News: Der Magnetismus des Mondes
Besonders die Ergebnise eines Experimentes, das vom Berkeley Space Science Laboratory an der University of California konstruiert wurde, lassen vermuten, daß der Einschlag großer Meteorite vor einigen Milliarden Jahren auf der gegenüberliegenden Seite der Mondoberfläche über große Bereiche hinweg starke Magnetfelder entstehen ließ.
"Wir haben Meßdaten zweier großer Einschlagsbecken auf dem Mond analysiert – dem Mare Imbrium (Meer des Regens) und dem Mare Serenitatis (Meer der Heiterkeit) – und dabei eine bemerkenswert große Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Apollo-Missionen von vor 25 Jahren festgestellt", sagt Robert Lin, Professor für Physik und einer der Väter des Magnetfeldexperiments. "Die Tatsache, daß wir starke Magnetfelder immer genau in den Bereichen fanden, welche großen Einschlagskratern auf der Rückseite des Mondes gegenüberlagen, läßt die Hypothese, daß der Magnetismus etwas mit Meteoriteneinschlägen zu tun hat, immer wahrscheinlicher werden."
Solche regional begrenzten, starken Magnetfelder bauen um sich herum eine Art von Mini-Magnetosphären mit einigen Hundert Kilometern Durchmesser auf, ähnlich denen der Planeten, welche mit ihrer Stärke sogar die geladenen Teilchen des Sonnenwindes ablenken können. "Es sind dies die kleinsten bisher beobachteten magnetischen Bereiche im Sonnensystem," so Robert Lin, Direktor des Space Science Laboratory.
Veröffentlicht wurden Lins Ergebnisse am 4. September 1998 in Science (Abstract), in einem Sonderteil zu den ersten wissenschaftlichen Ergebnissen von Lunar Prospector – immerhin der ersten NASA-Mondsonde seit 25 Jahren. Lunar Prospector umkreist den Mond seit seinem Einschuß in eine polare Umlaufbahn Mitte Januar immerhin in einer Höhe von nur etwa 100 Kilometern.
Der Mond als relativ kleiner Körper im Planetensystem besitzt kein großflächiges Magnetfeld. Dies liegt daran, daß er im Gegensatz zur Erde und den anderen großen Planeten vermutlich keinen metallischen Kern und somit auch keinen sogenannten inneren "Dynamo-Effekt" mehr aufweist. Umso größer war die Überraschung der Wissenschaftler, als in den 70er Jahren die von den Apollo-Astronauten auf der Mondoberfläche aufgestellten Magnetometer ein schwaches Magnetfeld nachwiesen. Dieses hatte eine Stärke von einigen Hundert Nanotesla und war damit relativ schwach im Gegensatz zu den etwa 30 000 Nanotesla des Erdmagnetfeldes, jedoch eindeutig nachweisbar. Schon damals bauten Lin und sein jetzt emeritierter Kollege Kinsey Anderson einen Elektronendetektor, welcher an Bord von Apollo 15 (1971) und Apollo 16 (1972) auch zum Mond flog. Schnell fanden sie heraus, daß man mit einem solchen Instrument relativ einfach auch aus einer Umlaufbahn heraus das Magnetfeld des Mondes vermessen könnte. Trotz der im Vergleich zu heutigen Experimenten noch recht groben Meßweise und einer Abdeckung von nur zehn Prozent der Mondoberfläche, deuteten die Ergebnisse von Lin und Anderson schon damals auf eine Verbindung zwischen den für das bloße Auge etwas dunkler erscheinenden, großen Einschlagsbecken auf der Mondvorderseite und den Magnetfeldern auf dessen gegenüberliegender Seite hin.
"Was aus den Apollomessungen nur ansatzweise herauszulesen war, wurde von den neuesten Messungen des Lunar Prospectors jetzt vollauf bestätigt, ja sogar noch eindeutiger nachgewiesen", behauptet David Mitchell, Wissenschaftler des Space Science Laboratory.
Bis zu zehnmal genauere Magnetfeldkarten als bei den Apollo-Missionen sollen mit dem neuen Elektronen-Reflektometer von Lin und Anderson möglich sein – zudem überstreicht die polare Umlaufbahn von Lunar Prospector die gesamte Mondoberfläche. Es wird allerdings noch einige Monate dauern, bis man die gesamte Mondoberfläche mit einer Auflösung von 20 bis 30 Kilometern erfaßt haben wird. Dann geht es automatisch in einen zweiten Meßzyklus, in dem alle Bereiche mit erhöhter Magnetfeldstärke noch einmal genauer (bis hinunter zu einer Auflösung von vier Kilometern) erfaßt werden sollen.
Bei den jetzt veröffentlichten Werten des lunaren Magnetfeldes gegenüber den großen Einschlagbecken Mare Imbrium und Mare Serenitatis fand man schon bei der geringsten Auflösung Magnetfelder von der Größe von 40 Nanotesla – das ist etwas mehr als ein Tausendstel der Stärke des Erdmagnetfeldes.
Überraschenderweise ist das Magnetfeld in diesen Regionen über Hunderte von Kilometern relativ homogen im Vergleich zu anderen Gebieten, die mit ihren sehr unregelmäßig verteilten Magnetfeldern eher typisch sind für die Mondoberfläche. Solche homogen ausgerichteten Felder haben die Eigenschaft, die Planetenoberfläche gegen die aus dem Weltall kommende, hochenergetische Teilchenstrahlung abzuschirmen. Ganz wie auf der Erde werden die Teilchen entlang den Magnetfeldlinien des Feldes abgelenkt, so daß solche Regionen vom kosmischen Teilchenbombardement weitgehend verschont bleiben. Die Forscher nehmen an, daß dies auch der Grund für Schwankungen in der Oberflächenhelligkeit des Mondes sein könnte, denn vermutlich sorgt ein ständig auf die Mondoberfläche einprasselnder Sonnenwind dafür, daß die Mondoberfläche dort mit der Zeit immer dunkler wird. Solche sogenannten Gamma-Wirbel – Regionen, die mit ihren Helligkeitsschwankungen aussehen, als hätte man gerade Milch in schwarzen Kaffee gekippt und umgerührt – wollen die Forscher zumindest mit diesem Szenario erklären können. Lin und seine Kollegen glauben, daß die hellen Regionen der Wirbel von den lokalen Magnetfeldern einfach gegen die dunkelmachende Wirkung des Sonnenwindes abgeschirmt werden. "Unser bisheriger Blick auf den magnetischen Mond zu Zeiten der Apollo-Missionen war notgedrungen relativ grob", gibt Mario Acuna vom NASA Goddard Space Flight Center in Greenbelt/Maryland zu. "Früher dachte man, der Mond sei ein toter Himmelskörper, auf dem nichts passiert. Mit den neuen Magnetfelddaten von Lunar Prospector hat sich das nun geändert: Die Wechselwirkung zwischen Magnetfeldern, Sonnenwind und der Mondoberfläche ist also vielfältiger, als sie auf den ersten Blick erscheint. Lunar Prospector ist für uns wie ein Vergrößerungsglas, mit dem wir uns unseren Trabanten jederzeit aus extremer Nähe anschauen und untersuchen können. Das ist im übrigen typisch für Wissenschaft: Je genauer man hinschaut, umso mehr Dinge kommen zum Vorschein."
Die Theoretiker hatten allerdings schon kurz nach den ersten Apollo-Messungen eine mögliche Erklärung für das ungewöhnliche Phänomen parat: Beim Einschlag eines größeren Meteoriten auf dem Mond werden dessen Masse, sowie Teile der Mondoberfläche regelrecht pulverisiert und ins All katapultiert. Diese Wolke aus ionisiertem Plasma und Staub kann dabei die mehrfache Größe des Erdtrabanten haben und zieht über die Mondoberfläche hinweg bis auf dessen Rückseite, wo sich die Schockwellen des Einschlages wieder treffen. Das Plasma selbst besteht aus Atomen, denen eines oder mehrere Elektronen fehlen und besitzt daher auch ein Magnetfeld. Bei der Wanderung um den Trabanten, die teilweise nur fünf Minuten dauert, treibt die Plasmawolke folglich das lunare Magnetfeld vor sich her und verdichtet es dabei stark. Wenn nun – ebenfalls auf der dem Einschlag abgewandten Seite des Mondes – Staub und Einschlagsgesteine wieder auf die Mondoberfläche zurückfallen, haben sie durch die Schockwirkung des Einschlages und das sie umgebende starke lokale Magnetfeld meist dessen Magnetisierungsgrad angenommen. Doch hatte der Mond jemals ein eigenes Magnetfeld? Ergebnisse aus den Apollo-Proben weisen daraufhin, daß unser Trabant vor etwa 3,6 bis 3,8 Milliarden Jahren noch ein eigenes Magnetfeld, ähnlich dem der Erde, besaß. Damals schien auch sein Inneres noch flüssig genug gewesen zu sein, um durch Rotation gegenüber den äußeren Schichten (Dynamo-Effekt) ein eigenes Magnetfeld aufbauen zu können. Fast alle großen Einschlagsbecken auf der Mondvorderseite – neben dem Mare Imbrium und Mare Serenitatis auch das Mare Orientalis ("Östliches Meer") und das Mare Crisium ("Meer der Gefahren") – sind nach den neuesten Daten des Lunar Prospector mit Regionen starker Magnetfeldstärke auf der Rückseite verbunden. Diese scheinen somit alle in dieser Periode häufiger Einschläge auf dem Mond entstanden zu sein.
"Noch sind die Daten unvollständig und die Schlußfolgerungen daraus nur Vermutungen, aber wir hoffen, bald den Beweis für diese Theorie in der Hand zu halten", sagt Professor Lin. Sein Elektron-Reflektometer bestimmt die Stärke des lunaren Magnetfeldes durch die Energie und den Einfallwinkel, unter dem Elektronen von diesem Feld abgelenkt werden. Elektronen aus dem Sonnenwind folgen dem lunaren Magnetfeld dabei auf immer enger werdenden, korkenzieherähnlichen Bahnen bis zu dem Punkt, an dem sie von der Stärke des Magnetfeldes unter einem flachen Winkel wieder in den Weltraum hinausgeschleudert werden. Deren Energie und der genaue Winkel, unter dem sie wieder ins All verschwinden, geben den Wissenschaftlern jeweils Aufschluß über das an dieser Stelle der Mondoberfläche herrschende Magnetfeld.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 4.9.1998
"Wo das Wasser nicht im Meer zu finden ist"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 9.3.1998
"Wasser auf dem Mond" - Spektrum Ticker vom 13.12.1997
"Per Recycling zum Mond"
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