News: Eine gefährliche Therapie
In dieser Schwächung des Immunsystems sahen bisher viele Forscher den Grund für die bekannte Verbindung zwischen dem Einsatz entsprechender Medikamente und der erhöhten Krebsrate bei den Patienten. In ihren frühen Phasen verändern sich Krebszellen auf vielerlei Arten, und man nahm an, daß das Immunsystem derart veränderte Zellen als 'fremd' ansah und sie dann zerstörte – so als ob es sich um eindringende Bakterien oder Viren handelte. Der raschere Fortschritt von Krebs in immunsuppressiven Patienten wurde daher einem Versagen der Immunabwehr zugeschrieben.
In den letzten Jahren kamen jedoch Zweifel an dem Modell auf. Bei AIDS-Patienten, die ebenfalls starke immunsuppressive Medikamente erhalten, gibt es keinen generellen Anstieg der Krebsrate. Sie sind zwar für einige seltene Arten anfälliger, aber es ist nicht die erhöhte Häufigkeit bei den gewöhnlichen Krebsarten zu beobachten.
Dadurch stellte sich die Frage, ob immunsuppressive Medikamente selbst zu dem krebsfördernden Effekt beitragen. Um diese Idee zu testen, untersuchten Minoru Hojo und seine Kollegen von der Cornell University die direkten Auswirkungen von Cyclosporin auf Kulturen von Epithelzellen, die in keinem Zusammenhang mit dem Immunsystem stehen. Sie verwendeten eine Zellinie, die ursprünglich aus einem Drüsentumor stammt. Trotzdem weist sie keine Eigenschaften von hochinvasiven Krebszellen auf, wenn sie in vitro im Labor gezüchtet wird. Die Forscher stellten fest, daß die Behandlung mit Cyclosporin die Zellen veränderte: Die Teilungsrate stieg an, sie bildeten eher Auswüchse und wurden mobiler – alles typische Anzeichen bösartiger Krebszellen, die in vitro wachsen (Nature vom 11. Februar 1999).
Um herauszufinden, wie Cyclosporin in den Krebszellen gewirkt hat, konzentrierten die Wissenschaftler sich auf das Protein Transforming Growth Factor beta (TGF-beta), einem Wachstumsfaktor, der wahrscheinlich Krebszellen invasiver macht. Da sie aus früheren Studien wußten, daß Cyclosporin die Synthese von TGF-beta herbeiführen kann, verglichen sie die Auswirkungen von Cyclosporin mit den Folgen einer direkten Zugabe von TGF-beta. Tatsächlich ergaben sich ähnliche Versuchsergebnisse. Außerdem konnten die Veränderungen bei Zellen, die mit Cyclosporin behandelt wurden, mit Antikörpern gegen TGF-beta verhindert werden. Auch in Experimenten mit genetisch immunschwachen Mäusen ließ sich das Cyclosporin-bedingte verstärkten Tumorwachstum durch eine Behandlung mit monoklonalen Antikörpern gegen TGF-beta unterbinden.
Die Ergebnisse von Hojo werfen die Frage neu auf, wie Cyclosporin überhaupt seine immunsuppressive Wirkung ausübt. Bislang glaubten die Immunologen, dessen intrazelluläre Folgen in den T-Lymphocyten zu kennen. Doch darin spielte TGF-beta keine große Rolle. Dabei ist es der Wachstumsfaktor, der die wichtigsten Immunantworten für eine Abstoßung des Transplantats unterdrückt. Cyclosporin könnte daher als immunsuppressives Mittel wirken, indem es die Produktion von TGF-beta im Körper allgemein erhöht.
Cyclosporin wird trotz seiner Krebs-fördernden Wirkung weiterhin als immunsuppressives Mittel eingesetzt werden, da seine Vorteile die Risiken bei weitem überwiegen. Das Ausmaß der Gefahr ist bestens bekannt und wurde seit vielen Jahren akzeptiert, auch wenn der Grund dafür möglicherweise falsch verstanden wurde. Sollte sich herausstellen, daß Cyclosporin nicht das hochspezifische immunsuppressive Mittel für T-Zellen ist, für das man es hielt, so könnte dies auch der Auftakt für die Suche nach anderen Medikamenten sein, die tatsächlich nur auf T-Lymphozyten wirken.
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