News: Beeinträchtigen Verdauungsstörungen die geistige Gesundheit?
Schizophrenie entwickelt sich meist im dritten Lebensjahrzehnt und ist recht häufig – etwa ein Prozent der Bevölkerung durchlebt eine oder mehrere schizophrene Perioden. Die betroffenen Menschen haben verschiedene Störungen im Denken, Gefühl, Wollen, Handeln und Ich-Erleben. Viele hören innere Stimmen, glauben, daß jemand ihre Gedanken liest oder sie in böser Absicht manipuliert. So wirken mitunter ihre Sprache und ihr Verhalten befremdlich.
J. Robert Cade von der University of Florida glaubt, einer der Ursachen für die beiden Krankheiten auf der Spur zu sein. Seiner Meinung nach könnte das Milchprotein beta-Casomorphin-7 zu den Störungen führen. Bisher unveröffentlichte Zwischenergebnisse einer Studie zeigen, daß von 81 autistischen oder schizophrenen Patienten 95 Prozent eine hundertfach über dem Normalwert liegende Konzentration dieses Stoffes im Blut und Urin aufweisen. Nachdem sie eine milchfreie Diät begonnen hatten, verschwanden die Krankheitssymptome bei den meisten von ihnen.
"Wir haben jetzt den positiven Beweis, daß diese Proteine in das Blut gelangen, und den positiven Beweis, daß sie in Gehirnregionen gelangen, die mit den Symptomen von Autismus und Schizophrenie in Zusammenhang stehen", sagt Cade. Allerdings stützen sich die zuletzt angeführten Beweise bislang nur auf Untersuchungen an Versuchstieren.
Die Wissenschaftler um Cade injizierten das verdächtige Protein in Ratten. Ebenso wie autistische Kinder häufig nicht auf Geräusche reagieren, obwohl ihr Gehör in Ordnung ist, achteten die Ratten nicht auf den Lärm einer Klingel direkt neben ihrem Käfig. Nachdem die Forscher diese und eine Anzahl weiterer Verhaltensauffälligkeiten der Tiere protokolliert hatten, sezierten sie deren Gehirne. Das beta-Casomorphin-7 war in 32 verschiedenen Zentren zu finden, darunter jenen Bereichen, die für das Hören, das Sehen und die Kommunikation verantwortlich waren.
Cade vermutet, daß die Störungen im Verdauungstrakt ihren Anfang nehmen. Statt das Protein abzubauen, nehmen autistische und schizophrene Menschen große Bruchteile – sogenannte Peptide – davon auf (Autism vom März 1999, Abstract). Daraus bilden sich Exorphine – Morphium-ähnliche Substanzen –, welche die Zellen in den entsprechenden Gehirnregionen stören.
Diese Hypothese wird allerdings nicht von allen Wissenschaftlern geteilt. Bennet L. Leventhal von der University of Chicago School of Medicine glaubt zum Beispiel eher an einen genetischen Defekt, der zu den Krankheiten führt. Zwar kann dies über den Weg einer Panne im Stoffwechsel geschehen, doch "die Vermutung ist, daß es sich nicht um die Störung eines einzelnen Gens handelt, sondern eher um eine Störung mehrerer Gene", sagt er. Für Autismus sind zum Beispiel drei bis vier Gene im Gespräch.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 15.4.1999
"Autismus-Therapie aus dem Bauch"
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