Lexikon der Chemie: Synthesegas
Synthesegas, ein Gasgemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff oder aus Stickstoff und Wasserstoff zur Erzeugung von Methanol, Ammoniak und anderen Grundchemikalien. Nach der Herstellung von S. unterscheidet man zwischen Wassergas, das aus Kohle und Wasserdampf erhalten wird (C + H2O
CO + H2), Generatorgas (Luftgas), das aus Kohle und Luft erhalten wird (C + 1/2 O2
CO), und Spaltgas, das aus der Erdgas- und Erdölspaltung erhalten wird (CH4 + H2O
CO + 3 H2). Je nach Verwendungszweck wird unterschieden zwischen Methanol-Synthesegas (CO + 2 H2) zur Methanolherstellung, Ammoniak-Synthesegas (N2 + 3 H2) zur Ammoniakherstellung und Oxo-Synthesegas (CO + H2) für die Oxosynthese. Bis Anfang der 50er Jahre wurde S. fast ausschließlich durch Vergasung von Steinkohlenkoks oder Braunkohlenschwelkoks hergestellt. In der Folgezeit setzten sich dann Verfahren durch, die von gasförmigen oder flüssigen Brennstoffen ausgehen. Der Vorteil dieser Verfahren liegt vor allem in dem höheren Wasserstoffgehalt der Einsatzprodukte. So beträgt das Wasserstoff-Kohlenstoff-Verhältnis der Kohle etwa 1 : 1, das des Erdöls 2 : 1, das des Benzins 2,4 : 1 und das methanreicher Erdgase etwa 4 : 1. Ein weiterer Nachteil der klassischen Verfahren zur Erzeugung von S. aus festen Brennstoffen liegt darin, daß die Vergasung drucklos erfolgt und damit erhebliche Kosten für die nachfolgende Kompression des S. auf den notwendigen Druck der jeweiligen Synthesen anfallen. Die Vergasung gasförmiger und flüssiger Brennstoffe unter Druck ist technologisch wesentlich einfacher als die Druckvergasung fester Brennstoffe.
Synthesegas. Abb. 1: Schema einer Dampfreformieranlage für Benzin zur Erzeugung von Ammoniak-Synthesegas.
Herstellung. 1) S. durch Kohlevergasung. Für die Kohlevergasung mit Wasserdampf und Sauerstoff stellen die exotherme partielle Verbrennung von Kohlenstoff und die endotherme Wassergasbildung die eigentlichen Vergasungsreaktionen dar:
2 C + O2
2 CO; ΔRH = -218 kJ/mol,
C + H2O
CO + H2; ΔRH = +130 kJ/mol.
Daneben laufen noch weitere Reaktionen ab, z. B. das Wassergasgleichgewicht: CO + H2O
CO2 + H2; ΔRH = -42 kJ/mol, das Boudouard-Gleichgewicht: C + CO2
2 CO; ΔRH = +172 kJ/mol, das Methanbildungsgleichgewicht: C + 2 H2
CH4; ΔRH = -75 kJ/mol, und die Methanisierungsreaktion: CO + 3 H2
CH4 + H2O; ΔRH = -205 kJ/mol. Allen Kohlevergasungsverfahren ist gemeinsam, daß zur Durchführung der endothermen Teilreaktion die Wärmezufuhr bei einem hohen Temperaturniveau (900 bis 1000 °C) erfolgen muß. Bei dem diskontinuierlich ablaufenden klassischen Wassergasprozeß wird diese Wärmemenge in der Heizphase durch Verbrennung einer Teilmenge des im Generator enthaltenen Kokses (Blasevorgang) erzeugt. Durch gleichzeitige Zufuhr von Sauerstoff und Dampf kann man den Wassergasprozeß kontinuierlich gestalten. Als Verfahren kommen die Wirbelbettvergasung, die Festbettdruckvergasung und die Flugstaubvergasung zur Anwendung. Beim Winkler-Verfahren wird feinkörnige Braunkohle drucklos bei einer Temperatur von 800 bis 1100 ° in einem Wirbelbett mit Luft und Wasserdampf vergast. Das H2/CO-Verhältnis des anfallenden S. beträgt etwa 1,4 : 1. Von den Festbettdruckvergasungsverfahren hat sich die Lurgi-Druckvergasung durchgesetzt. Stückige Steinkohle oder brikettierte Braunkohle wird bei einem Druck von 2 bis 3 MPa und einer Temperatur von 600 bis 750 °C vorentgast. Die Hauptvergasung mit Sauerstoff und Wasserdampf erfolgt bei etwa 1200 °C. Beim Koppers-Totzek-Verfahren wird fein pulverisierte Kohle mit Sauerstoff und Wasserdampf in einer Flugstaubwolke unter Ausbildung einer Flamme bei etwa 1500 °C drucklos vergast. Die Staubdruckvergasung nach dem Saarberg-Otto-Verfahren gestattet es, nahezu alle Kohlesorten zu verwenden, insbesondere Kohlen mit einem Aschegehalt bis zu 40 %.
2) S. durch Erdgas- und Erdölspaltung. Die Erzeugung von S. aus flüssigen Brennstoffen in Anwesenheit von Wasserdampf beruht auf einer Kopplung von exothermen und endothermen Vergasungsreaktionen:
-CH2- + 1/2 O2 → CO + H2; ΔRH = -92 kJ/mol,
-CH2- + H2O → CO + 2 H2; ΔRH = +152 kJ/mol.
Analog der Kohlevergasung kommt es dabei zur Einstellung der Boudouard-, Wassergas- und Methan-Bildungsgleichgewichte.
Für die Synthesegaserzeugung aus Erdgas und Erdölprodukten gibt es zwei Verfahrensprinzipien, die Dampfreformierung und die Sauerstoffdruckvergasung.
a) Bei der Dampfreformierung (steam reforming, Abb. 1) erfolgt die Vergasung in Gegenwart von Wasserdampf und einem Katalysator. Die notwendige Prozeßwärme wird von außen zugeführt (allotherme katalytische Vergasung). Das Einsatzprodukt – Erdgas, Raffineriegas oder Benzin – wird mit Wasserdampf bei 700 bis 900 °C und 2 bis 3 MPa über einem Ni/K2O/Al2O3-Katalysator geleitet. Wegen der Schwefelempfindlichkeit des Spaltkatalysators ist dem Vergasungsreaktor eine Wasserstoffdruckraffination vorgeschaltet. Der sich dabei bildende Schwefelwasserstoff wird in Adsorptionstürmen an Zinkoxid gebunden. Als Vergasungsreaktor dient ein gas- oder ölbeheizter Röhrenofen (Primärreformer), dem wegen der hohen Temperaturen ein ausgemauerter Schachtreaktor (Sekundärreformer) nachgeschaltet ist. Wenn Ammoniak-Synthesegas erzeugt werden soll, läßt man im Primärreformer bei etwa 800 °C nur eine unvollständige endotherme Vergasung zu und verbrennt in einer exothermen Vergasungsreaktion das im Primärreformer nicht umgesetzte Einsatzprodukt mit Luft. Dabei steigt die Temperatur im Sekundärreformer auf etwa 1200 °C an. Die Dosierung der Luft erfolgt so, daß das S. nach der Konvertierung des Kohlenmonoxids (CO + H2O
CO2 + H2) und nach der Entfernung des Kohlendioxids die für die Ammoniaksynthese erforderliche Zusammensetzung (N2 + 3 H2) hat.
Synthesegas. Abb. 2: Schema einer Öldruckvergasungsanlage.
Im Sekundärreformer kommt der gleiche Katalysator zur Anwendung wie im Primärreformer. Das den Sekundärreformer verlassende Gas wird in Abhitzekesseln unter Dampferzeugung auf 350 °C abgekühlt und der Hochtemperaturkonvertierung zugeführt. Dabei wird bei 350 bis 400 °C das Kohlenmonoxid an einem Cr2O3/Fe2O3-Katalysator in Kohlendioxid umgewandelt. Nach erneuter Abkühlung des S. auf 250 °C erfolgt zur weiteren Kohlenmonoxidentfernung die Tieftemperaturkonvertierung an einem CuO/ZnO/Cr2O3-Katalysator. Der im Gasstrom noch enthaltene Wasserdampf und das Kohlendioxid werden in einer Heißpottasche-Wäsche entfernt: K2CO3 + H2O + CO2
2 KHCO3. Da das Ammoniak-Synthesegas kein CO enthalten darf, nach der Tieftemperaturkonvertierung aber noch bis zu 0,5 % Kohlenmonoxid im Gasstrom enthalten sind, erfolgt die restliche Entfernung des Kohlenmonoxids durch Methanisierung an einem Ni/Cr2O3-Katalysator bei 100 bis 120 °C: CO + 3 H2
CH4 + H2O. Methan stört bei der Ammoniaksynthese nicht. Soll durch Dampfreformierung ein Methanol-Synthesegas erzeugt werden, nimmt man im Primärreformer die Temperatur so hoch (900 °C), daß alle Kohlenwasserstoffe vergast werden, und verzichtet auf den Sekundärreformer. Eine Konvertierung des S. ist bei Einsatz von Benzin nicht erforderlich, da das S. mit der Zusammensetzung CO + 2 H2 anfällt.
b) Bei der autothermen Sauerstoff-Druckvergasung werden Erdöl und Erdölfraktionen, insbesondere aber Rückstände der Erdölverarbeitung mit reinem Sauerstoff vergast (Öldruckvergasung, Abb. 2). Das Einsatzprodukt wird zusammen mit Wasserdampf und Sauerstoff einem Düsenbrenner zugeführt und bei 3 bis 6 MPa partiell verbrannt. In der 1200 bis 1600 °C heißen Flammenzone laufen die miteinander gekoppelten exothermen und endothermen Vergasungsreaktionen ab. Das aus dem Reaktor kommende Gas enthält noch etwas Ruß und Aschebestandteile. In einem Abhitzekessel wird unter Dampferzeugung der Gasstrom auf 250 bis 300 °C abgekühlt. Danach wird durch direkte Wassereinspritzung (Quenchen) auf Temperaturen unter 100 °C gekühlt. Die Aschebestandteile und der Ruß werden gemeinsam mit dem Wasser abgezogen, das Rohgas wird zu Methanol- oder Ammoniak-Synthesegas wieterverarbeitet. Die Ruß- und Aschebestandteile werden zu Pellets verpreßt und im Kraftwerk verbrannt.
Synthesegas. Abb. 3: Verwendungen.
Reinigung. Die Hauptverunreinigung des durch Kohlevergasung oder Spaltung gasförmiger und flüssiger Brennstoffe erhaltenen S. sind Schwefelwasserstoff, Kohlenoxidsulfid und Kohlendioxid. Schwefelwasserstoff sowie Kohlenoxidsulfid sind Katalysatorgifte. Kohlendioxid kann entweder direkt an chem. Umsetzungen teilnehmen oder zur Bildung störender Inertgaspolster führen. Für die Reinigung des S. steht eine große Anzahl verschiedener Gaswäscheverfahren (Absorption) zur Verfügung, z. B. das Rectisol-Verfahren (Methanol), das Sulfinol-Verfahren (Sulfolan/Diisopropanolamin), das Purisol-Verfahren (N-Methyl-pyrrolidon) und das Sulfosolvan-Verfahren (Alkalisalze von Aminocarbonsäuren) oder die Druckwäsche mit wäßriger Kaliumcarbonatlösung.
Verwendung (Abb. 3). Hauptverbraucher für S. sind die Ammoniak- und Methanolsynthese. Darüber hinaus wird S. für die Hydroformylierung von Olefinen (Oxosynthese), für die Synthese von Kohlenwasserstoffen nach der Fischer-Tropsch-Synthese und für die Gewinnung von Kohlenmonoxid und Wasserstoff durch Tieftemperaturdruckdestillation oder durch Absorptionsverfahren verwendet. Durch Methanisierung von S. kann synthetisches Erdgas (SNG) für die Energieversorgung erzeugt werden.
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