News: Umschulung für Stammzellen
Jetzt vertritt eine von Angelo Vescovi und seinen Kollegen von NeuroSpheres Limited in Kanada und dem National Neurological Institute in Italien durchgeführte Studie an Mäusen die These, daß Stammzellen nicht von Embryos stammen müssen, damit sie spezialisierte Zellen erzeugen können (Science vom 22. Januar 1999). "Wir haben einen anderen Weg eingeschlagen und stattdessen ausgewachsene Stammzellen benutzt", sagte Vescovi.
Ausgewachsene Stammzellen sind spezialisierter als die ursprünglichen Stammzellen eines frühen Embryos. Die erwachsenen Stammzellen liefern ständig neue Zellen an Organe mit einem hohen Zellumsatz, wie zum Beispiel das hämatopoetische (blutbildende) System, die Eingeweide oder die Haut. In ihrem Experiment benutzten Vescovi und seine Kollegen Neuralstammzellen (NSCs) aus dem Zentralnervensystem von Mäusen. NSCs erzeugen die wichtigsten Zellarten, die es im Gehirn Erwachsener gibt, nämlich Neuronen und ihre Helferzellen.
Die Autoren injizierten die NSCs in eine zweite Gruppe von Mäusen, deren hämatopoetische Stammzellen (diese Zellen sind primär im Knochenmark ansässig, wo sie die unterschiedlichen Arten von Blutzellen erzeugen) durch eine fast tödliche Strahlendosis zerstört worden waren. Sobald sie im Blutkreislauf waren, besiedelten die NSCs das Knochenmark der Mäuse (und die Milz, eine andere Blutproduktionsstätte). Dort übernahmen sie die Arbeit der blutbildenden Stammzellen und produzierten einen frischen Vorrat an Blutzellen. Offensichtlich hatten die Stammzellen im Verlaufe ihrer Entwicklung als NSCs keine unwiderruflichen Veränderungen vollzogen, die sie unfähig machten, sich auch als andere Arten von Stammzellen zu spezialisieren.
"Es dauerte eine Weile, bis wir unseren eigenen Daten trauten. Das Körpergewebe wurde immer als unveränderlich angesehen", sagte Vescovi.
Die Forscher hoffen, daß es in Zukunft möglich sein wird, Knochenmarktransplantionen mit ausgewachsenen Stammzellen durchzuführen, um Patienten mit beispielsweise Leukämie mit einem neuen Vorrat an gesundem Blut zu versorgen. Um allerdings diesen Punkt zu erreichen, muß erst noch geklärt werden, ob menschliche Stammzellen sich genauso verhalten wie Mäuse-Stammzellen.
Die Ergebnisse der Studie von Vescovi und seinen Kollegen deuten darauf hin, daß Neuralstammzellen in der Lage sind, in ihren unspezialisierten, embryonischen Zustand zurückzukehren und sich dann als blutbildende Stammzellen neu zu spezialisieren. Um diese Hypothese zu überprüfen, injizierten die Forscher eine weitere Gruppe bestrahlter Mäuse mit fremden blutbildenden Stammzellen. Weil diese Zellen schon vorher Blutzellen gebildet hatten, brauchten sie weniger Zeit als die NSCs, bis sie nach der Transplantation wieder Blutzellen erzeugten. Möglicherweise mußten die NSCs zuerst ihre ursprünglichen Aufgaben wieder "verlernen".
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 6.11.1998
"Menschliche Stammzellen in Kultur" - Spektrum Ticker vom 4.9.1998
"Reine Nervensache"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 27.7.1998
"Neue Nerven aus dem Reagenzglas"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Brennpunkt-Thema vom 14.7.1998
"Der Joker aus der Petrischale"
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