News: Eine unerwartete Schwachstelle
In Tierexperimenten erwies sich Angiostatin als sehr wirksam gegen Tumore. Mittlerweile sind manche Arbeitsgruppen mit der Entwicklung einer Krebstherapie für Menschen beschäftigt, bei der mit Hilfe von Angiostatin der Tumor "ausgehungert" werden soll. Auf welche Weise das kleine Protein überhaupt sein Werk vollbringt, war allerdings bislang unbekannt.
Ein Team unter Leitung von Sal Pizzo und Tammy Moser vom Medical Center der Duke University hat untersucht, an welche Moleküle auf der Oberfläche der Endothelzellen – welche die Blutbahnen von innen auskleiden – das Angiostatin bindet. Durch eine massenspektroskopische Analyse stellten sie fest, daß zwei Untereinheiten des Enzyms ATP-Synthase Ziel des Angiostatins sind. Mit Hilfe von Antikörpern konnte dieses Ergebnis bestätigt werden.
Die Forscher waren außerordentlich überrascht von ihrem Fund. Noch nie wurde bei tierischen Zellen ATP-Synthase in der Cytoplasmamembran gefunden. Normalerweise kommt das Enzym nur in den Mitochondrien vor, wo es chemische Energie in die Transportform Adenosintriphosphat (ATP) verpackt – deshalb werden die Mitochondrien auch als "Kraftwerke der Zelle" bezeichnet. Doch tatsächlich verminderte die Zugabe von Antikörpern gegen eine der großen Untereinheiten der ATP-Synthase die wachstumshemmende Wirkung des Angiostatins um achtzig bis neunzig Prozent. Die Bindungsstellen für den Inhibitor auf den Oberflächen der Endothelzellen waren dann nämlich schon von den Antikörpern blockiert.
Aus den neuen Entdeckungen ergeben sich eine ganze Reihe von Hypothesen. So spekulieren Pizzo und Moser, ob die Blutgefäße in den Tumor hineinwachsen, weil sie in dessen Zentrum vom Tod alter Krebszellen profitieren. Dort ist die Sauerstoffkonzentration sehr niedrig, so daß Zellen ersticken und dabei Adenosindiphosphat (ADP) freisetzen, aus dem die ATP-Synthase der Endothelzellen ATP machen kann. Die "Gefäße ernähren sich vom Tod der Zellen, um zu wachsen", vermutet Moser.
Wenn Angiostatin wirklich in erster Linie gegen die ATP-Synthase wirkt, so eröffnen sich neue pharmakologische Angriffspunkte gegen Tumore. Kleine Moleküle, die nicht so empfindlich sind wie Angiostatin und ebenfalls die Synthase hemmen, könnten entwickelt werden. Und mit Kenntnis der molekularen Regulationsmechanismen wäre es in der Zukunft auch denkbar, eine Substanz zu finden, welche die ATP-Synthase fördert, meint Moser, "in Fällen, wo das Wachstum neuer Blutgefäße erwünscht ist, wie zum Beispiel nach Herzanfällen."
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 2.12.1997
"Neuer Weg der Tumorbehandlung"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Brennpunkt-Thema
"Nobelpreis für Chemie 1997"
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