News: Junger Supernova-Überrest nahe der Erde entdeckt
"Unsere Analysen zeigen, daß es sich um den erdnächsten Supernova-Überrest in der jüngeren Geschichte der Menschheit handelt, ähnlich nahe gelegene Stern-Explosionswolken in unserer Milchstraße sind im Vergleich dazu mit mindestens 10 000 Jahren wesentlich älter", erklärt Dr. Bernd Aschenbach vom Garchinger Max-Planck-Institut. "Jetzt sind die Licht- und Radio-Astronomen gefordert, mit ihren Methoden unsere Messungen zu überprüfen."
Darüber berichten die beteiligten Wissenschaftler in zwei getrennten Beiträgen am 12. November 1998 in Nature. Denn auf zwei verschiedenen Wegen ist die gemeinsame Entdeckung gelungen. Die Daten dafür lieferten der unter der wissenschaftlichen Leitung des Garchinger Max-Planck-Instituts entwickelte deutsche Röntgensatellit ROSAT und das COMPTEL-Instrument des Max-Planck-Instituts auf dem amerikanischen Gammastrahlen-Weltraumobservatorium Compton.
ROSAT hat bei der ersten systematischen Durchmusterung des Himmels im Röntgenlicht während der Jahre 1990/91 auch die "Vela"-Region untersucht. Das ist ein Astronomen wohlbekanntes Gebiet. Beherrscht wird es von einer riesigen, nahezu 200 Lichtjahre (acht Grad) im Durchmesser großen Supernova-Explosionswolke. Mit Überschallgeschwindigkeit wächst sie noch immer, ihre heutige Ausdehnung verrät: Vor mindestens 10 000 Jahren hat dort ein Stern in einer gigantischen Supernova einen gewaltsamen Tod gefunden und eine intensiv im "weichen" Röntgenlicht strahlende Detonationswolke hinterlassen. (Darin und an ihren Rändern hat Dr. Aschenbach mit ROSAT zum ersten Mal zahlreiche Bruchstücke des explodierten Sterns nachgewiesen und dieses Ergebnis im März 1995 ebenfalls Nature publiziert).
Als Dr. Aschenbach bei seinen Untersuchungen den bei der Standard-Aufbereitung der ROSAT-Daten vor allem benutzten niederenergetischen Bereich auf den "härteren" – energiereicheren – Teil des Röntgenspektrums erweiterte, änderte sich das Bild der "Vela"-Explosionswolke dramatisch: Bei Energien von mehr als 1 300 Elektronen-Volt war die alles überstrahlende, "weiche" Röntgenstrahlung weitgehend verschwunden. Statt dessen kam am südöstlichen Rand der "Vela"-Wolke ein nahezu kreisförmiges Gebilde von zwei Grad Größe – dem vierfachen Durchmesser des Vollmonds – zum Vorschein.
"Das hat uns natürlich vom Hocker gerissen, dies mußte ein neuer Supernova-Überrest sein", schwärmt Dr. Aschenbach. "Denn es gibt keine anderen bekannten Quellen am Himmel, die im Röntgenbereich so eine Gestalt haben." Das bis dahin unbekannte Objekt erhielt nach den Himmelskoordinaten die Bezeichnung RXJ 0852.0-4622.
Die weitere Auswertung zeigte: RXJ 0852.0-4622 hat mit 30 Millionen Grad eine extrem hohe Temperatur. Daraus ergibt sich: Es muß ein sehr junges Objekt sein, sonst wäre es längst abgekühlt. Doch weil RXJ 0852.0-4622 sehr jung ist, kann es seine Ausdehnung von zwei Grad nur erreicht haben, wenn es nicht allzu weit entfernt ist, denn "bei viel größerem Abstand wäre nur ein kleiner Fleck zu erkennen gewesen", macht Dr. Aschenbach deutlich. "Die genaue, durch Vergleich mit dem Röntgenspektrum der bekannten Supernova des Jahres 1006 erhärtete Analyse ergibt als maximale Grenzwerte, daß der neue Supernova-Überrest nicht älter als höchstens 1 500 Jahre und nicht weiter als 1 000 Parsec, das sind etwa 3 300 Lichtjahre, entfernt sein kann."
Und auch für die geringe Flächenhelligkeit des neu gefundenen Objekts im Röntgenlicht hat Dr. Aschenbach eine Erklärung gefunden. Die Supernova ist wahrscheinlich in einem Gebiet explodiert, in dem die Dichte des aus Gas und Staub bestehenden interstellaren Mediums nur sehr klein ist: 0,04 Teilchen pro Kubikzentimeter hat der Wissenschaftler aus den Röntgendaten berechnet, "normal" wäre mindestens ein Teilchen im gleichen Volumen.
Den endgültigen Beweis, daß es sich bei RXJ 0852.0-4622 tatsächlich um einen Supernova-Überrest handelt, lieferten schließlich die Gamma-Astronomen des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik. Sie haben sich auf die beim radioaktiven Zerfall chemischer Elemente freiwerdende Gammastrahlung spezialisiert. Beim plötzlichen Tod eines Sterns in den Sekundenbruchteilen einer Supernova-Explosion entstehen nämlich so extrem große Dichten und Temperaturen, daß sich die Grundbausteine der Atomkerne neu formieren können: Alle chemischen Elemente, auch die Isotope, werden in diesem winzigen Augenblick in die Welt geworfen, ohne diese "Sternenasche" wäre Leben nicht möglich. Das beim gewaltsamen Ende eines Sterns durch die Supernova in den Weltraum geschleuderte Material steht dann als "Rohstoff" für den Aufbau der nächsten Generation von Sternen und Planeten zur Verfügung.
Viele Isotope sind allerdings nicht stabil. Sie zerfallen unterschiedlich schnell, mit charakteristischenHalbwertszeiten, oft über mehrere Zwischenstufen, bis schließlich die alsnatürlich bekannten chemischen Elemente übrigbleiben. Bei ihrem radioaktiven Zerfall senden Isotope oft auch Gammastrahlung aus – und zwar in eng begrenzten Energie-Bereichen, den Gamma-Linien: Sie kennzeichnen so eindeutig wie ein Fingerabdruck jedes radioaktive Isotop.
Ein charakteristisches Merkmal von Supernova-Überresten ist das Titan-44. Dieses gammastrahlende Isotop entsteht ausschließlich beim sogenannten "Silizium-Brennen" in Supernova-Explosionen. Titan-44 zerfällt über Scandium zu Calcium und sendet dabei eine Gammalinie bei 1,156 Millionen Elektronen-Volt aus.
Zum ersten Mal hatten die Astrophysiker des Garchinger Max-Planck-Instituts mit ihrem COMPTEL-Instrument diese Spektrallinie im bekannten Supernova-Überrest Cassiopeia A bereits vor einigen Jahren gefunden. Mit dem jetzt gelungenen Nachweis der Titan-44-Gammalinie in RXJ 0852.0-4622 stand fest: Auch das entdeckte Objekt am Rand der "Vela"-Explosionswolke ist zweifelsfrei ein Supernova-Überrest.
Obwohl die "Produktionsraten" an Titan-44 – es entsteht bei allen Typen von Supernova-Explosionen – nicht genau bekannt sind, ließen sich aufgrund der Halbwertszeiten der Titan-Scandium-Calcium-Zerfallskette Alter und Entfernung des neuen Überrests weiter eingrenzen. Demnach geschah die Stern-Explosion im 13. Jahrhundert in ungefähr 700 Lichtjahren Abstand zur Erde. "Damit ist es zum ersten Mal gelungen, mit Hilfe der Titan-44-Gammalinie einen bisher unbekannten Supernova-Überrest zu finden", kommentiert Dr. Anatoli Iyudin vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik diesen Erfolg.
Auch in den kommenden Jahren ist mit der Entdeckung weiterer Stern-Explosionswolken zu rechnen. Eigentlich müßten in unserer Milchstraße – das zeigt der Vergleich mit anderen Galaxien – in 100 Jahren jeweils zwei bis drei Sterne als Supernovae explodieren. Aus den letzten 1 000 Jahren sind aber nur sieben bekannt. Die anderen sind wohl verborgen geblieben, weil ihr Licht auf dem Weg zur Erde in dichten interstellaren Gas- und Staubwolken verloren gegangen ist. Für die "harte" Röntgen- und Gammastrahlung sind das keine Hindernisse, so daß die fehlenden Supernovae vielleicht schon in allernächster Zukunft mit den bereits im Bau befindlichen Satelliten der Röntgen- und Gamma-Astronomie gefunden werden.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.