Lexikon der Biologie: Bienensprache
Bienensprache, Kommunikationssystem der Honigbiene(Apis mellifera), durch das erfolgreiche Sammelbienen die Information über Richtung, Entfernung und Ergiebigkeit einer Futterquelle an andere Sammlerinnen weitergeben. Die Codierung dieser Informationen wurde vor allem von K. von Frisch aufgeklärt. Beim Schwänzeltanz durchläuft die tanzende Biene eine Achterfigur ( vgl. Abb. ). Dabei ist die Tanzgeschwindigkeit mit der Entfernung der Futterquelle korreliert: bei einer Entfernung von 100 m läuft die Biene ca. 40 Runden pro Minute, bei 500 m 24 Runden usw. Auch die Dauer des Durchlaufens der geraden Schwänzelstrecke, die Anzahl der seitlichen Ausschläge des Körpers und die Dauer der beim Schwänzeln abgestrahlten Tanzlaute sind entfernungsabhängig. Die Richtung der Futterquelle wird durch die Ausrichtung der Schwänzelstrecke symbolisiert. Tanzt die Sammlerin auf dem waagrechten Anflugbrett, dann zeigt die Schwänzelstrecke direkt auf den Futterplatz. Fast immer wird aber auf der senkrecht stehenden Wabe im dunklen Stock getanzt. Dort wird die Schwerkraft benutzt, um die Richtung der Futterquelle zur Sonne auszudrücken ( vgl. Abb. ). Den Winkel, um den die nach oben führende Schwänzelstrecke nach rechts oder links von der Senkrechten abweicht, können die Bienen durch Sinneshaare (Sensillen, mechanische Sinne) messen, die die Position der einzelnen Körperteile zueinander feststellen. Der Sonnenstand kann von den Bienen auch bei Bewölkung festgestellt werden, da das Facettenauge (Komplexauge) der Biene die Polarisationsrichtung von polarisiertem Licht wahrnehmen kann (Polarisationssehen). Die Polarisation des Sonnenlichts hängt von Sonnenstand ab; daher kann die Biene aus ihrer Wahrnehmung den augenblicklichen Sonnenstand erschließen. Auch eine Mitwirkung des erdmagnetischen Feldes als Orientierungshilfe (magnetischer Sinn) ist nachgewiesen worden. – Die Art der Tracht wird durch anhaftende Duftstoffe übermittelt, die die der Tänzerin nachfolgenden Bienen aufnehmen. Die Ergiebigkeit der Tracht drückt sich in der Intensität und Ausdauer beim Tanzen aus. Auch beim Schwärmen wird die Richtung und Entfernung der neuen Behausung von den Kundschafterbienen durch Tanzen auf der Schwarmoberfläche angegeben. – Die Weitergabe der Tanzinformation erfolgt im dunklen Bienenstock akustisch ( vgl. Abb ). Die durch Vibrationen der Flügel der Tänzerin erzeugten Tanztöne werden von den Stockgenossinnen mit Hilfe eines Hörorgans in den Antennen wahrgenommen und übermitteln die Information über Lage und Rentabilität der Futterquelle. Daß die von den Bienen genutzte Information in den Tanztönen und nicht im Bewegungsmuster des Bienentanzes enthalten ist, wurde unter anderem durch Simulationsexperimente mit einer computergesteuerten Roboterbiene nachgewiesen, die auf der Wabe die Achterfigur des Bienentanzes simuliert, schwänzelt und mit Hilfe eines künstlichen Flügels Tanzlaute abstrahlt. Auch vibratorische Signale spielen in der Tanzsprache eine Rolle. Mit Hilfe eines vibratorischen Stop-Signals können die Nestgenossinnen eine Tänzerin stoppen und zur Abgabe einer Futterprobe veranlassen. – Bienentänze, mit denen weniger als 100 m vom Bienenstock entfernte Futterquellen angezeigt werden, werden als Rundtanz bezeichnet ( vgl. Abb. ). Im Gegensatz zu Rundtanz und Schwänzeltanz, die der Rekrutierung zu Ressourcen dienen, dient der Zittertanz der Regulation der Sammeltätigkeit. Wenn bei ergiebiger Tracht soviel Nektar eingetragen wird, daß sich für die heimkehrenden Sammlerinnen lange Wartezeiten ergeben, bevor das Futter von Nestgenossinnen abgenommen wird, können sie mit Hilfe des Zittertanzes einerseits die Rekrutierung weiterer Sammlerinnen durch Rund- und Schwänzeltänze hemmen und andererseits andere Bienen für die Aufgabe der Nektarabnahme rekrutieren. – Die Bienensprache wird als das höchstentwickelte tierische Kommunikationssystem angesehen und hat Eigenschaften einer echten Symbolsprache, deren Begriffe allerdings im Gegensatz zur menschlichen Symbolsprache (Sprache), die erlernt werden muß, durch angeborene Verknüpfungen festgelegt und verstanden werden. Mit Hilfe des Tanzkommunikationssystems kann von den Sammelbienen die Rentabilität verschiedener verfügbarer Ressourcen verglichen werden. Dies ermöglicht, daß Honigbienenvölker ihre Arbeitskräfte auf die rentabelsten Futterquellen konzentrieren können. Dadurch können Ressourcen schneller und effektiver ausgenutzt werden als durch die individuellen Futtersuchstrategien anderer blütenbesuchender Insekten, wie Hummeln. Kompaßorientierung, Lerndisposition, Tradition; mechanische Sinne I.
H.H./W.K.
Lit.:Seeley, T.D.: Honigbienen – Im Mikrokosmos des Bienenstocks. Basel, Boston, Berlin 1997.
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