Lexikon der Biochemie: HIV-Infektion
HIV-Infektion, Übertragung und Eindringen von HIV in humane Zielzellen. Der Krankheitsverlauf ist geprägt durch den Wettlauf zwischen der Bekämpfung der vorhandenen Virus-Mutanten durch das Immunsystem des Patienten und der Entstehung und Selektion neuer Virus-Mutanten und sieht bei jedem Patienten unterschiedlich aus. Der Immunstatus zum Zeitpunkt der Infektion und später ist entscheidend für die Art des Krankheitsverlaufs. Nach der Vorstellung mancher Autoren selektioniert das Immunsystem erst im Laufe des Krankheitsverlaufs diejenigen Virus-Varianten heraus, die schließlich zum Krankheitsbild AIDS führen (Abb.). Ebenfalls wichtig für den Krankheitsverlauf ist die Art des Kontakts mit dem Virus. Bei einer Übertragung ins Blut oder über die verletzte Körperoberfläche wird das Virus durch CD4-positive (CD-Marker) Zellen (Langerhans-Zellen der Epidermis, Monocyten, Makrophagen und T-Lymphocyten) in die benachbarten Lymphknoten transportiert. Eine starke Immunantwort gegen das Virus ist vermutlich verbunden mit dessen Weitergabe über den Kontakt der an der Immunantwort beteiligten Zellen.
Bei der pädiatrischen Form von AIDS ist der Zeitpunkt entscheidend, zu dem das Kind durch die Mutter infiziert wird. In einigen Fällen wird durch eine Infektion mit dem Virus im sich entwickelnden Immunsystem des Kindes eine Toleranz für die viralen Antigene induziert, was eine Bekämpfung unmöglich macht. Tatsächlich sterben 20 % der (möglicherweise über die Plazenta) infizierten Kinder sehr früh (im Mittel nach 4,1 Monaten) und zeigen wenig oder keine Immunantwort gegen HIV. Bei einer ausreichenden Immunantwort können sowohl Kinder als auch Erwachsene das Virus zunächst unter Kontrolle halten, wobei es auch dabei große Unterschiede zwischen einzelnen Patienten gibt. In den meisten Fällen tritt bei infizierten Erwachsenen eine starke humorale und zelluläre Immunreaktion gegen das HIV auf. Diese Immunreaktion führt dazu, dass aus einer akuten eine persistierende Infektion wird, bei der das Virus in den befallenen Zellen (ca. eine von tausend CD4-positiven T-Lymphocyten) transcriptionell inaktiv bleibt. Nur in jeder 100. infizierten Zelle – in denen das Virus durch die Polymerase-Kettenreaktion nachgewiesen werden kann – kann auch virale Transcription gezeigt werden. Das Virus wird zusammen mit den T-Lymphocyten aktiviert, wenn diese in die S-Phase des Zellzyklus eintreten.
Für die Abnahme des Titers an T-Zellen kommen direkte Mechanismen, die zum Absterben der Zelle führen, und indirekte Mechanismen, bei denen die T-Zellen durch andere Komponenten des Immunsystems beeinträchtigt werden, in Betracht. Direkte Mechanismen sind die Virus-induzierte Lyse der befallenen Zellen und die Bildung von Syncytien, vermittelt durch Proteine des Virus (gp120, das auch in löslicher Form auftritt), bei denen auch nicht befallene Zellen beteiligt sein können. Für indirekte Mechanismen spricht die Beobachtung, dass nicht-cytopathische Stämme von HIV gefunden werden konnten, die dennoch pathogen für den Organismus insgesamt sind. Auch bei einer Infektion mit diesen Stämmen kommt es zu einer Reduktion der Zahl an CD4-T-Zellen. Als indirekte Mechanismen, die bei dieser Infektion beteiligt sein könnten, werden Autoimmunreaktionen diskutiert, die durch Immun-Mimikry hervorgerufen werden, ebenso wie die Aktivierung von Apoptose in den T-Zellen (HIV-1-Protease). Für die bei Infektion mit HIV beobachteten neurologischen Symptome, die auftreten, obwohl das Gehirn HIV-frei bleibt, konnte eines der Proteine des Virus verantwortlich gemacht werden, das Glycoprotein 120 (gp120). In picomolarer Konzentration kann dieses Protein toxisch auf Neuronen des Hippocampus von Nagetieren wirken. Verantwortlich ist dafür eine Erhöhung der intrazellulären Calciumkonzentration, hervorgerufen durch lösliches gp120, wie es anscheinend vom Virus abgegeben wird. Das lösliche gp120 wirkt vermutlich auf den N-Methyl-Aspartat-Rezeptor. Folgen sind die Bildung freier Radikale, zelluläre Nekrose und Apoptose durch die Überaktivierung von Schlüsselenzymen der Signaltransduktion (Protein-Kinase C, Calcium/Calmodulin-abhängige Protein-Kinase II, Phospholipasen, Protein-Phosphatasen und andere).
HIV-Infektion. Lebenszyklus des humanen Immundefizienz-Virus (HIV): Die Infektion einer Zelle mit HIV erfolgt, nachdem das Virus Kontakt mit einem Rezeptor (dem CD4-Molekül) der Zelloberfläche aufgenommen hat. Die virale RNA wird durch die reverse Transcriptase in DNA umgeschrieben und kann als sog. Provirus in die genomische DNA integrieren, wo sie in manchen Zellen jahrelang ruht. Durch eine Induktion der infizierten Zelle kann das Virus erneut aktiviert werden und neue Viren produzieren. Diese Viren können weitere Zellen infizieren. Welche Faktoren das Provirus aktivieren, ist erst unzureichend bekannt.
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