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Lexikon der Neurowissenschaft: Cochlea-Implantat

Cochlea-Implantats, Cochlearimplantat, Abk.CI, E cochlear implant, Innenohrprothese ("künstliches Innenohr"), die bei vollständig ertaubten Menschen (mit intaktem Hörnerv) eingesetzt werden kann, um ihnen einen Teil ihrer Hörfähigkeit wiederzugeben, bzw. um taub geborenen Kindern erstmals zu Höreindrücken zu verhelfen. Eine angeborene oder erworbene beidseitige vollständige Taubheit resultiert zumeist aus dem Verlust der Funktionsfähigkeit der Haarzellen (Corti-Organ). Beim Cochlea-Implantat handelt es sich um ein Gerät, das aus einem Empfangsteil sowie einem Multielektrodenträger besteht ( siehe Abb. 2 ). Es wird in die Cochlea im Innenohr des Patienten eingesetzt und leitet dem Spiralganglion elektrische Signale direkt zu ( siehe Abb. 1 ). Diese elektrischen Signale werden von einem sogenannten "Sprachprozessor" vorbereitet, einem kleinen Gerät, das der Patient bei sich trägt. Der Sprachprozessor nimmt Schallwellen mittels eines Mikrophons auf, um die in diesen Wellen enthaltene Information nach einem geeigneten Algorithmus in digitale Signale umzuwandeln. Diese digitalen Signale werden nun dem Cochlea-Implantat über dessen Empfangsteil drahtlos (transcutan) zugeführt, das dann seinerseits mittels elektrischer Impulse an seinen zahlreichen Elektroden dem Hörnerv (Cochlearis) ein in Raum und Zeit strukturiertes Muster elektrischer Aktivität aufprägt. Dabei macht sich das Cochlea-Implantat das Ortsprinzip zunutze, demzufolge jeweils bestimmte Bereiche des Corti-Organs und des ihm nachgeschalteten Spiralganglions für die Rezeption bestimmter Frequenzanteile akustischer Reize zuständig sind. Der Stromfluß über ein bestimmtes Elektrodenpaar des Cochlea-Implantats führt zur Stimulation eines begrenzten Bereichs des Spiralganglions, was zur Wahrnehmung eines Tons von bestimmter Höhe führt. Das Cochlea-Implantat ersetzt also die Funktionen des Mittelohrs und des Corti-Organs. – Der Algorithmus, der darüber entscheidet, welche Elektroden des Cochlea-Implantats in welcher Stärke, Dauer und Kombination infolge welchen akustischen Ereignisses aktiv werden sollen, kann von ganz verschiedener Art sein. Eine geeignete Gewichtung bestimmter, für menschliche Sprache charakteristischer Anteile des Schallspektrums kann für die Optimierung des Verständnisses gesprochener Sprache sinnvoll sein. Die Vorteile, die ein solcher Algorithmus für das Sprachverständnis hat, werden dann jedoch mit Einbußen auf Seiten der Musikwahrnehmung erkauft. – Nach Erfahrungen mit weltweit mehr als 20000 Trägern eines Cochlea-Implantats wird deutlich, daß der Betrieb einer solchen Prothese in Patienten, die nach dem Erlernen von Sprache (also postlingual) ertaubt sind, wieder zu einem guten Hörvermögen mit akzeptablem Sprachverständnis (auch am Telefon) führen kann. Je kürzer die Zeit zwischen Ertaubung und Implantation, desto besser ist die Aussicht auf ein differenziertes Hören mit dem Cochlea-Implantat. Dagegen profitieren Erwachsene, die schon als Kind und vor dem Erlernen einer Lautsprache (also prälingual) ertaubt sind, nicht von einem Cochlea-Implantat, offenbar weil sich ihr ausgereiftes Gehirn nicht mehr auf völlig neue Sinnesreize einstellen kann. Die eindrucksvollsten Ergebnisse werden durch die Implantation an Kindern erzielt. Da das Innenohr zum Zeitpunkt der Geburt des Menschen nahezu ausgewachsen ist, können Kinder schon vor dem 2. Lebensjahr ein Cochlea-Implantat erhalten. Das Gehirn von Kindern ist noch nicht ausgereift und in ganz anderer Weise darauf eingestellt, neue Signale interpretierbar und erlebbar zu machen als das Gehirn von Erwachsenen (Plastizität im Nervensystem). Viele dieser taubgeborenen Kinder erwerben mit dem Cochlea-Implantat die Chance auf eine gute Sprachentwicklung (sogar im Dialekt) und oft auf eine damit einhergehende normale Sozialisierung. – Dies wird auch durch eine kürzlich erfolgte Untersuchung der Auswirkungen eines Cochlea-Implantats auf das Gehirn in jungen, taub geborenen Katzen bestätigt. Bei Katzen mit Implantat ist der auditorische Cortex bei Geräuschen aktiv, und die aktive Region nimmt mit der Nutzungszeit des Implantats zu.

R.B.I./H.H.



Cochlea-Implantat

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