Lexikon der Biologie: Antigene
Antigene [von griech. antigennan = dagegen erzeugen], Bezeichnung für Moleküle, die an jeweils spezifische Antikörper binden können. Die Bindungsstellen auf den Antigenen, die mit den korrespondierenden Antikörpern reagieren (die sog. antigenen Determinanten; Epitop), sind kleiner als die Bereiche, die die Bildung der Antikörper induzieren. Für Kohlenhydrate und Proteine konnte die Größe der antigenen Determinanten dadurch ermittelt werden, daß man die minimale Größe einer bestimmten Polypeptid- oder Zuckerkette maß, die für die Hemmung einer Präzipitationsreaktion benötigt wurde. Am Dextran-System (Dextran als Antigen) fand man heraus, daß eine Antigenbindungsstelle Platz für ein Hexasaccharid (relative Molekülmasse = 990) bieten muß. Analoge Untersuchungen an Polypeptiden zeigten, daß hier 4–8 Aminosäuren pro Antigenbindungsstelle aufgenommen werden müssen. Daraus kann man die Dimension einer antigenen Determinante, die zur Antikörperbindungsstelle eine komplementäre Struktur aufweisen muß, extrapolieren (3,5 × 1 × 0,6 nm). – Induziert ein Antigen eine spezifische Immunantwort, ist es immunogen. Je fremder eine Substanz für einen Organismus, desto besser wird die Immunantwort stimuliert. Umgekehrt rufen Substanzen, die mit denen des Individuums sehr nahe verwandt oder gar identisch sind, keine Immunantwort hervor. Vollständige Antigene (Immunogene) können sowohl eine Immunantwort induzieren als auch mit den Produkten dieser Antwort (Antikörper) reagieren. Unvollständige Antigene (Haptene) sind Substanzen von kleiner relativer Molekülmasse, die allein keine Immunantwort induzieren können, aber durch Kopplung an größere Moleküle oder inerte Partikel immunogen werden können. Die unterschiedlichsten chemischen Verbindungen wirken als Antigene. Die am besten untersuchten Antigene sind Proteine und Polysaccharide, die in löslicher Form oder als Teil komplexer Strukturen (z. B. Bakterienzellwand) stark immunogen wirken. Lipide und Nucleinsäuren sind vergleichsweise schwache Antigene. Polynucleotide können aber immunogen sein (genetische Impfung), und auch manche Lipide haben sich als immunogen erwiesen, die jedoch auf CD1-Molekülen (CD-Marker) und nicht auf MHCMolekülen (Histokompatibilitäts-Antigene, Haupt-Histokompatibilitäts-Komplex) präsentiert werden. Vollständige Antigene haben im allgemeinen eine hohe relative Molekülmasse (Mr). Aber auch natürlich vorkommende Substanzen mit relativ niedriger Mr, z. B. Ribonuclease (Mr = 14 000), Insulin (6000) und Glucagon (2600), sind immunogen. – Für die Immunogenität eines Antigens wichtige Faktoren sind: 1) Größe und Komplexität des Antigens; 2) Unterschied zu eigenen Antigenen; 3) die Beziehungen zwischen den Determinanten, die von T-Zellen (T-Lymphocyten, Lymphocyten), und solchen, die von B-Zellen (B-Lymphocyten) erkannt werden, d. h. die Wechselwirkung mit den MHC-Molekülen; einige Antigene lösen eine Immunantwort aus, bei der nur B-Zellen beteiligt sind (Thymus-abhängige Antigene, Thymus-unabhängige Antigene); 4) die Art der Verabreichung (subcutan, intraperitoneal oder intravenös); 5) die Form des Antigens, in der es verabreicht wird, partikulär oder löslich, und dadurch bedingt die Effizienz der Aufnahme durch Antigen-präsentierende Zellen. Im Falle eines Antigens von hoher chemischer Komplexität ist es eher zu erwarten, daß das Individuum kooperierende Lymphocyten besitzt, die einige oder alle Determinanten erkennen. Daher wirken z. B. synthetische Homopolymere aus L-Aminosäuren selten immunogen. Polymere (Biopolymere) aus zwei oder mehr Aminosäuren können jedoch eine Immunantwort auslösen. Kommt es zu einer Immunantwort gegen körpereigene Antigene (Autoantigene), so spricht man von Autoimmunität, die als Zusammenbruch der Toleranz (Immuntoleranz) gegen körpereigene Strukturelemente aufzufassen ist (Autoimmunkrankheiten). Als Alloantigen (Alloantigene) bezeichnet man ein Antigen, das von einem anderen Individuum derselben Art abstammt. Solche Antigene sind als Ergebnis des genetischen Polymorphismus aufzufassen. Als Beispiele lassen sich die Blutgruppenantigene (Blutgruppen) des AB0-Systems und RH-Systems (Rhesusfaktor) aufführen sowie die Histokompatibilitäts-Antigene, welche das Immunsystem prompt stimulieren und deren Erforschung in neuerer Zeit unter anderem wegen der Zunahme von Organ-Transplantationen beim Menschen besonders bedeutend ist. Antigen-Präsentation, Antigen-Prozessierung, Benacerraf (B.), Burnet (F.M.), Calvin (M.), Edelman (G.M.), Grubb (E.R.), heterophile Antigene, immunologisches Gedächtnis, Jerne (N.K.), Superantigene, tumorassoziierte Antigene, T-B-Lymphocyt-Kollaboration, Überempfindlichkeitsreaktionen.
B.L./R.We.
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