Lexikon der Biochemie: Chromatin
Chromatin, der Komplex aus DNA und Proteinen, insbesondere Histonen, im Kern eukaryontischer Zellen. Ursprünglich bezeichnete der Begriff die färbbare Substanz des Interphasenkerns, der aus DNA, RNA und verschiedenen spezialisierten Proteinen besteht, welche zufällig im Kern verteilt sind. Die chromosomale DNA ist in dieser Phase nur locker verpackt und damit z.B. für die Transcription zugänglich. Unmittelbar vor der Zellteilung kondensiert das Chromatin zu dichten Körpern (Chromosomen), die intensiv gefärbt werden können. Auch im Interphasenkern verbleiben manche DNA-Bereiche in dichtem kondensiertem Verpackungszustand. Dieses Heterochromatin besteht aus nicht codierendem Chromosomenmaterial, an dem keine Transcription stattfindet. Euchromatin dagegen weist eine lockerere Stuktur auf und besteht aus DNA, die transcribiert wird.
Die Grundstruktur des Chromatins sind die wie eine Perlenkette an der DNA aufgereihten Nucleosomen. Die "Perlen" werden dabei von Histonoctameren gebildet, die "Schnur" entspricht dem DNA-Molekül, das um die Octamere gewunden ist und diese miteinander verbindet. Eine höhere Ebene der Chromatinorganisation stellen 30-nm-Filamente dar, in denen das 10-nm-Filament zu einem Solenoid gewunden ist, mit ungefähr sechs Nucleosomen je Umdrehung, mit einer Neigung von 11nm. Man nimmt an, dass die ganze Struktur durch ein helicales H1-Polymer im Zentrum des Solenoids stabilisiert wird. Das einzelne Nucleosomenfilament repräsentiert eine niedrigere Chromatinorganisationsstufe, die nur unter nichtphysiologischen Bedingungen bei niedrigen Salzkonzentrationen existiert. Bei einer Erhöhung der Ionenstärke beginnen sich die Nucleosomenfilamente zu assoziieren und zu falten, um schließlich bei physiologischen Salzkonzentrationen Filamente mit einem Durchmesser von 30 nm zu bilden.
Schleifenbildende Domänen stellen eine noch höhere, in Metaphasenchromosomen beobachtete, Ebene der Chromatinorganisation dar, in der sich Schleifen aus 30-nm-Filamenten radial vom zentralen Proteingerüst ausbreiten, das die Chromosomenhauptachse bildet. Im Elektronenmikroskop erscheint ein Querschnitt eines Metaphasenchromosoms als ein zentraler fibröser Proteinbereich, der von einem aus Chromatinschleifen bestehenden Hof umgeben ist. Die Größe typischer Schleifen variiert zwischen 20 und 100 kb, was einer durchschnittlichen 30-nm-Filamentlänge von 0,6μm entspricht. Da das Filament Schleifen bildet (d.h. auf sich selbst zurückgefaltet ist), würde der durchschnittliche Beitrag zum Chromosomendurchmesser 0,3μm auf allen Seiten betragen. Das zentrale Proteingerüst hat einen Durchmesser von 0,4μm, so dass der abgeschätzte Durchmessser des Metaphasenchromosoms 1μm beträgt. Dies stimmt mit dem durch elektronenmikroskopische Messungen erhaltenen Wert überein. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Nichthistonproteine (die 10 % der chromosomalen Proteine ausmachen) bei der Bildung von schleifenbildenden Domänen beteiligt sind. Der Faltungsmodus ist unbekannt. Aber durch cytologische Markierung konnte gezeigt werden, dass das Proteingerüst mit DNA-Topoisomerase II hoch angereichert ist.
Die Riesenchromosomen und die polytänen Chromosomen repräsentieren eine weitere Organisationsebene. Deren Banden stimmen möglicherweise mit den schleifenbildenden Domänen der Metaphasenchromosomen überein. Superhelix.
[J. Zlatanova, K. van Holde "The Linker Histones and Chromatin Structure: New Twists" Prog. Nucl. Acid Res. Mol. Biol. 52 (1996) 217-259; C. Gruß, R. Knippers "Structure of Replicating Chromatin" Prog. Nucl. Acid Res. Mol. Biol. 52 (1996) 337-365]
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