Lexikon der Neurowissenschaft: elektrosensorisches System
elektrosensorisches Systems, E electrosensory system, ein bei vielen wasserlebenden Wirbeltieren vorkommendes Sinnessystem, das zur Wahrnehmung elektrischer Felder (Elektrorezeption) fähig ist. Elektrosensorische Systeme finden sich bei Neunaugen, allen Knorpelfischen, den meisten Knochenfischen, bei aquatischen Amphibien(-larven) und sogar bei Säugetieren. Das System dient zur Lokalisation von Beute (Änderungen des elektrischen Feldes durch Muskelkontraktionen von möglichen Beutetieren) oder zur Feindvermeidung, es kann aber auch (bei elektrisch aktiven Fischen, elektromotorisches System) zur Orientierung im Raum (Elektroortung) und zur Kommunikation (Elektrokommunikation) dienen. Die elektrosensorischen Systeme der Nicht-Säuger bestehen aus in oder unter der Haut des gesamten Körpers gelegenen Elektrorezeptoren. Diese vielzelligen Rezeptororgane kommen bei vielen Arten wie Haien, Rochen, Stören, Lungenfischen, Welsen und Molchlarven vor und leiten sich in der Evolution aus dem Akustiko-Lateralis-System ab, dem auch das gewöhnliche Seitenliniensystem (Seitenlinienorgane) von Fischen und Amphibien, das Gehörsystem (Gehörorgane) und das Schweresinnes- und Beschleunigungssinnessystem (Gleichgewichtsorgan) des Labyrinths angehören. Elektrorezeptoren stammen von modifizierten Haarsinneszellen ab und werden je nach ihrem Aussehen als Ampullenorgane oder Knollenorgane bezeichnet. Die Lorenzinischen Ampullen am Kopf der Knorpelfische sind vergrößerte Ampullenorgane. Die Empfindlichkeit dieser Organe gegenüber elektrischen Feldern ist enorm, sie können Felder einer Stärke von 5 nV/cm registrieren (eine gedachte Batterie von 12 V, deren Plus- und Minuspole am Nord- bzw. Südpol der Erde herausragen, genügte, um über den gesamten Erdumfang zwischen den Polen ein solches Feld zu erzeugen). Die Afferenzen der Elektrorezeptoren erreichen über die Nerven der Seitenlinie ein Kerngebiet im Myelencephalon, das direkt über den auditorischen und Seitenlinienkernen liegt: es wird als der Nucleus dorsalis lineae lateralis bezeichnet. Bei manchen Knochenfischen (Gymnotiformes: Messerfische; Mormyridae: Nilhechte) ist dieser Kern mächtig aufgeschwollen, er wird hier als elektrosensorischer Seitenlinienlobus (E electrosensory lateral line lobe, Abk. ELLL) bezeichnet. Er ist in Schichten aufgebaut und enthält eine oder mehrere somatotopische Repräsentationen der Körperoberfläche. Weitere Stationen in der Verarbeitung der elektrosensorischen Information sind der Torus semicircularis des Mesencephalons, und (vor allem bei Nilhechten) ein mächtig entwickelter Teil ihres Kleinhirns, die Valvula cerebelli. – Unabhängig vom elektrorezeptiven System der Fische und Amphibien, das im Zusammenhang mit dem Seitenliniensystem steht, haben die australischen Schnabeltiere (Monotremata, Platypus, eierlegende Säugetiere) ein elektrosensorisches System entwickelt, das ihnen zur Beutesuche in schlammigen Gewässern dient. Seine Rezeptoren liegen im Schnabel und werden vom nervösen Apparat des Trigeminus versorgt.
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