Lexikon der Biologie: Vögel
Vögel, Aves, Klasse warmblütiger vierfüßiger Wirbeltiere (Vierfüßer), die den Luftraum (Atmosphäre) erobert hat, entwicklungsgeschichtlich aus den Reptilien hervorgegangen und mit theropoden Dinosauriern(Theropoda, Maniraptora) sehr nahe verwandt ist, worauf die Ausbildung von Federn (Vogelfeder) hinweist (Caudipteryx). Die Befähigung der Vögel zum Flug (Flugmechanik [Abb.]) bedingte tiefgreifende evolutive Anpassungen in der Anatomie, der Physiologie und dem Verhalten. – System: Den fossilen Urvögeln (Archaeornithes) stehen die Neornithes gegenüber ( ö vgl. Infobox , ö vgl. Abb. 1 ), zu denen die ebenfalls fossilen Zahnvögel (Odontognathae) sowie alle übrigen rezenten Vogel-Ordnungen gehören ( ö vgl. Tab. 1 ; Familien der Singvögel ö vgl. Tab. 2 ). Bedingt durch den relativ einheitlichen Typus, ist eine befriedigende Systematik bislang nicht erreicht. Obwohl heute kaum noch mit der Entdeckung neuer Vogel-Arten zu rechnen ist, schwankt die Zahl der klassifizierten Arten zwischen 8600 und 10.000 (Rasse), je nach systematischer Kategorisierung. – Morphologie und Physiologie: Die Vorder-Extremitäten sind zu Flügeln (Vogelflügel [Abb.], Flugbild [Abb.]) umgewandelt ( Homologie ), teilweise findet sich ein sekundärer Verlust des Flugvermögens (bei den Pinguinen, Straußen, Nandus, Kasuaren, Emus und Kiwis). Der Schwanz ist stark reduziert. Der hornige Schnabel ist zahnlos und sehr variabel in der Form, entsprechend den unterschiedlichen Lebens- und Ernährungsweisen. Die mit Krallen und teilweise mit Schwimmhäuten versehenen Beine werden je nach Lebensweise zum Laufen, Schwimmen (Ruderfüße) oder Klettern eingesetzt und können zusätzlich Funktionen der Hand übernehmen (z.B. bei der Nahrungssuche und Gefiederpflege). Das Rumpf-Skelett ( ö vgl. Abb. 2 ) ist durch das lange Darmbein (Rückenteil des Beckens; Beckengürtel), durch Hakenfortsätze der Rippen und durch das große Brustbein, an dessen kielförmigem Kamm die kräftige Flugmuskulatur (Flugmuskeln) ansetzt, relativ starr. Viele Knochen sind pneumatisiert (pneumatische Knochen), der Körper besitzt ein ausgedehntes Luftsacksystem (Verringerung des spezifischen Körpergewichts). Die Federn bilden in ihrer Gesamtheit das Gefieder. Dieses wird – durch Abnutzung bedingt – nach fixierten Schemata gewechselt (Mauser). Die Epidermis (Haut) der Vögel besitzt außer der meist großen Bürzeldrüse, mit deren Sekret die Federn gefettet werden, und Drüsen am äußeren Gehörgang keine weiteren Drüsen, ist aber insgesamt sehr lipidreich. Bei einer Reihe von Vögeln fehlt die Bürzeldrüse (z.B. Kormorane, Strauße, Spechte, Tauben). Kreislauf- und Atmungssystem sind bei Vögeln sehr leistungsfähig, das Herz ist relativ groß ( ö vgl. Abb. 3 ). Lungen- und Körperkreislauf sind wie bei den Säugetieren getrennt (Blutkreislauf [Abb.], Arterienbogen [Abb.], Herz), da nur der rechte Aortenbogen vorhanden ist. Blutdruck, Zahl der Erythrocyten, Puls- (Herzfrequenz) und Atemfrequenz sind höher als bei Säugern, die Temperatur des Bluts beträgt 41–43 °C (bei Kiwis und Pinguinen 38 °C). Die Lunge ( Atmungsorgane III ) besteht aus einem System von Röhren mit einer sehr großen Oberfläche für den Gasaustausch. Durch die großen, wie Blasebälge wirkenden Luftsäcke wird dieses Röhrensystem sowohl beim Einatmen als auch beim Ausatmen von hinten nach vorne mit frischer Luft durchströmt. Gut entwickelt ist auch das Lymphgefäßsystem, das bei adulten Vögeln öfter noch Lymphherzen aufweist. Die Körpergröße der heute lebenden Vögel reicht von 5 cm mit einem Gewicht von 2 g bei den kleinsten Kolibris bis zu einer Höhe von 3 m mit einem Gewicht bis 150 kg beim männlichen Strauß; die ausgestorbenen Moas waren noch deutlich größer. Die größte Flügelspannweite erreichen Albatrosse (bis 3,2 m) und Neuweltgeier (Kondor, 3 m). – Verbreitung: Als bewegliche und homoiotherme (Homoiothermie) Tiere besiedeln die Vögel sämtliche Biotope der Erde (Tiergeographie). Die größte Artenvielfalt herrscht in den Tropen. Auf klimatische Änderungen (Klimaänderungen) reagieren sie durch Anpassung der Ernährung (Nahrungserwerb) oder saisonale Wanderungen (Tierwanderungen). – Ernährung: Unter den Vögeln finden sich Pflanzen-, Fleisch- und Allesfresser (mit entsprechenden Adaptationen des Schnabels, der Füße und des Darms). Das Verdauungssystem (Verdauung) ist, je nach Lebensweise, sehr variabel. Alle Vögel besitzen einen zweigeteilten Magen, der aus Muskelmagen oder Kaumagen und einem Drüsenmagen besteht. Das Größenverhältnis der Teile spiegelt die Ernährungsweise (Ernährung) wider: so besitzen z.B. Körnerfresser einen gut ausgebildeten Muskelmagen und z.B. Greifvögel einen hochentwickelten Drüsenmagen. Unverdauliche Nahrungsreste werden in verschiedenen Vogelgruppen als Gewölle wieder ausgespien (Reiher, Störche, Greifvögel, Möwen, Eulen, Eisvögel, Bienenfresser, verschiedene Singvögel). Wesentliches Exkretionsprodukt (Exkretion; Exkretionsorgane ) ist Harnsäure, der Harn ist sehr konzentriert; die Niere ist dreilappig, eine Harnblase fehlt. Wie die Reptilien besitzen Vögel eine Kloake, in die Darm, Harnleiter und Geschlechtsgänge münden. Dort wird der Harn noch weiter konzentriert, indem ihm Wasser entzogen wird. Meeresvögel sondern konzentrierte Salzlösungen über spezielle Salzdrüsen ab. Bei der Paarung werden die Kloaken aneinandergepreßt und das Sperma übertragen. Einen Penis besitzen nur Strauße, Gänsevögel und Hokkos. – Sinnesleistungen: Gegenüber den Reptilien ist das Zentralnervensystem (Gehirn (Abb.); Telencephalon ) beträchtlich höher entwickelt (insbesondere Endhirn, Mittelhirndach und Kleinhirn) – eine Folge der durch den Flug viel komplizierteren Motorik und einer erhöhten Reaktionsgeschwindigkeit. So ist das zeitliche Auflösungsvermögen von Bewegungsvorgängen im Vogel-Auge sehr hoch: bis zu 150 Bilder/Sekunde können getrennt verarbeitet werden. Mit Hilfe einer Sonderbildung des Auges, dem Fächer (Pecten), können wahrscheinlich kleine bewegte Objekte am hellen Himmel besser erkannt werden. Die Augen sind bei den meisten Arten völlig oder fast unbeweglich, was durch eine starke Beweglichkeit der Hals-Wirbelsäule kompensiert wird. Tagaktive Vögel sind zum Farbensehen befähigt. Die Akkommodation erfolgt durch Formveränderung der Augenlinse, wobei Geschwindigkeit und Ausmaß der Akkommodation größer sind als bei jeder anderen Wirbeltiergruppe. Neben dem Gesichtssinn kommt auch dem Gehörsinn bei Vögeln eine große Bedeutung zu. Bei Eulen ermöglichen äußere Federohren und asymmetrische Anordnung der Ohren auch bei Dunkelheit eine exakte Lokalisation der Beutetiere. Einige Höhlen bewohnende Vögel orientieren sich mit Echolotsystemen (z.B. die Fettschwalme; Echoorientierung). Der Geruchssinn ist im Gegensatz zu den Säugetieren schwach entwickelt (Ausnahmen, soweit bekannt: Kiwis, Sturmvögel, Neuweltgeier, Tauben [Brieftaube], vielleicht Entenvögel), auch der Geschmackssinn ist nur schwach ausgeprägt. Verglichen mit dem Menschen finden sich zum Teil höhere Sinnesleistungen: Gesichtsfeld (Singvögel, Schnepfenvögel), Sehschärfe (verschiedene Greifvögel), Hörvermögen (Eulen), Wahrnehmung von Magnetfeldlinien (magnetischer Sinn). Die Lauterzeugung (Lautäußerung) erfolgt meist durch einen besonderen Kehlkopf(Syrinx) – dieses an der Gabelstelle der Luftröhre befindliche und mit eigener Muskulatur versehene Stimmorgan fehlt nur bei Geiern, Straußen und Störchen –, außerdem mit bestimmten Gefiederpartien (z.B. „Flügelklatschen“ von Tauben, „Meckern“ mit Schwanzfedern bei Bekassinen), mit dem Schnabel (Trommeln der Spechte) usw. Ein vielfach hoch entwickeltes Kommunikationsverhalten (akustische Kommunikation, Kommunikation) wird durch funktionell stark differenzierte Rufe und Gesänge gestützt (Bioakustik, Duettgesang, Sonagramm, Vogeluhr). – Fortpflanzung: Die Mehrheit der Vögel ist monogam (Monogamie). Beim Eintritt der Brutzeit vergrößern sich die männlichen Keimdrüsen beträchtlich. Der Begattung geht meist eine Einzel- oder Gruppen-Balz [Farbtafel] voraus (Arenabalz, Gruppenbalz). Die Eier werden innerhalb des unpaaren Eileiters befruchtet (Hühnerei [Abb.], Ovidukt) und ausnahmslos mit harter und sehr unterschiedlich gefärbter Kalkschale (Kalk, Oologie, Vogelei) in ein Nest oder auf den Untergrund (Boden, Nisthöhle) abgelegt. Die Anzahl der Eier im Nest variiert artspezifisch und ist von zahlreichen Faktoren abhängig (Gelege [Tab.]). Im Gegensatz zu den Reptilien erzeugen die Vögel eine konstant hohe Ei-Temperatur durch eigene Bebrütung, die einige Tage bis Wochen von Weibchen und/oder Männchen übernommen wird (brüten, Brutfleck). In Ausnahmefällen werden hierfür externe Wärmequellen genutzt (Großfußhühner). Die geschlüpften Jungen (unbefiedert oder mit Nestdunen bedeckt; Embryonalentwicklung [Abb.]) erhalten eine eingehende Brutfürsorge durch einen oder beide Eltern, wobei Nesthocker und Nestflüchter (Jungentypus) unterschiedlich weit entwickelt und selbständig sind. Einige Arten sind Brutparasiten (z.B. Kuckucke und Honiganzeiger; Brutparasitismus). Viele Vögel brüten sehr gesellig (Koloniebrüter), einige gruppieren sich nur außerhalb der Brutzeit zu größeren Verbänden (Enten, Schnepfenvögel, Finken, Stare, Krähen). Viele Arten (Zugvögel) unternehmen jährlich imponierende Wanderungen zwischen Brutgebiet und Winterquartier (Vogelzug), andere streifen weniger weit umher (Strichvögel, Teilzieher) oder überwintern im Brutgebiet (Standvögel). – Vogel und Mensch: Wirtschaftliche Bedeutung besitzen Vögel einmal dadurch, daß sie als Geflügel in Gefangenschaft der Fleisch- (Fleisch), Eier- und Federgewinnung dienen (Massentierhaltung), zum anderen werden auch wildlebende Vögel genutzt (Guano als Düngemittel, Federn zur Dekoration und als Polstermaterial [Dunen], Sammeln von Eiern und Jagd zu Ernährungszwecken). Mehr sportlichen Aspekten dient in Mitteleuropa die Vogeljagd, soweit sie nicht verboten ist, und früher die Falknerei (Friedrich II von Hohenstaufen). Wirtschaftliche Schäden durch Vogelfraß können lokal auftreten, umgekehrt besitzen Vögel eine erhebliche Bedeutung für die biologische Schädlingsbekämpfung (Nisthilfen). Als ästhetisch ansprechende Tiere werden Vögel in großem Umfang als Käfigvögel gehalten. Die wissenschaftliche Erforschung der Vogelwelt (Ornithologie) erfolgt durch professionelle Ornithologen (z.B. in Vogelwarten) und in einem Ausmaß wie in keiner anderen biologischen Disziplin auch von Amateuren. Deren Ergebnisse liefern wesentliche Grundlagen für den Vogelschutz (Vogelschutzrichtlinie). – Die Bewirtschaftungs- und Bebauungsformen des Menschen haben in weiten Bereichen einschneidende Veränderungen in der Landschaft und dem ökologischen Gefüge verursacht. Als hochentwickelte und sensible Bioindikatoren reagieren Vögel empfindlich auf Umweltbeeinträchtigungen (Umweltbelastung). Aus Anlaß der Aktualisierung der Roten Liste im Jahre 2002, die auf Erhebungen bis 1999 beruht, sind für Deutschland 294 Brutvogelarten nachgewiesen, von denen 16 Arten, die früher dort regelmäßig brüteten, nicht mehr vorkommen (mit teilweise schon vor 1850 erloschenen Brutvorkommen) und mit weiteren 24 Arten, die nur unregelmäßig bzw. nur einmalig brüteten. Ferner sind 15 Arten zu verzeichnen, die aus Gefangenschaft freigekommen sind oder absichtlich freigelassen wurden (Neozoen). Für den Zeitraum 1975–1999 sind 238 als aktuelle autochthone Brutvogelarten zu werten. Gegenwärtig werden nur noch 44% dieser Arten nicht in den verschiedenen Kategorien der Roten Liste verzeichnet, womit sich eine weitere Verschlechterung ergeben hat. Da die Gefährdung nahezu ausschließlich anthropogen bedingt ist, besteht die zwangsläufige Pflicht zu biotop- (Biotopschutz) und damit bestandssichernden Naturschutzmaßnahmen (Artenschutz, Naturschutz). Archaeopteryx, Audubon (J.J.), Berg (B.M.K.), Biodiversität, Borelli (G.A.), Brehm (C.L.), Confuciusornis, Floericke (K.), Gould (J.), Heinroth (O.A.), Holst (E.W. von), Huxley (T.H.), Kleinschmidt (O.), Koehler (O.), Leonardo da Vinci, Lichtverschmutzung, Naumann (J.F.), Reichenow (A.), Reptilien (Abb.), Sinornis, Sinornithosaurus, Thienemann (J.), Werkzeuggebrauch; ö Vögel I ö Vögel II , Biogenetische Grundregel , Darm , Embryonalentwicklung I , Verdauung I , Vogeleier IVogeleier II , Wirbeltiere IWirbeltiere IIWirbeltiere III .
M.N./O.H./R.Wi.
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Vögel
Abb. 1:Phylogenie der Vögel. Die dunklen Bereiche zeigen die stratigraphische Verbreitung und relative Häufigkeit der Gruppen an. Bei den neognathen Vögeln sind nicht alle Gruppen angegeben. Gestrichelte Linien: vermutete Zusammenhänge.
Vögel
Abb. 2:a Vogelkörper: 1 Stirn; 2 Scheitel; 3 Zügel-, 4 Schläfen-, 5 Ohrengegend; 6 Nacken; 7 Rücken; 8 Bürzel; 9 Steuer- (Schwanz-)Federn; 10 Kehle; 11 Brust; 12 Bauch; 13 Schulter; 14 Flügeldeckfedern; 15 Flügelfedern; 16 Bugfedern; 17 Achsel-, 18 Arm-, 19 Handschwingen
b Das Skelett der Vögel ist leicht, aber stabil gebaut, mit einem nahezu unbeweglichen Rumpfskelett und mehr oder weniger hohlen Knochen, die in Verbindung mit den Luftsäcken stehen. 1 Hals-, 2 Brust-, 3 Schwanzwirbel; 4 Becken; 5 Rippen mit Hakenfortsatz; 6 Brust-, 7 Gabel-, 8 Rabenbein; 9 Schulterblatt; 10 Oberarm, 11 Elle, 12 Speiche; 13 Handwurzel; 14 Mittelhand; 15 Daumen; 16 II. und III. Finger; 17 Ober-, 18 Unterschenkel; 19 Lauf; 20 Zehen; 21 Schädel
Vögel
Abb. 3: Bauplan (innere Anatomie) der Vögel
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