Lexikon der Psychologie: Suchtprävention
Suchtprävention, Vorbeugung gegen Suchterkrankungen, ist keine ganz junge Maßnahme der Gesundheitspolitik (Gesundheit). Bereits aus dem frühen 19. Jahrhundert sind sowohl patriarchale Maßnahmen als auch ethisch motivierte Bewegungen bekannt, die versucht haben, Einfluß auf den individuellen Konsum zu nehmen. Das wird verständlich, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß z.B. Alkohol als Nahrungsmittel (Brotsuppe) in Europa weit verbreitet war und etwa in den 1830ern der Pro-Kopf-Konsum in vielen Ländern auf den dramatischen Wert von über 40 Litern gestiegen war. Die Temperenzler-Bewegung entstand und wurde unterstützt durch Könige und Kirchen; 1879 wurde die erste Loge des Guttempler-Ordens gegründet, der auch Verbindungen zur Arbeiter-Bewegung herstellte, die ihrerseits dem Kampf gegen den Alkoholismus bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein wesentliche Impulse gab. Seit den 40er Jahren steht die Bewegung der Anonymen Alkoholiker für eine abstinente Lebensführung. Heute gibt es eine große Zahl von konfessionellen und anderen Abstinenten-Bünden, die insgesamt aber nur bei einem verschwindend geringen Teil der Bevölkerung zu einer vollständigen Abstinenz beitragen.
Schon deshalb wäre es für Maßnahmen der Suchtprävention illusionär, die Abstinenz grundsätzlich als Ziel zu definieren. Vielmehr lassen sich unterschiedliche (Teil-)Ziele in allen Präventions-Programmen wiederfinden:
– Entwicklung zur Abstinenz als langfristiges Ziel
– Verschiebung des Konsumbeginns biographisch möglichst weit nach hinten
– Vermeidung des Konsums illegaler Drogen
– gepflegter Umgang mit Genußmitteln
– gemäßigte Verschreibung von Medikamenten mit Suchtpotential
– keine Selbstmedikation.
Eine Methode der Suchtprävention ist die gezielte Entmutigung der Konsumenten. Sie kann durch Verbote und Sanktionen, durch Besteuerung von Suchtmitteln oder durch ein staatliches Monopol z.B. für den Inlandshandel mit Alkohol durchgesetzt werden. Dadurch wird jedenfalls erreicht, daß der Pro-Kopf-Konsum gering gehalten und die Zahl der problematischen Konsument/innen begrenzt werden können. Eine Minderung der Zahl der Abhängigkeitskranken durch diese Strategie ist nicht nachgewiesen. Zu den Entmutigungs-Strategien beim Kauf von Suchtstoffen gehören weiter Altersbeschränkungen, die Eingrenzung des Verkaufs auf Öffnungszeiten und -tage, die Beschränkung des Verkaufs auf bestimmte Geschäfte oder Apotheken und besondere Formen des Verkaufs. Effektive Formen der Kontrolle der Überproduktion von Suchtmitteln sind selten, wohl aber Methoden einer Verbrauchskontrolle offensichtlich recht präzise möglich. Eine besondere Form der Entmutigung bzw. der Erziehung zur Mäßigung sind die Verkehrskontrollen. Spätestens hier wird jedoch deutlich, daß Restriktionen in ihrer Wirksamkeit begrenzt sind, wenn sie nicht verbunden werden mit intensiven Erziehungsprogrammen schon in den Schulen, im Elternhaus und in der Öffentlichkeit.
Die Maßnahmen der primären Prävention unterscheiden nicht grundsätzlich zwischen legalen und illegalen Drogen. Dennoch widmet die öffentliche Meinung und dieser folgend oft auch die jeweilige Präventions-Agentur in der Regel den illegalen Drogen besondere Aufmerksamkeit.
Nationale oder regionale Programme zur Suchtprävention umfassen in der Regel – zusätzlich zu den klassischen Instrumentarien der Kontrolle:
– nationale/regionale Kampagnen zur Prävention gegen Drogen; dadurch kann die Aufmerksamkeit für deren Gefährlichkeit erhöht werden;
– Maßnahmen für junge Menschen in der Risiko–Zone in Kooperation von Schulen, sozialen Diensten, Freizeiteinrichtungen usw.; dadurch können frühe Gefährdungen gemindert werden;
– Aktionen gegen übermäßigen Konsum legaler Drogen; dadurch kann das Problembewußtsein für die Allgemeinheit der Suchtgefährdung erhöht werden;
– Fortbildungsmaßnahmen für alle Berufsgruppen, die mit Suchtgefährdung und -gefährdeten zu tun haben; dadurch kann eine Sensibilisierung für Risiko-Entwicklungen erhöht werden:
– Programme für Institutionen (Betriebe, Behörden) zum innerbetrieblichen Umgang mit Suchtgefährdung und -gefährdeten; dadurch können Entwicklungen dort unterbrochen werden, wo sie am auffälligsten sind.
Zielgruppen von suchtpräventiven Aktivitäten sind 1. das soziale Umfeld von Gefährdeten, 2. die Gefährdeten im weiteren Sinne, v.a. bestimmte Alters- und soziale Gruppen, 3. die Gefährdeten im engeren Sinne, d.h. Probierer und Mißbraucher von legalen wie illegalen Drogen. Je nach Wahl der Zielgruppe müssen ganz unterschiedliche Methoden angewandt und zukünftig weiterentwickelt werden.
W.He.
Literatur
Albrecht, H.-J. (1986). Criminal Law and Drug Control: a Look at Western Europe, Int.J.Comparat. Appl.Crim.Just Vol 10/1.
E.M.C.D.D.A. (1998). Annual Report on the State of the Drugs Problem in the European Union. Lissabon.
Kaufmann, H. (1996). Suchtprävention in der Praxis, Weinheim/Basel
Klingemann, H. et al. (1992). (Eds.): Cure, Care, or Control. Alcoholism treatment in sixteen countries. State University of New York Press, Albany.
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