Lexikon der Biochemie: Onkogene
Onkogene, Gene, die die Fähigkeit besitzen, unter bestimmten Umständen eine neoplastische Transformation von Zellen zu induzieren. O. wurden erstmals als Nucleinsäuresequenzen identifiziert, die für die onkogene (krebserzeugende) Wirkung bestimmter Viren notwendig sind. Virusstämme, bei denen diese Gene verändert oder deletiert wurden, sind nicht mehr in der Lage, in vitro Zellen zu transformieren bzw. in vivo Tumore zu induzieren. Bald wurde erkannt, dass Retrovirusonkogene (Retroviren) Homologien zu zellulären Genen aufweisen, die im Verlauf der Evolution hoch konserviert wurden. Letztere werden Proto-O. genannt. Wahrscheinlich wird ein Virusstamm onkogen, wenn er ein oder mehrere Proto-O. in sein Genom inkorporiert. In der Regel bleibt das Proto-O. bei diesem Prozess nicht in seiner Gesamtheit erhalten. Vielmehr kommt es zu Deletionen und Fusionen mit viralen Genen, sowie zu Punktmutationen. Virale Onkogne werden als v-onc bezeichnet, das korrespondierende zelluläre Gen als c-onc. DNA-Tumorviren, wie z.B. Polyoma, Adenovirus und SV40 enthalten ebenfalls Onkogene, zu denen im Vertebratengenom keine Homologen gefunden wurden.
In Tumoren wurden bei der Untersuchung von Tumor-DNA bezüglich ihrer Fähigkeit, Zellen in Kultur zu transformieren, ebenfalls zelluläre Onkogene identifiziert. Ein c-proto-onc ruft aber keine Tumore hervor. Deshalb muss ein c-onc entweder durch Mutation oder durch eine Veränderung des Regulationsmechanismus seiner Expression oder durch beides modifiziert worden sein.
Die Aktivierung eines proto-onc kann durch Mutation (ausgelöst z.B. durch Carcinogene oder Strahlung), Umordnung der DNA oder Insertion eines Virus-DNA-Segments in das Chromosom in Nachbarschaft zum c-onc stattfinden. Durch jede der beiden letztgenannten Ereignisse wird das c-onc unter die Kontrolle eines fremden Promotors gebracht. Beispielsweise wurde beobachtet, dass bei Burkittschen Lymphomen und menschlicher chronischer myeloider Leukämie oft ein Chromosomenaustausch zwischen nichthomologen Chromatiden vorkommt. Im Fall einiger B-Zell-Leukämien ist das O. unter die Kontrolle des Immunglobulinpromotors und -verstärkers gelangt. In den meisten Fällen müssen sowohl eine Mutation als auch eine Veränderung des Expressionsniveaus auftreten, so dass die Transformation in vivo gewöhnlich ein Prozess ist, der in mehreren Schritten abläuft. Andererseits kann durch die Mutation ein genomischer Provirus aktiviert werden, der zuvor nicht exprimiert wurde.
In einigen Fällen müssen in einem Virus zwei oder mehr O. vorhanden sein, um Zellen in vitro transformieren zu können. Dies trifft gewöhnlich auch in vivo zu. Einige O. sind selbst in der Lage, in vitro eine Transformation bestimmter Zelllinien hervorzurufen.
Die meisten bislang charakterisierten O. codieren Rezeptor-Tyrosin-Kinasen oder Proteine, die im Rahmen von durch solche Enzyme ausgelösten Aktivierungskaskaden gebraucht werden. Vielfach sind Proto-O. essenziell für Zellwachstum und -differenzierung. Mutationen oder Expression zum falschen Zeitpunkt können eine unbegrenzte zelluläre Vermehrung und/oder eine fehlende Differenzierung zur Folge haben. Viele O. codieren mutierte signalübertragende Proteine. Das c-onc ras hat in gesunden Zellen drei regulatorische Proteinprodukte mit GTPase-Aktivität, die für die Kontrolle der Zellentwicklung von entscheidender Bedeutung sind. Durch Verlust dieser GTPase-Aktivität nach Mutation wird Krebsentstehung ausgelöst.
Zur Kennzeichnung der Genprodukte von O. werden die Buchstaben "p" (für Protein), "gp" (für Glycoprotein) bzw. "pp" (für Phosphoprotein) verwendet, die näherungsweisen Mr (in Kilodalton) werden nachgestellt. Ein Superskript rechts vom Symbol gibt das Gen an, das für das Protein codiert, beispielsweise ist pp60src ein Phosphoprotein mit Mr 60 kDa, das durch das src-Gen codiert wird. Die Produkte fusionierter Gene werden mit einem Bindestrich im Superskript angezeigt, z.B. ist gp180gag-fms ein Glycoprotein mit Mr 180 kDa, das Produkt, das aus der Fusion des viralen gag-Gens mit dem Proto-O. fms hervorgeht. In der Tabelle sind einige O. und ihre Genprodukte aufgelistet. [D. Bar-Sagi u. J.R. Feramisco Science 233 (1986) 1061-1068; G.F. Vande, Woude et al. (Hrsg.) Oncogenes and Viral Genes, Bd. 2 von Cancer Cells, Cold Spring Harbor Laboratory, 1984]
Onkogene. Tab. Einige gut charkterisierte Onkogene mit ihren retroviralen Quellen und Genprodukten.
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src | Rous-Sarkoma-V. | Huhn | Protein-Tyrosin-Kinase, pp60 | |
mos | Moloney-Sarkom-V. | Maus | ? | |
fms | McDonough-Sarkom-V. | Katze | Rezeptor eines koloniestimulierenden Faktors, Tyrosin-Kinase, gp | |
myc | Vogel-Myelocytomatose-V. | Vögel | Kernprotein | |
myb | Vogel-Myeloblastose-V. | Vögel | Kernprotein | |
erb | Vogel-Erythroblastose-V. | Vögel | Wachstumsfaktor-Rezeptor, Tyrosin-Kinase, gp | |
sis | Simian-Sarkom-V. | Affen | Wachstumsfaktor (homolog zu platelet-derived growth factor) | |
fos | FBJ-Osteosarkom-V. | Maus | Kernprotein | |
Ha-ras | Harvey-Mäuse-Sarkom-V. | Maus | GTP-bindende Proteine | |
Ki-ras | Kirsten-Mäuse-Sarkom-V. | Maus | GTP-bindende Proteine | |
N-ras | – | – | GTP-bindende Proteine |
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