Energie mehr für die Verdauung benötigt – wie stark sich das auswirkt, bemerken wir ja immer, wenn wir mit vollem Bauch am Schreibtisch sitzen.
3. Krisen und Hochgefühle: Was passiert beim Fasten im Kopf?
Mit leerem Bauch hingegen sind wir am besten bei der Nahrungssuche – diesen Effekt kennt wohl jeder, der schon einmal mit knurrendem Magen einkaufen war: Wir machen in kürzester Zeit und dabei sehr präzise nahezu alle kalorienreichen Lebensmittel in einem Laden ausfindig und sammeln sie in unserem Einkaufswagen, wenn wir uns nicht selbst disziplinieren. Forscher sehen darin unser evolutionäres Erbe, denn bevor Nahrungsmittel stetig verfügbar waren, mussten wir gerade mit leerem Magen besonders leistungsfähig sein, um an neue Verpflegung zu gelangen. Die Annahme, dass man sich ohne etwas im Magen nicht gut konzentrieren könne, steht damit in Frage.
Am Anfang der Fastenzeit stecken die meisten in der "Fastenkrise", wenn der Organismus auf Reserve umstellt und verschiedene Substanzen ohne Nachschub ausgeschieden werden, auf die unser Körper reagiert. Zu diesem Zeitpunkt können bestimmte Beschwerden auftreten, etwa wenn der Mangel an Koffein und anderen Stoffen, die wir sonst täglich zu uns nehmen, sich beispielsweise als Kopfschmerz oder in schlechter Laune bemerkbar macht. Diese "Entzugserscheinungen" dauern in den meisten Fällen nur etwa 24 bis 26 Stunden. Danach gewöhnt der Körper sich an die neue Versorgungssituation, und die positiven Auswirkungen rücken in den Mittelpunkt. In der Folge macht das Fasten wohl gegen psychischen, körperlichen oder zellulären Stress resistenter, wie verschiedene Versuche andeuten. Nagetiere, die einer Fastenkur unterzogen wurden, waren resilienter: Nervenaufreibende Situationen wie der Sprung ins kalte Wasser und das Schwimmen an das rettende Ufer führten bei den fastenden Tieren zu einem geringeren Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg als bei den gefütterten Artgenossen.
Auch eine stimmungsaufhellende Wirkung, manchmal sogar Euphorie, wird beim Fasten beobachtet (PDF), da es zu einem ähnlichen Effekt wie ein Serotonin-Wiederaufnahmehemmer führt, also wie ein Antidepressivum wirkt. Daraus kann sich auch der Hintergrund spiritueller Erfahrungen erklären, von denen bisweilen berichtet wird. Zudem werden depressive Symptome und Ärger weniger stark wahrgenommen.
Auch nach der Fastenkur zeigt der zeitweilige Nahrungsentzug noch positive Wirkung: Eine Umstellung der Essgewohnheiten fällt leichter, weil beispielsweise Fleisch und Süßigkeiten erst einmal nicht mehr so gut schmecken. So kann Fasten einen Bewusstseinswandel in Bezug auf die Ernährung begünstigen. Und dann ist da noch der ganz allgemeine Effekt, der eintritt, wenn wir eine große Herausforderung mit Mühen gemeistert haben – wir fühlen uns gut.
4. Kann Fasten bei Krankheiten helfen?
Fasten entschlacke den Körper, so die Verheißung der meisten Angebote. Doch wissenschaftlich gesehen existiert keine wie auch immer geartete "Schlacke" im menschlichen Körper. Gemeint sein könnten physiologische Abbauprodukte, die bei einigen Krankheiten wie Rheuma und Arthritis anfallen. Obwohl diese Stoffe erst nach sehr langer Fastendauer ausgeschieden werden, können positive Effekte festgestellt werden. Aufsehen erregten auch Schlagzeilen, dass Krebszellen durch das Fasten zumindest kurzzeitig ausgehungert werden können und schrumpfen – zumindest im Mausmodell. Zudem scheint es die Nebenwirkungen einer Chemotherapie zu verringern.
Belegt ist der positive Effekt des Fastens bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Blutdruck sinkt stärker als bei medikamentöser Therapie mit ACE-Hemmern oder Betablockern. Auch bei der Behandlung von Asthma wurden Erfolge erzielt, da Fasten zu einer Verringerung des Histamins in den Zellen der Bronchien führt. Sogar die Anfälligkeit für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson geht durch das Fasten zurück – zumindest bei Versuchstieren –, weshalb ein positiver Effekt auf das Gehirn vermutet wird.Wichtig: Bei all diesen Indikationen sollte die Fastenkur jedoch nur unter ärztlicher Aufsicht und nach eingehender Untersuchung stattfinden. Zum Abnehmen taugt sie dabei nur indirekt: Der Körper holt sich die verbrauchten Reserven nach der Fastenzeit zurück, was zu einem Jo-Jo-Effekt führen kann. Erfolg kann nur eine langfristige Umstellung der Ernährung bringen, die vielleicht nach dem vollständigen Verzicht leichter fällt.
5. Warum gibt es relativ wenige wissenschaftliche Aussagen über das Fasten?
"Wer stark, gesund und jung bleiben will, sei mäßig, übe den Körper, atme reine Luft und heile sein Weh eher durch Fasten als durch Medikamente." (Hippokrates 460-377 v. Chr.)
Recherchiert man nach Artikeln zum Fasten, findet man eine Flut an Websites, die gesundheitliche Vorteile versprechen. Schwieriger wird es, wenn man nach dem wissenschaftlichen Fundament der Therapien sucht. Woran liegt das? Schon Hippokrates' guter Rat lässt vermuten, dass am Fasten nicht viel Geld zu verdienen ist. Einerseits konsumieren Fastende kaum etwas – und dann soll man die Methode auch noch Medikamenten vorziehen? Fasten bedeutet also erst einmal einen finanziellen Nachteil für die Pharmaindustrie, weshalb die auch kaum Studien zum Thema finanziert. Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel-Krankenhaus Berlin und Stiftungsprofessor der Charité, kritisiert deshalb, dass für stichhaltige Erkenntnisse größer angelegte Studien durchgeführt werden müssten, wofür jedoch keine Forschungsgelder zur Verfügung stünden. Die Grundlagenforschung bleibt also schwer.
Die Arte-Dokumentation "Fasten und Heilen" berichtet von einem groß angelegten Forschungsprojekt in den 1950er Jahren in der UdSSR. Die gezeigten Ergebnisse sind beeindruckend, und sowohl bei psychischen als auch bei körperlichen Erkrankungen verbuchten die Forscher große Heilungserfolge, die auch nach Jahren noch feststellbar waren. Heute wird in Russland wegen der langen Tradition immer noch gerne gefastet, doch auf der Suche nach Studien finden sich viele Texte nur in der Originalsprache – sie wurden bislang nicht übersetzt. Leider hat sich der "Eiserne Vorhang" in der Wissenschaft hier noch nicht geöffnet.
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