Lexikon der Psychologie: Freud
Freud, Anna, 1895-1982, österreichisch-britische Psychoanalytikerin, Tochter von Sigmund Freud. Anna Freud wurde besonders durch ihre Arbeiten zur Kinderpsychoanalyse (Psychoanalyse) bekannt. Sie wurde in Wien geboren, dort zur Lehrerin ausgebildet und arbeitete gemeinsam mit ihrem Vater an der Entwicklung der psychoanalytischen Theorie. 1938 floh sie mit ihrem Vater vor den Nationalsozialisten nach London. Anna Freud befaßte sich mit der Funktion des Ich für die Persönlichkeitsentwicklung (Persönlichkeit) und beschrieb die Rolle der Abwehrmechanismen, beispielsweise der Verdrängung. Sie gründete 1947 in London die Hampstead Child Therapy Course and Clinic (Hampstead-Kinderklinik), der sie ab 1952 auch als Direktorin vorstand. Sie veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Bücher und Aufsätze. 1945 gründete sie gemeinsam mit anderen die Zeitschrift Psychoanalytic Study of the Child.
Anna Freud wurde als jüngstes von sechs Kindern von Sigmund und Martha Freud geboren. Sie schloß ihre Schulbildung am Cottage Lyzeum in Wien 1912 ab, ohne zunächst an eine weitere Berufskarriere zu denken. Sie arbeitete zunächst fünf Jahre in Wien an ihrer ehemaligen Schule als Lehrerin. Mit 15 las sie bereits die Werke ihres Vaters, von 1918 bis 1921 unterzog sie sich einer Lehranalyse bei ihrem Vater.
1923 öffnete sie ihre eigene psychoanalytische Praxis für Kinder, und zwei Jahre später hielt sie ein Seminar am Lehrinstitut der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung über die Technik der Kinderanalyse. Ihre Arbeiten faßte sie 1927 in ihrem ersten Buch Einführung in die Technik der Kinderanalyse, einer Vorlesungsreihe für Lehrer und Eltern, zusammen. Als Sigmund Freud 1923 an Krebs erkrankte, war er zunehmend auf die Hilfe und Pflege seiner engsten Vertrauten angewiesen. Von 1927 bis 1934 war Anna Generalsekretärin der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Ihre Praxis als Kinderanalytikerin florierte, sie hielt Seminare, organisierte Konferenzen und pflegte zu Hause ihren Vater. 1935 wurde Anna Leiterin des Wiener Lehrinstituts. Im Jahr darauf veröffentlichte sie ihre einflußreiche Arbeit Das Ich und die Abwehrmechanismen. Durch die Betonung der Ich-Funktionen bewegte sie sich in dieser Arbeit weg von den traditionellen Grundlagen der Psychoanalyse wie der Triebtheorie und schuf damit die Basis der späteren Ich-Psychologie. 1937 gründete sie mit ihrer Freundin Dorothy Burlingham einen Kindergarten für Kleinkinder aus armen Familien. Diese "Jackson Nursery" war der ideale Ort, um kindliches Verhalten zu beobachten und Experimente, die die Eßgewohnheiten positiv beeinflussen sollten, durchzuführen. Den Kindern wurden im Gegensatz zu traditionellen Kindergärten große Freiräume zugestanden.
Im März 1938 mußte die Jackson Nursery schließen, und die Familie Freud flüchtete nach England, wo Anna Freud eine neue Praxis eröffnete und Vorträge über Kinderpsychologie hielt.
Nach dem Ausbruch des 2. Weltkrieges richtete sie die Hampstead War Nursery ein, die mehr als 80 Kinder von alleinstehenden Eltern betreute, nach dem Krieg betreute sie eine Gruppe von Kindern, die ihre Eltern in Konzentrationslagern verloren hatten. 1947 gründete sie gemeinsam mit Kate Friedländer die Hampstead Child Therapy Courses, die nach fünf Jahren um eine Kinderklinik erweitert wurden. Sie bildete dort über hundert Kinderpsychoanalytiker aus und beeinflußte aufgrund ihrer psychosomatischen Forschungen die Kindermedizin nachhaltig. Bei allen ihren analytischen Arbeiten mit Kindern in diesen Institutionen waren es die Übertragungssymptome, die für sie den "Königsweg zum Unbewußten" eröffneten. Von den 50er Jahren bis zu ihrem Lebensende fuhr Anna Freud regelmäßig nach Amerika, um dort zu unterrichten und Freunde zu besuchen. Während der 70er Jahre beschäftigte sie sich mit verwahrlosten und sozial benachteiligten Kindern, über deren Entwicklungsdefizite und -chancen sie mehrere Studien verfaßte. Anna Freud widmete ihr ganzes Leben der Fortführung jenes intellektuellen Abenteuers, das ihr Vater begonnen hatte. Dabei schlug sie mitunter neue Wege ein, auf denen sie psychoanalytische Erkenntnisse mit sozialen Problemen verknüpfte und zu neuen Lösungsversuchen gelangte.
Ge.Ti.
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