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Lexikon der Biologie: Milzbrand

Milzbrandm, Anthrax, durch Bacillus anthracis hervorgerufene meldepflichtige Infektionskrankheit der Tiere, vor allem bei Huftieren, z.B. Rind, Schwein, Schaf und Pferd, die auf den Menschen übertragbar ist (Zoonosen). Von Mensch zu Mensch ist bisher keine Ansteckung (Infektion) beobachtet worden. Den eindeutigen Nachweis, daß Milzbrand durch ein Bakterium verursacht wird, erbrachte R. Koch (veröffentlicht 1876). Die Infektion bei Tieren erfolgt durch orale Aufnahme der Keime mit dem Futter (verunreinigte Weideflächen). Die besondere Gefährlichkeit der Erreger liegt darin, daß sie Sporen bilden, die Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte in der Umwelt überdauern können. Infizierte Tiere zeigen anfangs nur geringfügige Krankheitssymptome, sterben aber plötzlich nach kurzem schwerem Kranksein. Der Sektionsbefund zeigt eine schwärzlich-dunkelrote, vergrößerte Milz (Name). Beim Menschen unterscheidet man 3 Krankheitsformen: 1) Beim Hautmilzbrand (Pustula maligna, 95–98% der Fälle, Inkubationszeit 1–3 Tage) gelangen die Erreger (bzw. Sporen) von erkrankten Tieren, Kadavern oder Tiermaterialien über kleine Hautläsionen in den Körper (Berufskrankheit bei Tierärzten, Fleischern, Hirten); es treten an Händen, Unterarmen, Gesicht Karbunkel-ähnliche Infektionsherde auf. Bei gutartigem Verlauf bleibt die Erkrankung lokal und heilt aus. In schweren Fällen kommt es u.a. zu Fieber, Schüttelfrost, Diarrhoe, Hautblutungen, Milzschwellungen, selten zu einer Meningitis und zu Kreislaufstörungen; vor allem durch eine Atemlähmung kann der Tod eintreten. 2) Der Lungenmilzbrand wird durch Einatmen von Sporen ausgelöst (z.B. beim Gerben oder Scheren der Schafe). Diese Form der Erkrankung beginnt mit Schüttelfrost und Fieber; dann entwickelt sich eine atypische, schwere Lungenentzündung mit einem blutigen Auswurf, der reichlich Milzbrandbacillen enthält. Unbehandelt führt die Erkrankung in wenigen Tagen zum Tod. 3) Der sehr seltene Darmmilzbrand, der durch Verzehr von mit Sporen kontaminierten Nahrungsmitteln ausgelöst wird, verläuft als Gastroenteritis mit Erbrechen, blutigem Durchfall und Kreislaufversagen, der oft zum Tode führt. Die Therapie erfolgt mit Antibiotika und Milzbrand-Antiserum (Heilserum). Eine Impfung (aktive Immunisierung) existiert, wird aber wegen der Nebenwirkungen normalerweise nur in besonderen Fällen verabreicht, z.B. zum Schutz der Kampftruppen aus den USA, Großbritannien und Kanada. Der erste Impfstoff gegen Anthrax bei Tieren wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts von L. Pasteur entwickelt. – Die Pathogenität der Milzbrandbakterien beruht auf der Ausbildung einer antiphagocytären Kapsel und einem Exoenzym, dessen Wirkung tödlich sein kann. Das Enzym setzt sich aus 3 Proteinkomponenten zusammen: Das protektive Antigen (PA, Schutzantigen) bindet zunächst die Bakterien an einen Rezeptor der Wirtszelle; dadurch gelangen 2 weitere Proteine, der Ödemfaktor (EF) und der Letalfaktor (LF), in das Zellinnere. EF hemmt eine Reihe von Prozessen, darunter die Phagocytose, mit der Zellen Stoffe aufnehmen, und löst damit Ödeme aus. LF ist eine Protease, die MAPKK (MAP-Kinase, Raf-Kinasen) abbaut. Dadurch werden wichtige Signalketten in den Zellen unterbrochen, so daß sie absterben. – In geschichtlichen Überlieferungen wird immer wieder von verheerenden Seuchen bei Weidevieh, besonders Schafen, und Epidemien bei Menschen berichtet, die wahrscheinlich durch die Ausbreitung von Milzbrand verursacht wurden. Bei der im Alten Testament geschildert katastrophalen Viehseuche, der „fünften ägyptischen Plage“, handelt es sich vermutlich auch um Milzbrand. Im Mittelalter wurden die Milzbrandkarbunkel der Tiere fälschlicherweise oft als Pestbeulen gedeutet. – Da Milzbrandbakterien sich ohne hohe Kosten in Massen züchten und leicht unauffällig lagern lassen, werden sie seit Jahrzehnten als bakteriologische Kampfstoffe in einer Reihe von Staaten gehortet. Teilweise wurde Anthrax bereits in Menschenversuchen und als „Waffe“ eingesetzt: z.B führten im 1. Weltkrieg deutsche Agenten Sabotageakte an Pferden aus, in den 1930iger Jahren wurde von Japanern in chinesischen Dörfern das Trinkwasser verseucht, um an den Opfern die Infektionswege beim Menschen zu klären; außerdem wurden Sprühversuche an chinesischen Gefangenen unternommen, um die wirkungsvollste Methode der Verbreitung zu erkennen. Durch diese Versuche wurden mehrere Tausend Menschen getötet. Entscheidend für die Wirksamkeit der Infektion ist die Partikelgröße der ausgebrachten Erreger, da eine hohe Wirksamkeit nur durch Einatmen der Sporen gewährleistet ist. Der Fehlschlag der japanischen Aum-Sekte, Menschen durch Anthrax zu vergiften, ist wahrscheinlich auf eine ungenügende Verteilung der Erreger zurückzuführen. Eine Verbreitung der resistenten Sporen ist jedoch sehr einfach: sie können sogar in Briefen verschickt werden. Durch eine großflächige Ausbreitung der Sporen kann der Boden nach Ausbringen von Milzbrandbakterien weitgehend verseucht sein, wie die Anthrax-Experimente (1941) auf der schottischen Insel Gruinard (biologische Waffen [Abb.]) zeigen, die jahrzehntelang nicht betreten werden konnte und auf der trotz aufwendiger Desinfektionen eine Beweidung immer noch mit hohen Risiken verbunden ist. Anthrax eignet sich weniger als Kriegswaffe, kann aber, besonders durch Terroristen eingesetzt, die Bevölkerung stark verunsichern (wie 2001 insbesondere in den USA geschehen), auch wenn bei einem Befall mit den heute bekannten Stämmen durch eine rechtzeitige Antibiotikabehandlung gute Heilungschancen bestehen und nur vereinzelt Todesfälle eintreten.

G.S.

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