Lexikon der Biologie: Antibiotika
Antibiotika [von *anti –, griech. biotikos = zum Leben gehörig; Sing. Antibiotikum], gemäß der ursprünglichen Definition: niedermolekulare (relative Molekülmasse unter 2000) Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen, die in geringer Konzentration (< 200 μg pro ml) andere Mikroorganismen in ihrem Wachstum hemmen (mikrobielles Wachstum) oder sie abtöten (nach S.A. Waksman, 1941). Bei den Produzenten handelt es sich in erster Linie um Bakterien und Pilze ( vgl. Tab. ). Laut Definition sind Antibiotika weder Enzyme noch Toxine oder komplexe Proteine. In Erweiterung der ursprünglichen Definition werden heute auch durch teilweise biochemische (Biotransformation) oder chemische Modifikation (semisynthetische Antibiotika) gewonnene Derivate zu den Antibiotika gezählt und ebenso Substanzen, bei denen die aufwendige Biosynthese durch die wirtschaftlich günstigere chemische Totalsynthese ersetzt worden ist. Im weniger konsequenten Sprachgebrauch werden vielfach auch solche Agenzien als Antibiotika bezeichnet, die, wie oben definiert, auf Mikroorganismen wirken, aber nicht biologisch, sondern grundsätzlich chemisch synthetisiert worden sind (Chemotherapeutika). Darüber hinaus hat die Identifikation antibiotisch wirksamer Produkte aus Pflanzen und Tieren (Phytoalexine, Defensine) zu einer Eingliederung dieser Produkte in die Gruppe der Antibiotika geführt. Damit wurde die ursprüngliche Definition aufgegeben, wonach Mikroorganismen die einzigen Produzenten sind. Schließlich mußte die Beschränkung der Antibiotika auf niedermolekulare Substanzen fallengelassen werden, als Peptid-Antibiotika mit deutlich höheren Massen bekannt wurden. Eine gewisse Unsicherheit besteht darüber, inwieweit Bakteriocine den Antibiotika zugerechnet werden können. – Die meisten (ca. 65%) der Antibiotika im ursprünglichen Sinne sind Produkte von Bakterien-Arten, die den im Boden verbreiteten Streptomycetaceae (Bodenorganismen) zugeordnet werden. Eine für sämtliche Produzenten gültige Bedeutung der Antibiotikasynthese ist nicht bekannt. Die Diskussion zur Bedeutung von Antibiotika für den Produzenten verlagert sich auf die Ebene der schier unerschöpflichen Diskussion zur Bedeutung des Sekundärmetabolismus, denn die überwiegende Zahl an Antibiotika wird den sekundären Stoffwechselprodukten zugerechnet. Am ehesten plausibel erscheint die Deutung, daß Antibiotika in die Umgebung abgeben werden, um mögliche Konkurrenten um gemeinsame Nährstoffe in ihrem Wachstum zu hemmen. Jedoch ist der direkte Beleg für diese Hypothese aufgrund der praktisch nicht nachweisbar geringen Mengen an Antibiotika, die von Wildstämmen unter natürlichen Bedingungen in situ produziert werden, recht schwierig. Eine weitere Hypothese postuliert, daß die antibiotische Wirkung bestimmter Substanzen rein zufällig mit einer primär anderen physiologischen Funktion der Antibiotika einhergeht. So wird die Produktion von Peptid-Antibiotika durch Bacillen in einem Zusammenhang mit der Regulation der Endosporenbildung (Endosporen) gesehen. Andererseits wird auch postuliert, daß bestimmte Antibiotika Kontrollfunktionen im Dienst erster biochemischer Prozesse zu Beginn der biologischen Evolution erfüllten. Sobald diese Funktionen durch komplexere Regulationsprozesse ersetzt wurden, führte das nach wie vor vorhandene Bindevermögen an bestehende Strukturen zur Störung der neu erworbenen Funktionssysteme. – Die Zahl der isolierten Antibiotika wird auf ca. 8000 geschätzt. Davon sind etwa 100 (einschließlich der semisynthetischen Antibiotika) in der Medizin anwendbar. Die Antibiotika gehören sehr verschiedenen chemischen Stoffklassen an. Entsprechend erfolgt ihre Einteilung vorwiegend nach der chemischen Struktur ( vgl. Tab. ). Alternative Klassifizierungen basieren auf der Herkunft, dem Spektrum der sensitiven Organismen, dem Wirkmechanismus oder dem Syntheseweg. – Anwendung: Antibiotika werden hauptsächlich zur Bekämpfung bakterieller und pilzlicher, aber auch viraler Krankheitserreger (Infektionskrankheiten, Pilzkrankheiten, Viruskrankheiten) von Mensch und Tier eingesetzt. Sie finden weiterhin Anwendung als Immunsuppressiva (Immunsuppression) oder als Cytostatika bei der Behandlung von Tumorerkrankungen (Krebs). Pflanzenschutz-Antibiotika (z. B. Blasticidin S [Blasticidine], Kasugamycin, Polyoxine, Nikkomycine) werden vorwiegend in Japan zur Pilzbekämpfung (Fungizide) und gegen Brandkrankheiten (Brand) eingesetzt. Soweit zugelassen, werden in einzelnen Ländern bestimmte Antibiotika auch zur Konservierung von Nahrungsmitteln verwendet. Fütterungs-Antibiotika (z. B. Avoparcin, Bambermycin, Virginiamycin, Monensin) dienen primär der Infektionsprophylaxe bei Masttieren. Außerdem können sie über eine bessere Futterverwertung zu einer schnelleren Gewichtszunahme der Tiere (Masthilfsmittel = Ergotropika) führen (Massentierhaltung).
Wirkungsmechanismen: Die Wirkung von Antibiotika ( vgl. Abb. ) erstreckt sich von der reversiblen Hemmung des Wachstums (Bakteriostatika, Fungistatika) bis zu einer Abtötung (Bakterizide, Fungizide) von Mikroorganismen. Je nach Antibiotikum kann entweder ein reversibler oder ein irreversibler Effekt ausgelöst werden. Es ist auch möglich, daß, abhängig von der Konzentration, ein Antibiotikum beide Effekte bewirkt. Da die schädigende Wirkung meistens auf definierte Ziele in der Zelle beschränkt ist, kann die Hemmung selektiv sein, und sie kann darüber hinaus ein charakteristisches Spektrum an sensitiven Organismen umfassen. Wird eine begrenzte Gruppe einander ähnlicher Organismen (z. B. nur gramnegative oder nur grampositive Bakterien) beeinträchtigt, so spricht man von Schmalbandantibiotika, erfaßt die Schädigung dagegen eine Vielzahl unterschiedlicher Organismenformen (z. B. gramnegative und grampositive Bakterien gleichermaßen), so spricht man von Breitbandantibiotika. – Die wichtigsten Wirkungsbereiche, besonders der therapeutisch verwendeten Antibiotika, sind ( vgl. Abb. ): a) die Zellwand und ihre Synthese (Bakterienzellwand), b) die Struktur und Synthese der Cytoplasmamembran (Bakterienmembran) einschließlich der darin enthaltenen Funktionssysteme, wie die Atmungskette oder Transportsysteme für Gelöststoffe in die Zelle, wie der Eisentransport, c) die Struktur und Replikation des Chromosoms (Bakterienchromosom), d) die DNA-abhängige RNA-Synthese (Transkription), e) die ribosomale Proteinsynthese (Translation) und f) definierte metabolische Reaktionen (durch Antimetaboliten). Ob ein Antibiotikum selektiv gegenüber einem pathogenen Mikroorganismus wirksam ist oder ob es gleichzeitig auch den Wirtsorganismus beeinträchtigt, hängt wesentlich davon ab, inwieweit sich die eigentliche Wirkung auf einen für den Mikroorganismus spezifischen Zielort beschränkt. So können Antibiotika, welche die Zellwandsynthese oder die ribosomale Proteinsynthese von Bakterien hemmen, recht selektiv eingesetzt werden, denn die sensitiven Schritte kommen bei Eukaryoten nicht vor. Andererseits besteht kaum Selektivität, wenn der Angriff ein System betrifft, das universell verbreitet ist. Hierzu zählt die Hemmung der Nucleinsäuresynthese, und hiermit ist der Einsatz bestimmter Antibiotika als Cytostatika ( vgl. Tab. ) zu erklären. Unabhängig davon, ob eine hochselektive Hemmwirkung auf Mikroorganismen besteht oder nicht, können Antibiotika bei den zu therapierenden Organismen, wie dem Menschen, unerwünschte Nebenwirkungen auslösen. Bei vielen Antibiotika überwiegen solche Nebenwirkungen, so daß sie sich für die direkte oder indirekte Nutzung durch den Menschen nicht einsetzen lassen. Allerdings kann gegebenenfalls die Schwere einer Erkrankung den Einsatz von Antibiotika trotz hoher Nebenwirkungen notwendig machen. Aber selbst die üblicherweise für Therapiezwecke genutzten Antibiotika können bei einer längeren Behandlungsdauer oder beim Einsatz höherer Konzentrationen schädigende, in Einzelfällen sogar tödliche Nebenwirkungen auslösen. Zu den Nebenwirkungen zählen Nieren-Leber-Schäden, neurotoxische Reaktionen, Gehörschäden, schadhafte Zahnausbildung bei Kindern, Hemmung des Knochenwachstums und besonders auch allergische Reaktionen (Allergie), die unter Umständen auch zu einem anaphylaktischen Schock mit tödlichem Ausgang führen können. – Industrielle Produktion ( vgl. Abb. ): Die überwiegende Zahl der therapeutisch bedeutenden Antibiotika wird von Bakterien und Pilzen produziert ( vgl. Tab. ). Bei den Bakterien handelt es sich in erster Linie um Vertreter der Streptomycetaceae, bei den Pilzen um Vertreter der Penicillien (Penicillium). Die Organismen werden zur Antibiotikaproduktion meistens in Groß-Fermentern (Fassungsvermögen: 100–150 000 Liter; Bioreaktor) in statischer Kultur gehalten. Um die Anzahl unterschiedlich wirksamer Antibiotika zu erhöhen, wird besonders im Falle der β-Lactam-Antibiotika die Biosynthese des β-Lactaman-Grundgerüstes mit einer anschließenden chemischen Modifikation kombiniert (Semisynthese). In Ausnahmefällen erfolgt auch chemische Totalsynthese (Chloramphenicol). Die Produktion an Antibiotika umfaßt weltweit ein Finanzvolumen von zur Zeit (1998) ca. 16 Milliarden Dollar. – Suche nach neuen Antibiotika: Unter dem Druck der Entwicklung und Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen erwächst die Notwendigkeit, stetig alternative Antibiotika zu entwickeln und anzubieten. Jährlich werden einige hundert neue Substanzen mit antibiotischen Aktivitäten beschrieben, von denen jedoch nur wenige zum Einsatz gelangen. In Verbindung mit der Suche nach neuen Antibiotika verfolgt die Forschung folgende zusätzliche Ziele: Erhöhung der Aktivität und Ausbeute, Verbesserung der Verträglichkeit, geringere Nebenwirkungen, Erweiterung des Wirkungsspektrums, Steigerung der Selektivität gegen bestimmte Erreger und Verbesserung der pharmakokinetischen Eigenschaften (Pharmakokinetik). Zu diesem Zweck werden bekannte Antibiotika chemisch oder enzymatisch modifiziert. Weitere Möglichkeiten der gezielten Modifikation bekannter Strukturen bestehen darin, die Organismen bereits zum Zeitpunkt der normalen Synthese mit modifizierten Vorstufen zu versorgen oder aber Blockmutanten (Blockmutation) in der Antibiotikaproduktion Strukturanaloga des nicht mehr synthetisierten Intermediärprodukts anzubieten (Mutasynthese). Alternativ dazu werden Analoga bekannter Antibiotika per Computer entworfen, modelliert und getestet (drug design, molecular modeling). Schließlich wird nach neuen Klassen antibiotisch wirksamer Substanzen gesucht, mit denen Mikroorganismen über bisher nicht bekannte oder genutzte Mechanismen angreifbar sein sollten. In verstärktem Umfang werden zur Entwicklung neuer Wirkstoffe auch die Methoden der modernen Gentechnologie zur Anwendung gelangen. Besondere Bedeutung wird dabei der Genamplifikation als Methode zur Erhöhung der Syntheseleistung zugemessen.
Geschichte: Die antibiotische Wirkung von Organismen auf andere Organismen (Antibiose) war bereits im Mittelalter bekannt. Grünes, mit Schimmelpilzen infiziertes Brot diente als Wundheilmittel. 1877 beobachteten L. Pasteur und J. Joubert die hemmende Wirkung "gewöhnlicher" Bakterien auf den Erreger des Milzbrands. Die eigentliche Ära der Antibiotika begann jedoch mit der Beobachtung von A. Fleming (1929), daß Staphylococcus aureus (Staphylococcus) in einem gewissen Abstand um Penicillium-Kolonien (Penicillium) herum nicht wachsen kann (Hemmhof). Die Bedeutung dieser Wachstumshemmung für die Humanmedizin wurde jedoch erst 1939/40 von H.W. Florey und E.B. Chain nach der Identifikation der antibiotisch wirksamen Substanz (Penicilline) erkannt. 1941 erfolgten die ersten therapeutischen Versuche und bereits 1942 die erste klinische Erprobung in den USA. Die gezielte Suche von S.A. Waksman und Mitarbeitern nach therapeutisch anwendbaren Antibiotika führte zur Entdeckung neuer Antibiotika, wie des Streptomycins (1943/44) sowie des Neomycins (1948/49), aus Streptomyceten. Agardiffusionstest, Aminoglykosid-Antibiotika, Cephalosporine, Darmflora, Fermentation, Hospitalismus, Plasmide, Reihenverdünnungstest, Ribosomen, Rifamycine, Tetracycline, Überschichtungstest, Vektoren; Antibiotika .
J.O.
Lit.:Brauss, F.W. (Hg.): Antibiotika-Taschenbuch. Deisenhofen 21978. Gräfe, U.: Biochemie der Antibiotika. Heidelberg, Berlin, New York 1992. Schmitt, H.J., Solbach, W., Eichenwald, H.F.: Antibiotika und Infektionskrankheiten in der Pädiatrie. Stuttgart 21993. Simon, C., Stille, W.: Antibiotika-Therapie in Klinik und Praxis. Stuttgart 91997. Walter, A.: Antibiotika-Fibel. Stuttgart 51975. Zähner, H.: Biologie der Antibiotika. Heidelberg 1965.
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Kanamycin | Kohlenhydrat-Antibiotika | Aminoglykosid | Streptomyces kanamyceticus | |
Lincomycin | Aminoglykosid | Streptomyces lincolnensis | ||
Neomycin | Aminoglykosid | Streptomyces fradiae | ||
Streptomycin | Aminoglykosid | Streptomyces griseus | ||
Vancomycin | C-Glykosid | Streptomyces orientalis | ||
Erythromycin | makrocyclische Lactone | Makrolid | Streptomyces erythreus | |
Rifamycine | Ansamycin | Nocardia mediterranei | ||
Amphotericin B | Polyen | Streptomyces nodosus | ||
Nystatin | Polyen | Streptomyces noursei | ||
Tetracyclin | Chinone und Verwandte | Tetracycline | Streptomyces rimosus | |
Cycloserin | Aminosäure- und Peptid-Antibiotika | Aminosäure-Derivat | Streptomyces orchidaceus | |
Penicillin | β-Lactam | Penicillium chrysogenum | ||
Cephalosporin | β-Lactam | Cephalosporium sp. | ||
Bacitracin | Peptid | Bacillus licheniformis | ||
Polymyxin B | Lipopeptid | Bacillus polymyxa | ||
Nikkomycine | N-haltige Heterocyclen | Nucleoside | Streptomyces tendae | |
Polyoxine | Nucleoside | Streptomyces cacaoi var. asoensis | ||
Monensin | O-haltige Heterocyclen | Polyether | Streptomyces cinnamomensis | |
Cycloheximid | alicyclische Antibiotika | Cycloalkan | Streptomyces griseus | |
Chloramphenicol | aromatische Antibiotika | Benzolderivate | Streptomyces venezuelae* | |
Griseofulvin | kondensierte Aromaten | Penicillium griseofulvum | ||
Fosfomycin | aliphatische Antibiotika | Phosphorhaltige | Streptomyces fradiae |
*Synthese heute rein chemisch
Antibiotika
Wichtige Antitumor-Antibiotika (Cytostatika)
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Aclacinomycin | Anthracyclin | Streptomyces galilaeus | |
Actinomycin C1, C3, D | Chromopeptid | Streptomyces antibioticus | |
Adriamycin | Anthracycline | Streptomyces peucetius | |
Daunomycin | Anthracycline | Streptomyces peucetius | |
Chromomycin A3 | C-Glykosid | Streptomyces griseus | |
Mithramycin | (Oligosaccharid mit aromatischem Chromophor) | Streptomyces plicatus, Streptomyces argillaceus, Streptomyces atroolivaceus | |
Mitomycin C | Benzochinon | Streptomyces caespitosus | |
Bleomycin A2, B2 | Glykopeptid | Streptomyces verticillus | |
Neocarzinostatin | Peptid | Streptomyces carzinostaticus |
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