Lexikon der Physik: Molekularstrahlepitaxie
Molekularstrahlepitaxie
Karl Eberl, Stuttgart, und Nikolaus Nestle, Leipzig
Die Molekularstrahlepitaxie (Molecular Beam Epitaxy, MBE) ist eine Methode zum atomlagengenauen Aufwachsen von kristallinen Festkörperschichten, die aus gerichteten Molekularstrahlen im Ultrahochvakuum (UHV) abgeschieden werden. Im Vergleich zu anderen Methoden der Epitaxie (z.B. chemische Gasphasenabscheidung) ermöglicht die MBE eine besonders gute Kontrolle der Wachstumsprozesse.
Geschichte
Die Molekularstrahlepitaxie wurde 1971 von A. Cho an den Bell Laboratories entwickelt. Ziel der Methode war von Anfang an die Produktion von definierten dünnen Kristallschichten und von Übergittern aus verschiedenen Halbleitern.
Grundprinzipien
Gegenüber anderen Techniken zur Herstellung von dünnen Schichten zeichnet sich die MBE vor allem durch zwei Eigenschaften aus:
• Die Materialzufuhr durch die Molekularstrahlen kann atomlagengenau reguliert werden, so daß besonders dünne, definierte Schichten aufgewachsen werden können. Der Preis hierfür ist aber eine relativ geringe Geschwindigkeit des Schichtwachstums, so daß die Herstellung von ›dicken‹ Schichten (größer als einige μm) extrem zeitaufwendig ist.
• Es können epitaktische Schichten hergestellt werden, die mit anderen Verfahren auf Grund der Existenz von Mischungslücken überhaupt nicht zugänglich wären.
• Die Arbeit mit Molekularstrahlen im UHV erlaubt eine besonders hohe Reinheit der gewachsenen Proben.
Möglichkeiten und Anwendungen
Mit der MBE können dünne Schichten von Materialien hergestellt werden, deren Eigenschaften sich stark von denen der entsprechenden Volumenkristalle unterscheiden. So wird beispielsweise innerhalb gewisser Grenzen dem aufgewachsenen Material zunächst die Kristallstruktur und die Gitterkonstante des Substratmaterials aufgeprägt (›pseudomorphes Wachstum‹). Ab einer (von der Größe der Gitterfehlanpassung abhängigen) Schichtdicke geht die Gitteranpassung jedoch verloren: es bilden sich Fehlstellen und Versetzungen, und die Kristallstruktur geht in die Volumenstruktur des aufgewachsenen Materials über.
Das Hauptanwendungsgebiet der MBE ist die Herstellungen von Heterostrukturen aus III-V-Halbleitern, wie sie beispielsweise für Halbleiterlaser (Diodenlaser), Hallsensoren und spezielle Hochleistungstransistoren (HBT, HEMT) eingesetzt werden.
Ein weiteres bedeutendes Anwendungsgebiet der MBE ist das Aufwachsen von Metallen auf Halbleitern oder Quarzsubstraten. Solche Strukturen werden in der Zukunft eventuell für Speichermedien und spezielle Halbleiterbauelemente von Interesse sein.
Inselwachstum
Bis vor kurzem war man beim MBE-Wachstum nur an glatten Schichten interessiert. Vor allem bei Materialien mit stark unterschiedlichen Gitterkonstanten bilden sich diese aber nur unter optimalen Bedingungen (Substrattemperatur, Schichtdicke,...). Andernfalls entstehen Versetzungen in der Schicht ,oder sie zerreißt sogar in einzelne ›Wachstumsinseln‹. Bei Wahl der richtigen Bedingungen (sog. Stranski-Krastanow-Wachstum) können diese Wachstumsinseln wiederum zur Herstellung von interessanten Halbleiter-Heterostrukturen ausgenützt werden; die dann entstehenden Cluster sind alle annähernd gleich groß und stellen gewissermaßen ›von selbst‹ wachsende Quantenpunkte dar (siehe Heterostrukturen. Die so herstellbaren Quantenpunkte sind kleiner als man sie durch direktes Strukturieren von Quantenfilmen zur Zeit herstellen kann.
Ausrüstung
MBE-Prozesse finden grundsätzlich im Ultrahochvakuum statt (üblicherweise bei Drucken von einigen 10-14 bar). Das hat vor allem zwei Gründe: Definierte Molekularstrahlen können sich nur in einem Vakuum mit hinreichend großer freier Weglänge ausbreiten. Außerdem kommt es bei der Anlagerung des Materials auf dem Substrat zu einem Wettbewerb mit Hintergrundrestgasen, die im Gegensatz zum Material aus dem Molekularstrahl die ganze Zeit auf das Substrat einwirken und unter Umständen einen hohen Haftkoeffizienten – also eine hohe Wahrscheinlichkeit zur Adsorption und anschließendem Einbau in die wachsende Schicht – haben (dies trifft insbesondere auf O und C zu; deren Verbindungen sollten deshalb nur mit einem Partialdruck von weniger als 10-13 mbar in der Kammer enthalten sein). Soll sichergestellt werden, daß bei einem langsamen Schichtwachstum im Bereich von μm / h hinreichend reine Schichten entstehen, sind die oben genannten niedrigen Arbeitsdrucke notwendig.
Eine Skizze zum Aufbau einer MBE-Anlage ist in Abb.1 dargestellt.
Als Quellen für die Molekularstrahlen dienen normalerweise sogenannte Effusionszellen. Eine schematische Darstellung eines verbreiteten Typs solcher Zellen ist in Abb.2 gegeben. Bei vielen MBE-Prozessen werden die einzelnen Bestandteile der zu wachsenden Strukturen in elementarer Form in den Effusionszellen verdampft. Daneben gewinnen jedoch Verfahren, bei denen mit Molekularstrahlen leicht flüchtiger Verbindungen der Elemente gearbeitet wird, immer mehr an Bedeutung. Solche Methoden bezeichnet man normalerweise als Metal Organic Molecular Beam Epitaxy (MOMBE). Ein kurzer Vergleich der Vor- und Nachteile beider Methoden findet sich in der Tabelle.
Eine entscheidende Komponente eines MBE-Systems ist auch die Substratmontage: Idealerweise sollte diese im Hochvakuum selbst erfolgen können und sowohl eine Rotation des Substrats (zur Verbesserung der Homogenität) als auch die Kontrolle der Substrattemperatur zulassen.
Die Substrattemperatur ist ein entscheidender Parameter für die Qualität der MBE-Schichten. Bei geeigneten Temperaturen können auftreffende Atome an der Oberfläche bis zu einer Stufenkante diffundieren und werden dort gebunden. Bei zu hohen Temperaturen wird die Bindungswahrscheinlichkeit verringert, während bei zu niedrigen Temperaturen die Schichten rauh werden, da die Atome nicht mehr nur an Stufenkanten bevorzugt angelagert werden.
Perspektiven
In situ Analyse
Als UHV-Verfahren bietet die MBE vielfältige Möglichkeiten, die epitaktischen Schichten direkt während des Wachstums beispielsweise durch Elektronenbeugung oder durch Auger-Elektronenspektroskopie zu analysieren. Diese online-Kontrolle ermöglicht es einerseits, die Wachstumsrate zu bestimmen, und erlaubt andererseits auch eine sofortige Erkennung von Abweichungen vom erwünschten/erwarteten Wachstumsverhalten.
In situ Strukturierung
Mit Hilfe von geeigneten Molekularstrahlen (z.B. AsBr3 oder AsCl3) können in der MBE Halbleiterstrukturen nicht nur atomlagengenau aufgewachsen werden, sondern auch mit der gleichen Genauigkeit wieder abgetragen werden (siehe Abb.3 ). Dies erlaubt es, die MBE auch zur Strukturierung der aufgewachsenen Schichten einzusetzen und auf die so entstanden Strukturen unmittelbar neue Schichten anderer Zusammensetzung wieder aufzuwachsen. Sowohl beim Wachstum als auch beim Ätzen gibt es in der MBE eine deutliche Abhängigkeit der Raten von den jeweiligen Kristallflächen. Dies erlaubt es, extrem feine Strukturen durch selektives Überwachsen vorstrukturierter Substrate herzustellen.
Neue Materialsysteme
Neben der mittlerweile schon fast ›klassischen‹ MBE von III-V-Halbleitern wie GaAs/AlGaAs wurden in den letzten Jahren zahlreiche Fortschritte bei der Herstellung von Schichten aus Nitriden der Elemente Al, Ga und In (vor allem für optoelektronische Bauelemente im blauen Spektralbereich von Bedeutung) sowie bei zunehmend komplexeren Gemischen von II-VI-Halbleitern (BeMgMnZnCdHgSSeTe), neuen III-V-Materialien und Gruppe IV-Halbleitern (SiGeCSn) gemacht. In allen Halbleitersystemen ist eine zunehmende Tendenz zu immer komplizierteren Legierungszusammensetzungen zu beobachten. Daneben gewinnt auch die MBE von Metallschichten immer größere Bedeutung.
MBE in der industriellen Bauelementefertigung
MBE-Schichten spielen technisch vor allem für die Herstellung schneller, rauscharmer Schaltelemente eine Rolle, wie sie z.B. in der Mikrowellentechnik, für Mobiltelefone und ähnliche Geräte benötigt werden. Abb.4 zeigt ein Foto einer MBE-Anlage für die industrielle Produktion.
Molekularstrahlepitaxie: Vergleich der Vor- und Nachteile der MBE- und MOMBE-Methoden.
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feste Ausgangsstoffe aus Tiegeln verdampft | leicht flüchtige Ausgangsstoffe treffen durch Gaseinlaßsysteme auf Substrat | |
hohe Quellentemperatur | keine hohen Quellentemperaturen | |
vorwiegend physikalische Deposition auf Substrat | chemische Zersetzung des Molekularstrahls auf dem Substrat | |
geringe Gefährdung bei unbeabsichtigtem Austritt von Quellenmaterial | Gefährdung durch teilweise hochgiftige Gase in Quellenmaterial | |
Nur benötigte Substanzen in Molekularstrahlen enthalten | Entstehung von Restsubstanzen bei Atomeinbau in Kristall | |
Haftkoeffizienten fest vorgegeben | Unterschiedliche Haftkoeffizienten je nach genutzter Verbindung |
Molekularstrahlepitaxie 1: Schematischer Aufbau einer MBE-Anlage
Molekularstrahlepitaxie 2: Schematischer Aufbau einer Effusionszelle.
Molekularstrahlepitaxie 3:in-situ RHEED-Beobachtung des Aufwachsens (I), Abtragens(III) und Wiederaufwachsens (IV) einer GaAs-Schicht unter Verwendung von AsBr3 als Ätzmittel. Die RHEED-Oszillationen zeigen, daß die Wachstums- und Ätzprozesse weitgehend atomlagenweise erfolgen.
Molekularstrahlepitaxie 4: Production MBE System der Firma VG semicon.
Literatur:
M.A. Herman, H. Sitter: Molecular Beam Epitaxy – Fundamentals and Current Status, 1996, Heidelberg, Springer.
A.Y. Cho: Applied Physics Letters19 467, 1971.
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