Lexikon der Geowissenschaften: Karbon
Karbon, vorletztes erdgeschichtliches System des Paläozoikums vor ca. 355-290 Mio. Jahren. Der Name ist von den Kohlenflözen abgeleitet, die sich in vielen Teilen der Welt in Gesteine dieses Zeitabschnitts einlagern, und seit Beginn des 19. Jh. in England als stratigraphischer Begriff in Gebrauch ("Carboniferous"). Das Karbon wurde 1839 von R.J. Murchison als erstes System formell etabliert. Es wird heute international nach mittel- und westeuropäischer sowie nordamerikanischer Tradition zeitlich zweigegliedert in Unterkarbon (Mississippium) und Oberkarbon (Pennsylvanium), die in drei bzw. vier Stufen zerfallen ( Abb. ). Die Zweigliederung geht zurück auf den in Europa und Nordamerika weithin zu beobachtenden starken Gegensatz zwischen den meist relativ geringmächtigen feinklastischen oder carbonatischen Gesteinen des Unterkarbons (Kulm, Kohlenkalk) und den oft sehr mächtigen sandstein- und kohlenreichen Abfolgen des Oberkarbons. Beide Abfolgen werden zudem regional von markanten Diskordanzen getrennt. In den internationalen Stufenbezeichnungen spiegeln sich die Namen klassischer Regionen des belgischen und russischen Karbons wider.
Die Gesteinssequenzen des Unterkarbons folgen meist ohne bedeutende Schichtlücken und in relativer fazieller Kontinuität auf die Abfolgen des Oberdevons. Die Typlokalität für die Devon/Karbon-Grenze wurde 1992 in der Montagne Noire, Südfrankreich, festgelegt. Demgegenüber bewirkte die Variszische Orogenese, die in Mittel- und Westeuropa bis in das hohe Oberkarbon hinein andauerte, daß die kontinuierlichen Schichtfolgen in der Regel regional variabel zu unterschiedlichen Zeiten im Oberkarbon abreißen und sich dann nach einer markanten Diskordanz und zeitlichen Lücke postorogene kontinentale und schwer datierbare Rotsedimente des höchsten Karbons und/oder des Perms auflagern; für die Karbon/Perm-Grenze konnte deshalb bislang noch keine Typlokalität festgelegt werden.
Im Laufe des Paläozoikums rückten die aus dem Zerfall eines spätpräkambrischen Superkontinentes ("Rodinia") hervorgegangenen altpaläozoischen Kontinente und Kontinentalfragmente (nicht identisch mit den heutigen Kontinenten) allmählich und in mehreren Teilschritten wieder näher zusammen. Dabei handelte es sich v.a. um Gondwana auf der Südhalbkugel, Laurussia in den Tropen (Old-Red-Kontinent, im Silur aus Laurentia, Baltica und Avalonia entstanden) sowie Sibiria, Kasachstania und Nordchina auf der Nordhalbkugel (geologische Zeitskala). Zwischen Gondwana und Laurussia befand sich der in etwa äquatorparallele Paläotethys-Ozean, in dem verschiedene Mikrokontinente Inseln bildeten (abgespaltene Gondwana-Fragmente, u.a. Armorika) und ihn so in mehrere Teilbecken gliederten. Im Laufe des Devons begann Gondwana, sich nordwärts auf Laurussia zuzubewegen. Dabei verschmälerte sich die dazwischen liegende Paläotethys durch das Verschlucken ihrer ozeanischen Kruste in mehreren inner- und randozeanischen Subduktionszonen. Diese plattentektonischen Konvergenzbewegungen äußerten sich in Form der Variszischen Orogenese, die im Laufe des Karbons zur Herausformung des Gebirgsgürtels der Varisziden, zur Schließung der Paläotethys und dadurch zur Bildung des Westteils des Superkontinentes Pangäa infolge der Kollision und Vereinigung von Gondwana mit Laurussia unter Einschluß der zwischen beiden befindlichen Mikrokontinente führte.
Charakteristische Sedimentfolgen des Unterkarbons sind in Europa ausgedehnt auf den Britischen Inseln und im nördlichen Mitteleuropa erhalten. In diesem Raum, der am südöstlichen Rand Laurussias lag und zur Paläotethys überging, standen sich zwei Faziesräume gegenüber: Vor der sandigen Küste Laurussias, die von Schottland über die nördliche Nordsee und die südliche Ostsee bis nach Polen verlief, erstreckte sich ein bis über 200 km breiter Flachmeersaum bis nach Belgien und Norddeutschland, in dem sich überwiegend dunkelgraue, bankige tropische Kalksteine ablagerten, die als Kohlenkalk bezeichnet werden. Diese Fazies steht in starkem Kontrast zur sich südlich und südöstlich anschließenden Kulmfazies, einer überwiegend pelagischen bis hemipelagischen Beckenfazies aus dunklen, tiefmarinen Schlämmen (u.a. Radiolarite, Kieselschiefer) und nachfolgenden klastischen Sedimenten, hauptsächlich Grauwacken der variszischen Flyschphase; diese Abfolge tritt heute im Rhenoherzynikum weitflächig zu Tage.
Im Unterkarbon war die Variszische Gebirgsbildung in Mitteleuropa durch die starke Annäherung von Gondwana an Laurussia bereits weit fortgeschritten. In der schmal gewordenen und in verschiedenen Meeresstraßen gegliederten Paläotethys waren wahrscheinlich mehrere Subduktionszonen aktiv: u.a. an der Südgrenze des Moldanubikums, zwischen Moldanubikum und Saxothuringikum sowie zwischen Saxothuringikum und Rhenoherzynikum (ebenfalls nach Süden). Beispielsweise wird die Spur dieser letzteren in der scharfen strukturellen Grenze mit ausgeprägtem Metamorphose-Sprung zwischen dem Südrand des Rhenoherzynikums ("Nördliche Phyllitzone") und dem Nordsaum des Saxothuringikums ("Mitteldeutsche Kristallinzone") gesehen: Hochdruck/Niedertemperatur-Metamorphite im Norden grenzen an Mitteldruck/Hochtemperatur-Metamorphite eines ehemaligen magmatischen Bogens im Süden, so daß hier ein sog. "paariger metamorpher Gürtel" ausgebildet ist, wie er für aktive Plattengrenzen mit Subduktionszonen und begleitenden Vulkanbögen typisch ist. Die Annäherung von Gondwana an Laurussia erfolgte allerdings größtenteils nicht "frontal", sondern schiefwinklig und unter Drehbewegungen, was vielerorts "schräge" Subduktion und Kompression sowie bedeutende Seitenverschiebungen zur Folge hatte. Die heutige Lagebeziehung vieler paläozoischer Baueinheiten entspricht deshalb sicher nicht der ursprünglichen.
Mit rechtsdrehenden, westwärtigen Bewegungen verschob sich Gondwana mit seinen vorgelagerten mikrokontinentalen Inseln in Richtung Laurussia, so daß die Paläotethys schon im hohen Visé in ihrer Mitte regelrecht eingeschnürt wurde. Während ihr Ostteil offen blieb, schloß sich ihr Westteil in der Folge reißverschlußartig von Osten nach Westen, und das Meer zog sich im Laufe des Oberkarbons aus diesem Bereich allmählich völlig in Richtung Westen/Südwesten zurück. Im südwestlichen Nordamerika vollzog sich die Schließung erst im Perm. Die immer schmaler gewordenen Meeresstraßen zwischen den Groß- und Mikrokontinenten verflachten, süßten aus und verlandeten schließlich. Der Westteil von Pangäa war somit entstanden. Erst im Perm bzw. der älteren Trias gliederten sich auch Sibiria, Kasachstania und Nordchina an (Ural-, Altai- und Tienschan-Orogenesen) und machten Pangäa für einige Zehnermillionen Jahre zu einem praktisch alle heutigen Kontinente umfassenden Superkontinent.
Im hohen Unterkarbon und v.a. im Oberkarbon durchlief die Variszische Orogenese im Mitteleuropa ihren Höhepunkt: Durch Subduktion wurden die Streifen ozeanischer Kruste zwischen den kontinentalen Krustenstücken fast restlos eliminiert; außer dem Lizard-Komplex in Cornwall gibt es in den gesamten europäischen Varisziden keine eindeutigen und klar abgrenzbaren Ophiolith-Komplexe, d.h. gehobene Späne ehemaliger ozeanischer Kruste bzw. des unterlagernden Erdmantels. Die kontinentalen Krustenstücke kollidierten miteinander, ihre Ränder wurden dabei übereinander geschoben und z.T. tief versenkt sowie intensiv gefaltet, geschiefert und metamorphosiert. Die starken Aufheizungen führten in der Tiefe verbreitet zu Krustenaufschmelzungen, und die Schmelzen stiegen v.a. im Saxothuringikum und Moldanubikum auf und hatten einen heftigen Plattenrand-Vulkanismus sowie die Platznahme mächtiger Granit- und Granodiorit-Plutone in der tieferen Kruste zur Folge. Die regionalen Krustenstapelungen dürften zu Krustenmächtigkeiten von 50-60 km und mehr geführt haben. Gleichzeitig hob sich das Variszische Orogen als 500-1000 km breiter Gürtel zum Hochgebirge mit mehreren Ketten heraus.
Die raschen Hebungen des Gebirges, verbunden mit starker Abtragung, äußerten sich in der Produktion gewaltiger Schuttmengen, die in Senkungszonen des variszischen Gürtels und seiner Umgebung wieder abgelagert wurden. Während mariner Flysch in der Frühphase der Orogenese sedimentiert wurde, vom Oberdevon in den Innenzonen der Varisziden fortschreitend bis ins tiefe Oberkarbon in den Außenzonen, wurden sehr mächtige paralische bis kontinentale Molasse sowie Kohlen in den Haupt- und Spätphasen in intramontanen Senken sowie in den Vortiefen gebildet. Das Alter der Molasse reicht vom Visé bis ins Stefan. Die intensive Abtragung des Variszischen Gebirges unter zunächst überwiegend tropisch-dauerfeuchtem, später wechselfeuchtem bis semiaridem Klima bewirkte die Einrumpfung der Gebirgsketten innerhalb von wenigen Millionen Jahren im hohen Oberkarbon bis älteren Perm. Aus dieser Zeit stammen die weit ausgedehnten Vorkommen von roten terrestrischen Sedimenten (z.B. Rotliegendes), nicht nur in Mitteleuropa, sondern auch in den meisten übrigen Regionen des tropischen bis subtropischen Pangäa.
Das Karbon ist die klassische Steinkohlenzeit, und es sind v.a. die fast weltweit vorkommenden Kohlenflöze und deren Begleitgesteine, in denen die fossile Flora vorzüglich und überreich dokumentiert ist und die das Karbon zu einem der erdgeschichtlichen Zeitalter mit der am besten erforschten Flora gemacht haben. Die Pflanzenwelt des Karbons wurde völlig von den niederen Gefäßpflanzen beherrscht, die vom feucht-warmen Klima begünstigt im Oberkarbon den Höhepunkt ihrer Entwicklung und Verbreitung erreichten ("Jüngere Pteridophyten-Zeit"). Die Psilophyten, die als erste Pflanzengruppe die wassernahen Festlandsbereiche vom Obersilur an erobert hatten, waren im Oberdevon ausgestorben. Schon im Devon, aus dem ebenfalls Kohlenflöze bekannt sind, entwickelten sich aus den Psilophyten ("Nacktfarne") die Lycophyten (Bärlappe), Sphenophyten (Schachtelhalme) und Filicophyten (Farne) als vorherrschende Pflanzengruppen. Die Lycophyten (z.B. Sigillaria, Lepidodendron) stellten die wichtigsten Bäume des Karbons und erreichten über 30 m Höhe und 2 m Stammdicke. Fossil sind v.a. die Abdrücke ihrer Rinden mit den charakteristischen Blattnarben sowie ihrer Wurzeln (Stigmarien) häufig. Das Geäst war dichotom (symmetrisch) gegabelt und das Blattwerk schopfförmig gebündelt. Auch die Schachtelhalme (Calamites u.a.), die wie ihre modernen Vertreter im Karbon insbesondere Feuchtbiotope besiedelten, wuchsen teilweise zu mehr als 10 m Metern hohen Bäumen mit bis zu 1 m dicken, verholzten, allerdings hohlen Stämmen heran. Fossil häufig sind von ihnen die schmalen, lanzettförmigen Blätter, die Abdrücke der Innenseiten ihrer als Steinkerne erhaltenen Markhohlräume mit den typischen streng parallelen Leitbahnen und Einschnürungen sowie an Zweigen die wirtelig, d.h. in einer Ebene angeordneten Blattkränze. Daneben gibt es aus dem Karbon große Mengen von farnartigen Blattabdrücken (z.B. Sphenopteris, Cardiopteris, Neuropteris, Callipteris), die aber wohl nur zum kleineren Teil von echten Farnen stammen. Die Mehrzahl dürfte einer ausgestorbenen spätpaläozoischen Pflanzengruppe zuzurechnen sein, den Pteridospermae (Farnsamer, Samenfarner, Cycadeen-Verwandte), die bereits echte Samen trugen und das Zeitalter der Samenpflanzen einleiteten. Im späten Oberkarbon entwickelten sich die Cordaiten und Walchien, baumhohe Samenpflanzen, die zu den frühen Coniferen (einer Gruppe der Gymnospermen) bzw. deren Vorläufern gerechnet werden. Im Zuge des spätpaläozoischen Umschwungs zu eher trockenem Klima verdrängten die Trockenheit ertragenden Coniferen sukzessiv die Pteridophyten und erschlossen der Pflanzenwelt neue terrestrische Lebensräume; mit dem Oberperm begann daher das Mesophytikum (Gymnospermen-, Nacktsamer-Zeit).
Hinsichtlich der Fauna dominierten einerseits stark "typisch paläozoische" Organismen, z.B. bei den Wirbellosen (Invertebraten), andererseits kündigten sich modernere, fast schon "mesozoische" Elemente an, z.B. bei den Fischen und vierfüßigen Landtieren. Bei den Einzellern fallen v.a. die Radiolarien mit ihren kieseligen Hartteilen und die kalkschaligen Foraminiferen (z.B. die großwüchsigen Fusulinen) mit typisch jungpaläozoischen Formen als Gesteinsbildner auf (Kieselschiefer, Fusulinenkalk). Mit dem weltweiten Riffsterben an der Grenze Frasne/Famenne im Oberdevon verloren Stromatoporen und tabulate Korallen stark an Bedeutung, während sich die rugosen Korallen (z.B. Zaphrentoides), Bryozoen (Moostierchen, z.B. Fenestella) und Brachipoden (Armfüßer, z.B. Productiden, Spiriferiden) in den verbleibenden carbonatischen Flachwasserbiotopen erhielten und weiterentwickelten. Die Schnecken wanderten in das Süßwasser ein und begannen, auch das Festland zu besiedeln. Und die Süßwasser-Muscheln (z.B. Carbonicola, Anthracosia) erlebten ihre erste Blütezeit. Von großem biostratigraphischem Wert sind im Karbon die Cephalopoda, bei denen die Goniatiten die wichtigsten Leitformen stellen.
Die Arthropoden (Gliedertiere) modernisierten sich stark und machten das Karbon zu einer ihrer Blütezeiten: Zwar verloren die Trilobiten als "klassische" paläozoische Tiere immer mehr an Bedeutung, dafür aber traten die Spinnen mit zahlreichen Ordnungen besonders hervor, die Tausendfüßler (Myriapoden) entwickelten Riesenformen von bis zu 1 m Länge, und bei den im Oberdevon entstandenen geflügelten Insekten fallen als Innovationen v.a. die Eintagsfliegen und Schaben sowie die Libellen (z.B. Stenodictya), die bis zu 75 cm Flügelspannweite erreichten, auf. Die Panzerfische, die vorher die paläozoischen Flachmeere und Seen beherrscht hatten, waren zu Beginn des Karbons fast ganz ausgestorben und machten den moderneren Knorpel- und Knochenfischen Platz; vor allem Haie (z.B. Cladodus) und Seekatzen wurden häufig. Daneben entwickelten sich die Palaeonisciden, eine frühe Gruppe der in der späteren Erdgeschichte bis heute so erfolgreichen Strahlenflosser (Actinopterygier). Die Amphibien waren im Karbon infolge des weithin feuchten Klimas und der ausgedehnten Sumpfgebiete zwar sehr häufig, vielgestaltig und teilweise enorm groß (bis 5 m Länge, u.a. Labyrinthodontier), blieben aber anatomisch noch relativ urtümlich. Dagegen förderte das immer trockener werdende Klima die Entstehung der ersten Reptilien im späten Oberkarbon (z.B. Hylonomus) und ermöglichte damit auch den Wirbeltieren die Eroberung fast aller Festlandsbereiche. [HJG]
Literatur: [1] Brinkmann, R., Krömmelbein, K. & Strauch, F. (1991): Abriß der Geologie, 2. Bd. Historische Geologie. – Stuttgart. [2] Probst, E. (1986): Deutschland in der Urzeit. Von der Entstehung des Lebens bis zum Ende der Eiszeit. – München. [3] Stanley, S.M. (1994): Historische Geologie. – Heidelberg-Berlin-Oxford.
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