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Lexikon der Geographie: Stadtökologie

Stadtökologie

Manfred Meurer, Karlsruhe

Der vom Soziologen Ezra Park, einem Mitglied der so genannten Chicagoer Schule der Soziologie, im Jahre 1926 geprägte Begriff " urban ecology" beinhaltet einen sektoralen, rein soziologischen Ansatz, während sich die Stadtökologie mit einem interdisziplinären ökologisch ausgerichteten Forschungs- und Tätigkeitsfeld auseinandersetzt.
Zentraler Forschungsgegenstand der Stadtökologie ist der Ökosystemkomplex Stadt mit einem im Gegensatz zur klassischen Ökologie stärkeren Anwendungsbezug. Während erste sektorale Analysen urbaner Belastungen – ebenso wie Strategien zu deren gezielter Reduzierung – schon in der Antike erfolgten, werden komplexe stadtökologische Forschungsansätze verstärkt erst seit ca. vier Jahrzehnten entwickelt. Grundlagenforschungen gingen dabei auf mehrere MAB-Projekte zurück, wo wichtige Pionierarbeit mit Analysen in ausgewählten Städten wie London, Paris, Rom, New York, Wien oder Berlin geleistet wurde.
Ein Vergleich natürlicher bzw. naturnaher Ökosysteme mit urbanen Ökosystemen belegt als besonders gravierenden Unterschied die fehlende Energieautarkie der Stadt. Der Analyse dieses aus ökosystemarer Sicht zentralen Unterschieds galten in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche vertiefende Studien. Die praxisorientierte Umsetzung ihrer Resultate erlaubt vor allem bei der Neuplanung von Städten oder Neubaugebieten erhebliche Reduzierungen des Energieeinsatzes, so z.B. durch Gebäudedichte und -isolierung, Abstände der Häuser zueinander, Anordnung der Verkehrswege oder Formen der Landnutzung. Aus energetischen Überlegungen heraus ist im Zentrum eine höhere Baudichte anzustreben und bei der Gebäudeausrichtung vorwiegend eine Südexposition. Zudem sollten Fernwärmesysteme sowie dezentrale Blockheizkraftwerke – z.B. auf der Grundlage von regenerativen Energien wie Holzschnitzeln – vermehrt vorgesehen und installiert werden. Ferner sollte die Bebauung durch eine standortgemäße Bepflanzung mit Laubbäumen – Staubfilterung sowie Kühlung durch Erhöhung der latenten Energie – in Form von kleinen Parks oder von Baumalleen ergänzt werden (Stadtgrün).
Inzwischen ist es weitgehend unbestritten, dass eine forcierte Entwicklung neuer kommunaler Energiekonzepte zwingend erforderlich ist. Neben der grundsätzlichen Nutzung von Einsparpotenzialen sind Reduzierungen vor allem im Hausneubau durch die besagte verstärkte Verwendung regenerativer Energien sowie im Verkehrssektor zu erzielen. Integrale Konzepte in der kommunalen Energiepolitik sind unverzichtbar. Als Fördermaßnahmen stehen eine entsprechende Tarifgestaltung sowie Auflagen und Gebote auf lokaler bis nationaler Ebene zur Verfügung.
Basierend auf umfangreichen Erkenntnissen jüngerer und jüngster stadtökologischer Untersuchungen müssen neue Leitbilder für die "Stadt von morgen" entwickelt werden. Dabei besteht weitgehend Konsens darüber, dass bei urbanen Ökosystemen die Prinzipien natürlicher Ökosysteme – wie z.B. ökologische Stabilität und Elastizität, ungestörte Stoffkreisläufe und energetische Autarkie – nur rudimentär aufrecht erhalten werden können. Eine "ökologisch ideale Stadt" kann es somit nicht geben. Jedoch sollte eine möglichst umweltverträgliche Stadtplanung und eine nachhaltige Stadtentwicklung angestrebt werden. Allgemeingültige Konzepte für die Stadt sind folglich nicht zu erwarten, da zu unterschiedliche Konstellationen von Parametern die jeweilige Stadtstruktur prägen. Demnach müssen spezifische Empfehlungen für eine möglichst umweltverträgliche – im Sinne von nachhaltiger – Stadtentwicklung angestrebt werden (Weltumweltkonferenz in Rio 1992 mit der weiterhin anhaltenden Diskussion zu sustainable development). Dieses Leitbild, das ebenfalls im Mittelpunkt der "Weltkonferenz zur Zukunft der Städte Urban 21" stand, soll die aus sektoralen sowie integrierten Belastungsstudien gewonnenen Erkenntnisse mit in die künftigen Planungen einbeziehen. Dazu gehört unbestritten an erster Stelle die verstärkte Schonung der verbliebenen natürlichen Ressourcen und eine möglichst umfassende dauerhafte Verminderung urbaner Belastungsquellen. Einbezogen sind folglich auch der Erhalt von Pflanzen- und Tierarten sowie der Naturschutz in urbanen Systemen. Schlagwortartig ergeben sich somit die folgenden Forderungen:
a) verlangsamte Versiegelung im Verbund mit einer partiellen Entsiegelung
b) verstärktes Flächenrecycling (z.B. von Industriebrachen und militärischen Konversionsflächen) anstelle von Neuverbrauch unbelasteter Flächen
c) Milderung der spezifischen Stadtklimate, vor allem durch Reduzierung der erhöhten innerstädtischen Lufttemperaturen (Wärmeinseleffekt), eine erhöhte Luftfeuchte, eine Milderung der Windböigkeit u.ä. (Stadtklima)
d) reduzierter Ausstoß klimaverschärfender Treibhausgase durch Emittenten wie Gewerbe, Industrie, motorisierter Verkehr und private Feuerungsanlagen
e) Entschärfung lufthygienischer Belastungen bei Sommer- und Wintersmog, Reduktion verbrennungsbedingter Stäube (Aerosole) mit den gesundheitlich besonders kritisch zu bewertenden alveolengängigen Feinstäuben (aerodynamischer Durchmesser von 1-7μm)
f) Verringerung Kfz-bedingter Schadgase wie NO x und Kohlenwasserstoffe sowie Ruß bei Dieselfahrzeugen
g) Erhaltung und Neuschaffung von Frischluftschneisen
h) Reduzierung von Bodenbelastungen wie Verdichtung, Störung des Bodenwasserhaushaltes, Schadstoffakkumulation
i) Freilegung verrohrter Stadtgewässer und Schaffung neuer innerstädtischer Wasserflächen (Teiche, Seen u.ä.) mit positiven Konsequenzen aus klimatischer (Steigerung der latenten Wärme und damit Reduzierung der sensiblen Energie) und biotischer Sicht sowie für das psycho-soziale Wohlbefinden des Städters, wie z.B. in Freiburg durch das innerstädtische Gewässersystem in vorbildlicher Weise umgesetzt
j) Abbau innerstädtischer Grünflächendefizite durch Ausweisung neuer – z.T. auch nur temporärer – Grünflächen, z.B. auf Brachflächen, Begrünung von Fassaden und Flachdächern, verstärkte kommunale und private Pflanzung einheimischer (indigener) Pflanzenarten in Parks und Privatgärten, differenzierte Nutzungskonzepte einerseits für belastbare artenarme Scherrasen und andererseits für wenig belastbare, artenreichere Blumenwiesen (mit druckempfindlichen Hochgräsern, Kräutern und Stauden)
k) verstärkter Arten- und Naturschutz in der Stadt als Flächenschutz
l) Schaffung zusätzlicher Lebensmöglichkeiten für Tierarten, wie Falken und Fledermäuse, in geeigneten Gebäuden und Nischen der Stadt
m) gezielte Unterstützung einer Einwanderung von Arten in die Stadt, gefördert durch gezielte Biotopverbundkonzepte , d.h. durch Vernetzung unterschiedlich strukturierter städtischer Freiräume
n) Reduzierung des hohen städtischen Energiekonsums durch verstärkte Isolierung von Gebäuden und eine stärker ökologisch orientierte Bauweise (Wahl geeigneter Baumaterialien, Verwendung passiver Lüftungssysteme, vermehrte Nutzung regenerativer Energien wie Energiepflanzen, Holzschnitzel, Solar- und Windenergie sowie geothermische Energie u.ä, den besagten vermehrten Einsatz von Blockheizwerken und Fernwärme, ein verringertes Transportaufkommen zur Versorgung der Stadt sowie Reduzierung des innerstädtischen motorisierten Individualverkehrs zugunsten eines optimierten ÖPNV
o) Abbau des stressfördernden und damit gesundheitsgefährdenden städtischen Lärms
p) Verringerung der Materialflüsse und des Materialverbrauchs, z.B. durch eine höhere Materialintensität sowie stärkeres Recycling und damit Abfallvermeidung sowie Reduktion der mit Abfall verbundenen Belastungsmerkmale
q) Stabilisierung und möglichst Reduzierung des städtischen Wasserverbrauchs (Nutzung von Grauwasser i, verstärkte Grundwasserneubildung durch Förderung der Regenwasserversickerung auf entsiegelten Flächen und Verrieselung an Auenstandorten, Verwendung von Regen- als Brauchwasser sowie Förderung möglichst geschlossener Brauchwasserkreisläufe
r) Erhaltung historischer Stadtelemente im Rahmen des Kulturerbes.
Ein erheblicher Bedarf besteht zweifellos an repräsentativen und übertragbaren Modellen im Bereich der Stadtökologie. Infolge des geschilderten hohen Komplexitätsgrades sowohl der Teilkomplexe als auch des urbanen Gesamtökosystems sind umfassende abschließende Ansätze aber in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Dennoch müssen diese Anstrengungen verstärkt fortgesetzt werden, um gerade auch der in wesentlich höherem Maße von Belastungserscheinungen betroffenen städtischen Bevölkerung in Entwicklungsländern möglichst effiziente Hilfestellungen bieten zu können. Denn sie verfügen nicht über die erforderlichen Finanzen, um umfangreiche Messungen und Analysen selbst vor Ort vornehmen zu können. Gezielte weitere Untersuchungen gerade in diesen Regionen sind aber unerlässlich, um anhand ausgewählter Messdatensätze eine Validierung bereits vorhandener Teilmodelle vornehmen zu können. Hierbei stellt sich folglich die Frage nach Art und Umfang der Datenkollektive, die für eine derartige Umsetzung zwingend benötigt werden und im Rahmen von Modellvorhaben erhoben werden müssen.
Neben diesen Analysen muss aber auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit die bislang vorliegenden Erkenntnisse in der Stadtplanung bereits konsequent und zielgerichtet umgesetzt werden bzw. welche Schwierigkeiten einen effizienten Einsatz bislang behindern. So stellt Mackensen (1993) treffend fest: "Umwelthandeln beruht demnach nicht allein auf den objektiven Bedingungen der Umweltbelastung, sondern folgt erst auf ein entsprechendes Umweltbewusstsein. Diese Verbindung von Situations-, Wahrnehmungs-, Bewusstseins- und Handlungsfaktoren kennzeichnet die neuere Handlungstheorie." Demnach gilt es zukünftig vermehrt, eine ökologische Sensibilisierung der Bevölkerung und insbesondere der noch stärker "bildbaren" heranwachsenden Generation durch eine verstärkte Umwelterziehung herbeizuführen. Hier besitzt gerade die Geographie in Schule und Hochschule einen zentralen Bildungsauftrag, der noch stärker als bisher aktiviert werden sollte.
Unverzichtbare Forderungen an eine ökologisch orientierte und praxisrelevante Stadtökologie sind demnach vernetzte, d.h. integrierte bzw. querschnittsorientierte Planung, Analyse der ökologisch-ökonomischen Zielkonflikte, wissenschaftliche Begleitung von Modellprojekten zur effizienteren Umsetzung und schließlich eine straffe Effizienzkontrolle der bereits erfolgten Studien, die gerade in Anbetracht schwindender Geldmittel und leerer kommunaler Kassen immer unverzichtbarer wird. Aus diesen Überlegungen heraus ist somit Wittig et al. (1995) zuzustimmen, die folgern: "Die ökologische Stadt darf die menschliche Gesundheit nicht schädigen, ihr Umland nicht belasten oder zerstören und sie muss auch in ihrem Innenbereich die Entwicklung von Natur ermöglichen. Obwohl die Ziele nie vollständig zu verwirklichen sein dürften, entbindet dies Politiker und Planer nicht von der Verpflichtung, eine Annäherung an den Idealzustand anzustreben. Seitens der Wissenschaft stehen bereits heute ausreichend theoretische Grundlagen sowie Handlungsempfehlungen (Prinzipien, Leitlinien, Leitbilder) zur Verfügung".

Literatur:
[1] BREUSTE, J. (Hrsg.) (1996): Stadtökologie und Stadtentwicklung: Das Beispiel Leipzig. Angewandte Umweltforschung, Bd. 4. – Berlin.
[2] DEUTSCHES NATIONALKOMITEE FÜR DAS UNESCO-PROGRAMM "DER MENSCH UND DIE BIOSPHÄRE" (1991): Der Mensch und die Biosphäre. Internationale Zusammenarbeit in der Umweltforschung. – Bonn.
[3] DUVIGNEAUD, P. und DENAYER-DE-SMET, S. (1977): L´écosystème "urbs". L´écosystème urbain bruxellois. In: Duvigneaud, P. und P. Kestemont: Productivité biologique en Belgique. Travaux Sect. Belge Programme Biol. Internat. 6, S. 5-35. – Gembloux.
[4] MEURER, M. (1998): Die Agenda 21 und ihre Bedeutung für die globalen Umweltprobleme – dargestellt am Beispiel der nachhaltigen Stadtentwicklung. 26. Deutscher Schulgeographentag in Regensburg. Fachsitzung 9 – Globale Umweltproblematik. Regensburger Beiträge zur Didaktik der Geographie, Bd. 5, S. 185-196. – Regensburg.
[5] SUKOPP, H. und WITTIG, R. (Hrsg.) (1993): Stadtökologie. – Stuttgart, Jena, New York.

  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Geogr. Christiane Martin (Leitung)
Dipl.-Geogr. Dorothee Bürkle
Dipl.-Geol. Manfred Eiblmaier

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Grafik:
Mathias Niemeyer (Leitung)
Ulrike Lohoff-Erlenbach
Stephan Meyer

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