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News: Der Affe, der wie ein Mensch lief

Ein Primat, der aufrecht gehen und einen Gegenstand zwischen Daumen und Zeigefinger festhalten kann - das wäre sicher eine Beschreibung, die einzig und allein auf den Homo sapiens zutrifft. Oder vielleicht doch nicht? Forscher in Frankreich und Italien haben die Überreste eines ausgestorbenen Menschenaffen unter die Lupe genommen, der als Oreopithecus bezeichnet wird und bereits vor acht Millionen Jahren diese Charakteristika des modernen Menschen besessen haben könnte.
Salvador Moyà-Solà und Meike Köhler vom Institut Paleontologic Dr. M. Crusafont in Barcelona sowie Lorenzo Rook von der Universita di Firenze untersuchten eine reichhaltige Sammlung fossiler Handknochen des Oreopithecus, die in der Toskana gesammelt worden waren. Zwar sind die Studien zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sehr weit gediehen, doch schon jetzt verraten sie eine Menge über die Lebensweise des Menschenaffen (Proceedings of the National Academy of Sciences vom 5. Januar 1999, Abstract).

Wie die Forscher versichern, war der Oreopithecus in der Lage, stark und präzise zuzugreifen, wobei seine Daumenspitze die Spitzen der anderen Finger berühren konnte. Hierzu sind viele heute lebenden Menschenaffen nicht in der Lage: Bei ihnen sind entweder die Daumen zu kurz, oder sie können in dieser Fingerstellung nur wenig Kraft ausüben. Ein sicherer Präzisionsgriff wird meist als Voraussetzung für die Handhabung von Gegenständen gesehen, die wiederum entscheidend für Tätigkeiten wie die Herstellung von Werkzeugen ist.

Affen wie Gibbons und Orang-Utangs haben äußerst lange Hände, deren Finger stark gestreckt sind, während der Daumen dagegen kurz bleibt. Die verlängerten Hände sind nützlich für die Tiere, um sich von Ast zu Ast zu schwingen. Die Forscher fanden denn auch Beweise für diese als Brachiation bezeichnete Art der Fortbewegung bei einem fossilen Affen, dem Dryopithecus. Der Dryopithecus war ein enger Verwandter des Oreopithecus, wobei letzterer aber eine kurze Hand aufweist, deren Finger und Daumen eher von gleicher Länge sind und sich dadurch gegenüber stehen.

Schimpansen und Gorillas verfügen dagegen über Hände, die an eine seltsame Art der Fortbewegung auf allen Vieren angepaßt ist, bei welcher der Affe auf seinen Knöcheln läuft. Ihre Finger verfügen über aufschlußreiche Modifikationen, die beim Oreopithecus nicht anzutreffen sind. Die Finger des Oreopithecus unterscheiden sich auch von den ziemlich kurzen Fingern der Paviane, die eher auf dem Boden als auf Bäumen leben. Wenn die Hände des Oreopithecus überhaupt denen eines anderen Lebewesens ähneln, dann wohl am ehesten denen des Menschen.

Diese Annahmen passen zu früheren Ergebnissen der Wissenschaftler, wonach der Oreopithecus auf dem Boden lebte, aufrecht gehen konnte und seine Hände frei hatte für die Manipulation von Gegenständen.

Dennoch war der Oreopithecus eine Besonderheit der Evolution, die sich etwas abseits von der Hauptrichtung der Primatenevolution entwickelte. Vor acht Millionen Jahren war Norditalien eine vom restlichen Europa abgeschnittene Insel. Von Inseln weiß man, daß sich auf ihnen seltsame Tiere entwickeln, die nirgendwo sonst anzutreffen sind. Vielleicht veranlaßte das Fehlen von Konkurrenten und Raubtieren den Oreopithecus dazu, die Bäume zu verlassen und wie ein Mensch auf dem Boden zu laufen – und das bereits vier Millionen Jahre vor den Vorfahren des Menschen!

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