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News: Mit den Händen hören

Das menschliche Gehirn ist anpassungsfähig. Bekommt ein Bereich in frühen Lebensstadien zu wenig sensorische Informationen, können sich die vernachlässigten Regionen sehr unterschiedlich entwickeln. So gibt es viele Berichte über Blinde mit hochsensiblem Gehör. Auch ihr Tastsinn kann sich erheblich verbessern, wenn sie die Blindenschrift lernen. Gehörlose Musiker beschreiben, daß sie Musik über Vibrationen fühlen können. Ein direkter Beweis dafür, daß vernachlässigte sensorische Areale des menschlichen Gehirns die Rolle eines anderen Sinnes übernehmen können, fehlte bisher allerdings.

In der Zeitschrift Current Biology vom 16. Juli 1998 berichten Sari Levänen von der Helsinki University of Technology und seine Kollegen, daß Schwingungen, die auf Finger und Handflächen eines gehörlosen Erwachsenen einwirkten, jene Gebiete des Gehirns aktivierten, die normalerweise akustische Informationen verarbeiten.

Mit modernen bildgebenden Verfahren identifizierten die Wissenschaftler die Regionen des Gehirns, die auf die Vibrationen reagierten. Sie untersuchten Personen mit gesundem Gehör und einen 77jährigen Mann, der von Geburt an taub ist. Das leiseste Geräusch, das dieser Proband hörte, befand sich in der Lautstärke irgendwo zwischen einer Kettensäge und einem Rockkonzert.

Die Forscher stimulierten seine Hände oder Finger mit einem Kunststoffröhrchen, das mit einem Baßlautsprecher verbunden war. Ein Geräusch hörte er nicht, die Vibrationen allerdings konnte er fühlen. Wie bei den hörenden Freiwilligen wurden auch bei dem gehörlosen Probanden die Gehirnareale, die auf taktile Informationen reagieren, innerhalb weniger Hundertstelsekunden aktiviert. Der auditorische Cortex auf beiden Seiten des Gehirns allerdings reagierte nur bei ihm. Er wurde innerhalb einer Fünftelsekunde nach Einsetzen der Vibrationen aktiv. Irgendeine Form von akustischer Wahrnehmung war ausgeschlossen, da die Aktivität des auditorischen Cortex nur auftrat, wenn die Versuchsperson das vibrierende Röhrchen berührte. Befand es sich nur in ihrer Nähe, ohne daß ein Kontakt hergestellt wurde, zeigte dieses Areal der Großhirnrinde keine Reaktion.

Der funktionelle Ersatz einer sensorischen Modalität durch eine andere muß in frühen Entwicklungsstadien des Gehirns geschehen, wenn es noch besonders formbar ist. Die Forscher nehmen an, daß die sensorischen Regionen Meldungen von verschiedenen Sinnen erhalten. Irrelevante Stimuli werden dann sehr schnell von konkurrierenden relevanten Reizen überdeckt. Wird ein Areal vernachlässigt, fehlt dieser Wettbewerb. Das erlaubt sensorischen Informationen, Gebiete des Gehirns zu erreichen, die sie normalerweise nicht beeinflussen könnten.

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