Lexikon der Physik: Galilei
Galilei, Galileo, italienischer Wissenschaftler und Ingenieur, *15.2.1564 Pisa, †8.1.1642 Arcetri bei Florenz. Aufgrund seiner astronomischen Entdeckungen wurde er zum bedeutendsten frühen Vertreter des Kopernikanismus. Seine Beiträge zur Mechanik bilden die Grundlage für die spätere klassische Physik.
Galilei wurde als Sohn des Intellektuellen und Musikers Vincenzio Galileo in Pisa geboren. Nach der Rückkehr der Familie nach Florenz im Jahre 1574 wurde er in der Klosterschule Santa Maria di Vallombrosa erzogen. Auf Wunsch des Vaters studierte er ab 1581 Medizin an der Universität von Pisa.
Galileis Interesse an der Medizin war allerdings gering. Er hörte außer medizinischen Vorlesungen vor allem Vorlesungen über Werke des Aristoteles bei Francesco Buonamici und Girolamo Borro. Den größten Einfluß auf seine spätere wissenschaftliche Arbeit hatten Privatstunden in Mathematik, die er von dem Ingenieur Ostilio Ricci erhielt. Dem Einfluß Riccis war es auch zuzuschreiben, daß Galileis Vater schließlich dem Wunsch des Sohns zustimmte, das Medizinstudium aufzugeben und sich stattdessen der Mathematik zu widmen. 1585 verließ Galilei die Universität, ohne einen Abschluß erworben zu haben.
In den folgenden Jahren gab Galilei in Florenz und in Siena Privatstunden. In dieser Zeit entstanden auch seine ersten eigenen Arbeiten, die deutlich durch sein intensives Studium von Euklid und Archimedes geprägt waren. Seine fundierten mathematischen Kenntnisse brachten ihn in Kontakt mit führenden Wissenschaftlern dieser Zeit, insbesondere auch mit Guidobaldo del Monte, dem Autor des einflußreichsten Lehrbuchs der Mechanik des 16. Jahrhunderts. Guidobaldo del Monte wurde in der Folgezeit zum wichtigsten Gönner Galileis und mit seiner Orientierung an technischen Problemen der Praxis auch zu dessen Vorbild. Seinem Einfluß hatte Galilei seine erste Anstellung als Professor der Mathematik an der Universität Pisa zu verdanken, die er 1589 antrat.
Aus der Zeit, in der Galilei in Pisa lehrte, sind eine Reihe von Manuskripten und Exzerpten überliefert, die Themen, Begriffsbildungen und Methoden der spätmittelalterlichen Naturphilosophie zum Gegenstand haben. Wichtig für unsere Kenntnis der Entwicklung Galileis ist ein etwa 1590 verfaßtes und später mehrfach überarbeitetes Manuskript über die Bewegung, in dem er sich bereits mit zentralen Gegenständen seiner späteren Mechanik befaßt. Galilei sucht die Fehlerhaftigkeit der Aristotelischen Bewegungslehre nachzuweisen, geht dabei jedoch selbst weitgehend von Aristotelischen Annahmen aus. Er bewies z.B., daß die Körper nicht, wie dies Aristoteles behauptete, mit einer Geschwindigkeit proportional zu ihrem Gewicht, sondern proportional zu ihrem spezifischen Gewicht fallen, wobei er, wie die Aristoteliker, die Fallbeschleunigung als ein akzidentielles Randphänomen ansah.
1592 erhielt Galilei, wiederum durch den Einfluß von Guidobaldo del Monte, eine besser dotierte Professur für Mathematik in Padua. Diese Berufung stellte eine einschneidende Wende in seinem Leben dar. Galilei wurde Mitglied des einflußreichen Kreises venezianischer Intellektueller und erhielt Zugang zum Arsenal von Venedig, dem technologischen Zentrum des damaligen Mittelmeerraumes. Nach dem Vorbild seines Gönners Guidobaldo del Monte befaßte sich Galilei vorwiegend mit praktisch-technischen Problemen wie denen des Festungsbaus und der Ballistik. In einer eigenen Werkstatt, in der er einen Mechaniker beschäftigte, stellte er Instrumente her. Schüler aus ganz Europa kamen nach Padua, um bei ihm Privatunterricht zu nehmen.
Eine Reihe von Manuskripten über Gegenstände wie Militärarchitektur, Ballistik und Mechanik sind überliefert, die Galilei für diesen Unterricht verfaßte. Eines dieser Manuskripte, das später die Grundlage für seine erste Veröffentlichung wurde, betrifft ein von Galilei zu einem vielseitigen Rechenhilfsmittel weiterentwickeltes, in seiner eigenen Werkstatt hergestelltes Instrument, den Galileischen Proportionalzirkel.
Galilei entdeckte während seiner Zeit in Padua unter anderem die Konstanz der Schwingungszeit eines Pendels, die Parabelform der Bahn eines geworfenen Körpers, das Fallgesetz und verschiedene Eigenschaften der Bewegung auf einer schiefen Ebene. Eine Fülle von Notizen Galileis sind überliefert, die diese Arbeiten dokumentieren (›Ms. Gal. 72‹ der Biblioteca Nazionale Centrale, Florenz). Physikalische Überlegungen (die aus der Sicht der klassischen Physik weitgehend fehlerhaft sind), insbesondere Überlegungen zu den Ursachen von Ebbe und Flut, brachten Galilei außerdem zu der Überzeugung, daß die kopernikanische Annahme einer Bewegung der Erde um die Sonne korrekt sein müsse.
Im Jahr 1609 brachte ein einschneidendes Ereignis erneut eine Wende in Galileis Leben. Nachrichten über die Erfindung des Fernrohrs in den Niederlanden veranlaßte Galilei zu einer Nacherfindung dieses Instruments, das er in kurzer Zeit zu einem Instrument mit beträchtlicher Leistungsfähigkeit weiterentwickelte. Beobachtungen mit diesem Instrument führten ihn zu astronomischen Entdeckungen (Mondgebirge, Zusammensetzung der Milchstraße aus Sternen, Jupitermonde, Venusphasen), die ihn veranlaßten, den Kopernikanismus offen zu vertreten. Seine Schrift über diese Entdeckungen, ›Der Sternenbote‹, veröffentlicht 1610, fand in ganz Europa schnell weite Verbreitung.
Die plötzliche Berühmtheit, die Galilei erlangte, brachten ihm nicht nur eine unbefristete Anstellung in Padua mit einer für damalige Zeit beispiellos hohen Vergütung ein, sondern sie veranlaßte ihn auch darüberhinaus, sich um eine Anstellung beim Großherzog der Toskana in Florenz zu bemühen, eine Bemühung, der schneller Erfolg beschieden war. Im Sommer 1610 legte Galilei gegen den Rat seiner venezianischen Freunde seinen Lehrstuhl in Padua nieder und wurde Philosoph und Mathematiker am Hof des Großherzogs Cosimo II. in Florenz.
Schon kurz nach seiner Übersiedelung nach Florenz wurde Galilei in Konflikte um seine Lehren verwickelt, die in den Auseinandersetzungen um sein 1632 veröffentlichtes Hauptwerk, den ›Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme ...‹ gipfelten, in dem der Kopernikanismus diskutiert wird. Das Werk wurde auf den Index gesetzt und Galilei, nachdem er im Juni 1633 dem Kopernikanismus abgeschworen hatte, zu lebenslanger Haft verurteilt, die kurze Zeit später zu lebenslangem Hausarrest abgemildert wurde.
Paradoxerweise verdanken wir wahrscheinlich der Verurteilung Galileis sein für die Entstehung der klassischen Mechanik wichtigstes Werk, die ›Unterredungen und mathematische Demonstrationen über zwei neue Wissenszweige, die Mechanik und die Fallgesetze betreffend‹. Unter dem Einfluß des Erzbischofs Ascanio Piccolomini, eines ehemaligen Schülers Galileis, nahm er seine Arbeiten zur Mechanik wieder auf und erlebte noch die Veröffentlichung der ersten Auflage seines nach Holland geschmuggelten Manuskripts.
Die letzten Jahre seines Lebens wurde Galilei, inzwischen völlig erblindet, von seinen Schülern Evangelista Torricelli und Vincencio Viviani, sowie seinem Sohn betreut, die, ebenso wie andere seiner Schüler und Freunde, seine Arbeiten nach seinem Tode fortführten. Die Verurteilung Galileis hat lange Zeit das Verhältnis der Naturwissenschaft zur Kirche belastet. Erst nahezu 100 Jahre nach seinem Tod wurde sein Leichnam in ein repräsentatives Grab in der Kirche Santa Croce in Florenz umgebettet. Seine formelle Rehabilitierung durch die katholische Kirche erfolgte im Jahre 1992. [PD, JR2]
Werke:
Le Opere di Galileo Galilei, Edizione Nazionale (hrsg. von Antonio Favaro), 20 Bde., Florenz 1890-1909 (und Neuauflagen)
Biographien:
Wohlwill: Galilei und sein Kampf für die copernikanische Lehre, 2 Bde. Hamburg/Leipzig 1909/1926
Stillman Drake: Galileo at Work. His Scientific Biography, Chicago/London 1978Albrecht Fölsing: Galileo Galilei, Prozeß ohne Ende. Eine Biographie, München 1983
Zu Galileis Wissenschaft:
Mario Biagioli: Galileo, Courtier: The Practice of Science in the Culture of Absolutism, Chicago/London 1993
Peter Damerow, Gideon Freudenthal, Peter McLaughlin, Jürgen Renn: Exploring the Limits of Preclassical Mechanics. A Study of Conceptual Development in Early Modern Science: Free Fall and Compound Motion in the Work of Descartes, Galileo, and Beeckman, New York 1992
Rivka Feldhay: Galileo and the Church: Political Inquisition or Critical Dialogue?, Cambridge 1995.
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