Lexikon der Biochemie: reaktive Sauerstoffspezies
reaktive Sauerstoffspezies, ROS, reaktive Sauerstoffintermediate, ROI, aus molekularem Sauerstoff durch verschiedene Nebenreaktionen gebildete toxische Derivate, die aufgrund ihrer hohen Reaktivität und chemischen Aggressivität große pathophysiologische Bedeutung besitzen. Das Superoxid-Radikal-Anion, O
, gilt als das toxischste ROS und wird durch Einelektrontransfer auf Sauerstoff gebildet. Es entsteht insbesondere durch Nebenreaktionen bei einigen Oxidasen, wie z.B. der Xanthin-Oxidase im postischämischen Gewebe, beim Photosynthese-Komplex I und als Nebenprodukt der mitochondrialen Atmung (Atmungskette), wobei Xenobiotika und cytostatische Antibiotika die Bildung begünstigen. Bei Entzündungsprozessen wird durch eine membranständige NADPH-abhängige Oxidase ROS ins extrazelluläre Milieu abgegeben:
NADPH + H+ + 2O2 → NADP+ + 2 O
+ 2H+. Bei der Reaktion mit ungesättigten Phospholipiden in Biomembranen erfolgt Lipidperoxidation. Mit NO reagiert es zum äußerst reaktiven Peroxynitrit (O=N-O-O-), wobei die Folgen für den NO-Stoffwechsel (Stickstoffmonoxid) gegenwärtig noch ungeklärt sind. Das Superoxid-Radikal-Anion kann durch die Superoxid-Dismutase abgefangen werden, wobei aber das ebenfalls toxische Wasserstoffperoxid (H2O2) gebildet wird. Neben dieser genannten Bildungsreaktion ist H2O2 ein Reaktionsprodukt verschiedener Oxidasen in den Peroxisomen und im ER. Die Toxizität des Wasserstoffperoxids ist einmal auf eine direkte Inaktivierung von Enzymen und Häm-enthaltenden Proteinen zurückzuführen und andererseits kann durch Reaktion mit Semichinonen das gefährliche Hydroxylradikal (HO·) gebildet werden, das der reaktivste, kurzlebigste und unspezifischste Vertreter der ROS ist. Es kann Radikal-Kettenreaktionen starten und mit nahezu allen Biomolekülen in Reaktion treten. Peroxid-Radikale (ROO·) bilden sich durch spontane Reaktion von O2 mit organischen Radikalen und sind Intermediate bei Lipid-Peroxidations-Kettenreaktionen in Membranen etc. Die Bildung von Singulett-Sauerstoff (1ΔgO2) erfolgt als Nebenprodukt bei der Biosynthese der Prostaglandine und bei der Stimulation von polymorphkernigen Leucocyten aus der durch die Myeloperoxidase primär gebildeten unterchlorigen Säure sowie dem durch Dismutation aus dem Superoxid-Radikal-Anion entstandenen Wasserstoffperoxid: OCl- + H2O2 → Cl- + H2O + 1ΔgO2. Singulett-Sauerstoff spielt eine Rolle bei Photosensitivierungsreaktionen, die zu Dermatosen führen können. Die Inaktivierung verschiedener ROS kann nichtenzymatisch oder enzymatisch erfolgen, wie z.B. durch die erwähnte Katalyse der Superoxid-Dismutase im Fall des Superoxid-Radikal-Anions, die enzymatische Dismutation von H2O2 zu O2 und H2O durch die Katalase oder die Reduktion von Wasserstoffperoxid durch Glutathionperoxidasen, die darüber hinaus eine Vielzahl von physiologisch bzw. pathophysiologisch interessanten Hydroperoxiden von ungesättigten Fettsäuren, Steroiden und Nucleotiden zu Alkoholen reduzieren können. α-Tocopherol kann als Fänger für organische Alkoxy-Radikale fungieren, während Carotinoide aufgrund ihrer Polyenstruktur Singulett-Sauerstoff abfangen können. Eine Schädigung biologischer Strukturen durch das Hydroxylradikal ist nach erfolgter Bildung kaum zu verhindern, da es nichtenzymatisch diffusionslimitiert mit SH-Gruppen, Aromaten, Imidazolgruppierungen etc. von Biomolekülen in Reaktion tritt.
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